Langzeitmieterin siegreich: Kein Kündigungsrecht nach 30 Jahren


Der Fall: Über 30 Jahre in derselben Wohnung
Eine Mieterin bewohnt seit März 1992 dieselbe Wohnung in Berlin. Der ursprüngliche Mietvertrag wurde auf unbestimmte Zeit geschlossen. Zusätzlich vereinbarten die damaligen Vertragspartner im April 1992 eine besondere Schutzklausel: Der Vermieter verzichtete vollständig auf sein Kündigungsrecht. Die Vereinbarung schloss sogar Eigenbedarfskündigungen ausdrücklich aus.
Nach über 30 Jahren wechselte das Eigentum an der Wohnung. Der neue Eigentümer wollte die inzwischen betagte Mieterin aus der Wohnung haben und kündigte im Oktober 2022 fristlos. Hilfsweise sprach er eine ordentliche Kündigung aus. Seine Begründung: Nach drei Jahrzehnten greife das Sonderkündigungsrecht aus Paragraph 544 des Bürgerlichen Gesetzbuches.
Das Amtsgericht gab dem Vermieter zunächst recht
In erster Instanz bekam der neue Eigentümer recht. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg entschied im Juni 2023, dass die Kündigung wirksam sei. Die Richter argumentierten: Durch die ursprüngliche Kündigungsausschlussvereinbarung sei faktisch ein Mietvertrag für mehr als 30 Jahre entstanden. Dies rechtfertige die Anwendung von Paragraph 544 BGB.
Die Vorschrift besagt: Wird ein Mietvertrag für länger als 30 Jahre abgeschlossen, kann jede Vertragspartei nach Ablauf dieser Zeit außerordentlich mit gesetzlicher Frist kündigen - ohne besonderen Kündigungsgrund.
Das Amtsgericht sah die 30-Jahres-Frist mit Ende April 2022 als abgelaufen an. Die Kündigung vom Oktober 2022 beende daher das Mietverhältnis zum Januar 2023.
Die Berufung: Mieterin kämpft um ihr Zuhause
Die Mieterin ließ sich nicht entmutigen und legte Berufung beim Landgericht Berlin ein. Ihre Rechtsanwälte argumentierten geschickt: Ein unbefristeter Mietvertrag mit einseitigem Kündigungsausschluss sei etwas völlig anderes als ein befristeter Vertrag über 30 Jahre.
Außerdem wandten sie ein: Der Vermieter habe sich in seinem Kündigungsschreiben gar nicht auf Paragraph 544 BGB berufen. Eine nachträgliche Umdeutung der Kündigungserklärung sei unzulässig.
Die Mieterin verwies zudem auf den besonderen Schutzzweck des Mietrechts. Paragraph 544 BGB solle verhindern, dass Mieter eine "erbmieteähnliche" Rechtsstellung erlangen. Bei einem unbefristeten Vertrag mit Kündigungsausschluss sei diese Gefahr aber nicht gegeben.
Landgericht korrigiert: Paragraph 544 BGB ist nicht anwendbar
Das Landgericht Berlin gab der Mieterin in allen Punkten recht. Die Berufung war erfolgreich - das Amtsgerichtsurteil wurde aufgehoben.
Unbefristete Verträge fallen nicht unter Paragraph 544 BGB
Die zentrale Erkenntnis: Paragraph 544 BGB gilt nur für Mietverträge, die tatsächlich auf eine bestimmte Laufzeit begrenzt sind. Die Vorschrift ist auf unbefristete Mietverträge grundsätzlich nicht anwendbar - auch dann nicht, wenn sie faktisch länger als 30 Jahre bestehen.
Das Gericht stellte klar: Entscheidend ist die ursprüngliche Vereinbarung im Vertrag, nicht die tatsächliche Dauer der Miete. Da die Parteien 1992 bewusst einen unbefristeten Mietvertrag abschlossen, greift das Sonderkündigungsrecht nicht.
Analogie bleibt umstritten
Zwar diskutieren Rechtswissenschaftler, ob Paragraph 544 BGB in besonderen Fällen analog angewendet werden könnte. Speziell bei vollständigem Kündigungsausschluss über mehr als 30 Jahre wird dies erwogen. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage aber noch nie entschieden.
Das Landgericht Berlin ließ die Analogie-Diskussion bewusst offen. Selbst wenn eine analoge Anwendung möglich wäre, hätte der Vermieter zusätzliche rechtliche Hürden nehmen müssen.
Besondere Begründungspflichten im Wohnraummietrecht
Falls Paragraph 544 BGB anwendbar gewesen wäre, hätte dies nicht zu einer vereinfachten Kündigung geführt. Das Gericht betonte: Auch bei einer Kündigung nach 30 Jahren müssen Vermieter die strengen Begründungsanforderungen des Wohnraummietrechts beachten.
