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Untervermietung an Geflüchtete: Humanitäre Hilfe als Mieterrecht

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Vermieter können die Untervermietung an ukrainische Geflüchtete nicht grundsätzlich verweigern. Das LG Berlin stärkt Mieterrechte bei humanitären Motiven.
Mehrfamilienhaus mit Balkonen, auf einem Balkon weht eine ukrainische Flagge
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Fall: Hilfe für Kriegsflüchtlinge wird zum Rechtsstreit

Eine Berliner Mieterin wollte Gutes tun und einer ukrainischen Geflüchteten helfen. Ihre Idee war einfach: Ein Zimmer ihrer 85 Quadratmeter großen Dreizimmerwohnung sollte an die hilfsbedürftige Frau untervermietet werden. Was als humanitäre Geste gedacht war, entwickelte sich jedoch zu einem langwierigen Rechtsstreit mit der Vermieterin.

Die Mieterin hatte ihre Wohnung bereits seit 2014 angemietet und lebte dort allein. Im April 2022 wandte sie sich per E-Mail an ihre Vermieterin und bat um die Erlaubnis zur Untervermietung. Sie erklärte dabei offen, dass sie einer Geflüchteten aus dem ukrainischen Kriegsgebiet Unterstützung anbieten möchte und selbst weiterhin in der Wohnung wohnen bleiben werde.

Die Verweigerung: Vermieter stellt Bedingungen

Die Antwort der Vermieterin kam prompt, war aber an eine überraschende Bedingung geknüpft. Sie übersandte eine Nachtragsvereinbarung, die nicht nur die Untervermietung regelte, sondern gleichzeitig eine Änderung des bestehenden Mietvertrags vorsah. Die ursprünglich vereinbarte Staffelmiete sollte in eine Indexmiete umgewandelt werden.

Diese Koppelung lehnte die Mieterin ab. Sie war bereit, alle üblichen Bedingungen für eine Untervermietung zu erfüllen, wollte aber nicht gleichzeitig ihren Mietvertrag zum Nachteil ändern lassen. Die Hausverwaltung der Vermieterin argumentierte daraufhin, dass weder die Mieterin noch der später hinzugezogene Berliner Mieterverein ein ausreichendes Interesse für die Untervermietung dargelegt hätten.

Der rechtliche Kern: Was ist ein berechtigtes Interesse?

Das deutsche Mietrecht gibt Mietern grundsätzlich keinen Anspruch darauf, ihre Wohnung beliebig unterzuvermieten. § 553 BGB regelt klar: Eine Untervermietung ist nur erlaubt, wenn der Mieter ein berechtigtes Interesse dafür hat und diese Erlaubnis vom Vermieter verlangt werden kann.

Die entscheidende Frage lautete daher: Stellt der Wunsch, einer Geflüchteten aus humanitären Gründen zu helfen, ein solches berechtigtes Interesse dar? Die Vermieterin und das zunächst zuständige Amtsgericht Wedding sahen das kritisch. Sie argumentierten, dass allgemeine humanitäre Erwägungen nicht ausreichen würden, da es sich immer um ein ganz persönliches Interesse des Mieters handeln müsse.

Das Amtsgericht ging sogar noch weiter und verlangte, dass der Mieter mit dem Untermieter eine auf Dauer angelegte Wohngemeinschaft bilden wolle. Außerdem müsse eine bereits bestehende persönliche Beziehung zwischen beiden Personen vorhanden sein. Diese enge Auslegung führte zur Abweisung der Klage in erster Instanz.

Die Wende: Landgericht Berlin gibt Mieterin Recht

Das Landgericht Berlin sah den Fall völlig anders und gab der Mieterin in der Berufung vollumfänglich Recht. Die Richter betonten, dass die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine deutlich weitere Auslegung des Begriffs "berechtigtes Interesse" erlaube.

Entscheidend war die Erkenntnis: Es ist nicht erforderlich, dass der Mieter überhaupt beabsichtigt, mit dem Untermieter eine Wohngemeinschaft zu bilden. Auch eine bereits bestehende persönliche Beziehung zur aufzunehmenden Person ist keine Voraussetzung für die Untervermietung.

Das Gericht argumentierte, dass wohl kaum ein Interesse als höchstpersönlicher angesehen werden könne als das, sein Privatleben nach den eigenen ethischen Grundüberzeugungen auszurichten und zu gestalten. Dies gelte besonders in dem geschützten Bereich der "eigenen vier Wände".

Verfassungsrechtlicher Schutz humanitärer Motive

Die Berliner Richter gingen in ihrer Begründung noch einen Schritt weiter und bezogen sich auf verfassungsrechtliche Überlegungen. Sie betonten, dass der Wunsch, mit einem aus einem Kriegsgebiet geflüchteten Menschen eine häusliche Gemeinschaft zu begründen, um ihn zu unterstützen, unter den Schutz der Grundrechte falle.