Konkret bedeutet das: Der Vermieter muss in seinem Kündigungsschreiben genau erklären, auf welche Rechtsgrundlage er sich stützt. Er muss dem Mieter ermöglichen, seine Rechtsposition zu verstehen und zu prüfen.
Starker Mieterschutz im Wohnraummietrecht
Das Urteil verdeutlicht die besonderen Schutzstandards im deutschen Wohnraummietrecht. Das Gericht verwies ausdrücklich auf die verfassungsrechtliche Dimension: Wohnen ist ein Grundbedürfnis, das besonderen Schutz verdient.
Besonders ältere Mieter, die jahrzehntelang in derselben Wohnung leben, genießen starken Kündigungsschutz. Das Gericht warnte vor den sozialen Folgen, wenn Vermietern erlaubt würde, betagte Langzeitmieter ohne besonderen Grund aus ihrem Lebensmittelpunkt zu verdrängen.
Schutz vor "Erbmiete" bereits gewährleistet
Der ursprüngliche Zweck von Paragraph 544 BGB - die Verhinderung einer "Erbmiete" - wird bereits durch andere Regelungen erreicht. Seit der Mietrechtsreform 2001 können Vermieter gegenüber Erben des ursprünglichen Mieters leichter kündigen.
Eine generelle Aufweichung des Kündigungsschutzes nach 30 Jahren ist daher nicht erforderlich.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Mieter: Starker Schutz bei Langzeitmietverhältnissen
Wenn Sie schon sehr lange in Ihrer Wohnung leben, können Sie aufatmen. Das Urteil bestätigt: Die bloße Dauer eines Mietverhältnisses rechtfertigt keine Kündigung. Auch nach 30, 40 oder 50 Jahren benötigt Ihr Vermieter einen konkreten Kündigungsgrund.
Besonders geschützt sind Sie, wenn in Ihrem Mietvertrag ein Kündigungsausschluss vereinbart wurde. Solche Klauseln sind wirksam und können nicht einfach nach drei Jahrzehnten übergangen werden.
Falls Sie eine Kündigung erhalten, die sich auf Paragraph 544 BGB stützt, sollten Sie rechtlichen Rat einholen. Das Berliner Urteil zeigt: Solche Kündigungen sind häufig angreifbar.
Für Vermieter: Vorsicht bei Langzeitmietern
Als Vermieter können Sie sich nicht darauf verlassen, dass langjährige Mietverhältnisse automatisch nach 30 Jahren kündbar werden. Unbefristete Mietverträge bleiben unbefristet - unabhängig von ihrer tatsächlichen Dauer.
Wenn Sie kündigen möchten, benötigen Sie weiterhin einen der gesetzlich anerkannten Kündigungsgründe: Eigenbedarf, Verwertungshindernisse oder erhebliche Vertragsverletzungen des Mieters.
Bei der Kündigung müssen Sie außerdem alle formellen Anforderungen erfüllen. Dazu gehören korrekte Begründung, Einhaltung der Kündigungsfristen und Schriftform.
Für Vertragsgestaltung: Befristungen bleiben möglich
Das Urteil betrifft nur unbefristete Mietverträge. Echte Zeitmietverträge mit konkreter Befristung unterliegen weiterhin Paragraph 544 BGB. Allerdings sind Befristungen im Wohnraummietrecht nur unter engen Voraussetzungen zulässig.
Kündigungsausschlussklauseln zugunsten des Mieters bleiben weiterhin wirksam und empfehlenswert, wenn Sie als Vermieter Planungssicherheit bieten möchten.
Ausblick: Bundesgerichtshof könnte nachschärfen
Das Landgericht Berlin hat bewusst offen gelassen, ob Paragraph 544 BGB in Ausnahmefällen analog angewendet werden könnte. Diese Frage wird möglicherweise eines Tages der Bundesgerichtshof entscheiden müssen.
Bis dahin gilt: Langzeitmietverträge genießen besonderen Schutz. Das deutsche Mietrecht stellt den Schutz der Wohnraumnutzung über theoretische Überlegungen zur "Vererbbarkeit" von Mietrechten.
Die Entscheidung stärkt das Vertrauen in die Rechtssicherheit des deutschen Mietrechts. Mieter können darauf bauen, dass vertragliche Zusagen auch nach Jahrzehnten noch gelten. Vermieter wissen, dass nur sachlich gerechtfertigte Kündigungen Aussicht auf Erfolg haben.
Für beide Seiten schafft das Urteil Klarheit: Langzeitmiete ist kein Kündigungsgrund, sondern Ausdruck eines funktionierenden Mietverhältnisses.
Quelle: Landgericht Berlin II, Urteil vom 30.05.2024, Az. 65 S 189/23
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