Besonders bemerkenswert war der Hinweis des Gerichts auf die historischen Erfahrungen: Das Grundgesetz sei aus der Erfahrung und dem Leid zweier Weltkriege mit gigantischen Flüchtlingsströmen entstanden. Diese Erfahrungen seien in die Wertentscheidungen des Grundgesetzes eingeflossen.

Das Gericht stellte klar: Wenn sich humanitäre Gesichtspunkte auf die eigenen ethischen Grundüberzeugungen des Mieters stützen, dann reicht dies für ein berechtigtes Interesse aus. Der Bezug zum Mieter ergibt sich daraus, dass sein Wunsch auf eigenen höchstpersönlichen ethischen Grundüberzeugungen beruht.

Zeitliche Voraussetzungen erfüllt

Ein weiterer wichtiger Punkt betraf die zeitliche Komponente. Das berechtigte Interesse muss nach Abschluss des ursprünglichen Mietvertrags entstanden sein. Dies soll verhindern, dass Mieter bereits bei Vertragsschluss geplante Untervermietungen nachträglich rechtfertigen.

Im vorliegenden Fall war diese Voraussetzung klar erfüllt: Zwischen dem Mietvertragsschluss im Mai 2014 und dem Antrag auf Untervermietung im April 2022 lagen fast acht Jahre. Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Flüchtlingssituation waren zum Zeitpunkt der ursprünglichen Anmietung nicht absehbar.

Vermieter kann Bedingungen nicht beliebig stellen

Ein besonders praxisrelevanter Aspekt der Entscheidung betraf die Koppelung der Untervermietungserlaubnis an die Änderung des Mietvertrags. Das Landgericht Berlin stellte unmissverständlich klar: Die Erteilung einer Untervermieterlaubnis kann grundsätzlich nicht von der Zustimmung des Mieters zur Änderung der Staffel- in eine Indexmietvereinbarung abhängig gemacht werden.

Die Richter argumentierten, dass ein solches Zumutbarkeitskriterium zugunsten des Vermieters vom Gesetz nicht vorgesehen sei. Die Vermieterin könne nicht willkürlich zusätzliche Bedingungen stellen, die mit der Untervermietung selbst nichts zu tun haben.

Abgrenzung zu anderen Fällen

Das Gericht grenzte seine Entscheidung bewusst von einem anderen bekannten Fall ab. Das Amtsgericht München hatte in einem ähnlichen Fall anders entschieden, allerdings unter völlig anderen zeitlichen Umständen. Dort lagen zwischen Mietvertragsschluss und Antrag auf Untervermietung nur drei Monate, was den Verdacht einer von Anfang an geplanten Untervermietung begründete.

Der Berliner Fall war anders gelagert: Nach fast zehn Jahren Mietzeit konnte von einer bereits bei Vertragsschluss geplanten Untervermietung keine Rede sein. Das berechtigte Interesse war eindeutig erst später durch die veränderten Umstände entstanden.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil hat erhebliche praktische Auswirkungen für Mieter, die aus humanitären Gründen Wohnraum zur Verfügung stellen möchten:

Stärkung der Mieterrechte: Mieter können sich bei humanitären Untervermietungswünschen auf ein berechtigtes Interesse berufen, wenn diese Motivation auf ihren eigenen ethischen Überzeugungen beruht. Eine bereits bestehende persönliche Beziehung zum Untermieter ist nicht erforderlich.

Schutz vor willkürlichen Bedingungen: Vermieter können die Untervermietungserlaubnis nicht an beliebige Zusatzbedingungen knüpfen, die nichts mit der Untervermietung selbst zu tun haben. Versuche, gleichzeitig Mietvertragsänderungen durchzusetzen, sind unzulässig.

Zeitliche Flexibilität: Auch lange nach Vertragsschluss können berechtigte Interessen für eine Untervermietung entstehen. Entscheidend ist, dass die Motivation für die Untervermietung nicht bereits bei Vertragsschluss vorhanden war.

Rechtssicherheit für Flüchtlingshilfe: Das Urteil schafft Rechtssicherheit für Mieter, die Geflüchteten helfen möchten. Humanitäre Motive werden als legitimer Grund für Untervermietungen anerkannt.

Dennoch sollten Mieter beachten, dass jeder Fall individuell zu bewerten ist. Die allgemeinen Voraussetzungen des § 553 BGB müssen weiterhin erfüllt sein. Dazu gehört insbesondere, dass keine wichtigen Gründe gegen den Untermieter sprechen, der Wohnraum nicht übermäßig belegt wird und dem Vermieter die Überlassung zumutbar ist.

Quelle: LG Berlin, Urteil vom 06.06.2023, Az. 65 S 39/23

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