Kündigung wegen Exhibitionismus: Auch Krankheit schützt nicht
Der Fall: Wiederholte Vorfälle trotz Abmahnungen
Ein Mieter bezog im September 2023 eine Wohnung in einer größeren Wohnanlage. Bereits kurz nach seinem Einzug kam es zu ersten Beschwerden der Nachbarn. Der Mieter zeigte sich wiederholt am Fenster seiner Wohnung unbekleidet und nahm dort sexuelle Handlungen an sich vor – und zwar so, dass Passanten und Mitbewohner ihn dabei sehen konnten.
Die Vorfälle häuften sich innerhalb weniger Tage. Ende Oktober und Anfang November 2023 dokumentierten mehrere Bewohner der Anlage zahlreiche solcher Situationen. Betroffene waren auch Eltern mit Kindern, die an der Wohnung vorbeiliefen oder -fuhren. Die Polizei wurde mehrfach gerufen, es erfolgten Strafanzeigen.
Die Reaktion der Vermieterin
Die Vermieterin reagierte zunächst mit einer Abmahnung wegen Störung des Hausfriedens. Diese ließ der Mieter über seine Betreuerin zurückweisen. Als die Vorfälle dennoch anhielten, sprach die Vermieterin eine weitere Abmahnung aus. Doch auch danach setzte sich das Verhalten fort – teilweise mehrfach am selben Tag.
Nach insgesamt mehr als einem Dutzend dokumentierter Vorfälle innerhalb weniger Tage kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich.
Zahlreiche Bewohner der Anlage hatten sich zudem in einer Unterschriftensammlung an die Vermieterin gewandt und die Kündigung des Mietverhältnisses gefordert.
Die Verteidigung: Psychische Erkrankung und Medikamente
Der Mieter widersprach der Kündigung durch seine Betreuerin. Er verwies darauf, dass er an einer psychischen Erkrankung leide und sich in psychiatrischer Behandlung befinde. Ein ihm verordnetes Medikament habe zu einem erhöhten sexuellen Druck geführt, den er nicht habe steuern können.
Der Mieter betonte, dass er niemals gewalttätig geworden sei und keine Gefahr für Kinder darstelle. Ärztliche Atteste bestätigten, dass bei ihm keine pädophile Störung vorliege. Zudem habe er eine Therapie begonnen und das Medikament wurde umgestellt. Das Fenster seiner Wohnung habe er gemeinsam mit seiner Betreuerin mit Sichtschutzfolie versehen.
Er machte geltend, dass Vermieter bei psychisch kranken Mietern ein erhöhtes Maß an Toleranz zeigen müssten. Die Wohnung sei ein wichtiger Rückzugsort für ihn, deren Verlust seinen Zustand verschlechtern würde. Außerdem sei die Wohnungssuche in der Stadt äußerst schwierig.
Was ist eine erhebliche Vertragsverletzung?
Das Gericht musste prüfen, ob das Verhalten des Mieters einen ausreichenden Kündigungsgrund darstellt. Nach dem Gesetz kann ein Vermieter das Mietverhältnis kündigen, wenn dem Mieter eine erhebliche Vertragsverletzung vorzuwerfen ist oder der Hausfrieden nachhaltig gestört wird.
Exhibitionismus ist eine sexuelle Vorliebe, bei der sich eine Person vor anderen entblößt oder bei sexuellen Handlungen zeigt. Dies ist eine Straftat.
Das Gericht stellte klar: Straftaten eines Mieters, die von seiner Wohnung aus gegenüber anderen Mietern begangen werden, stellen einen erheblichen Grund für die Beendigung des Mietverhältnisses dar.
Psychische Erkrankung schützt nicht vor Kündigung
Ein zentraler Streitpunkt war die Frage, ob die psychische Erkrankung des Mieters eine Kündigung ausschließt. Das Gericht verneinte dies deutlich.
Zwar ist bei psychisch kranken Mietern eine erhöhte Toleranz geboten. Die Belange aller Beteiligten – Vermieter, betroffener Mieter und andere Bewohner – müssen gegeneinander abgewogen werden. Bei einer Kündigung wegen Fehlverhaltens muss auch berücksichtigt werden, dass die Wohnung als Lebensmittelpunkt grundrechtlich geschützt ist.
Allerdings, so das Gericht: Wenn die Störungen das Maß des Zumutbaren überschreiten, tritt eine eingeschränkte oder fehlende Schuldfähigkeit zurück. Anders ausgedrückt: Auch wer für sein Verhalten möglicherweise nicht voll verantwortlich ist, kann gekündigt werden, wenn das Verhalten für andere nicht mehr tragbar ist.
Das Urteil: Ordentliche Kündigung wirksam
Das Gericht gab der Räumungsklage statt. Es entschied, dass zumindest die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung das Mietverhältnis wirksam beendet hat.
Bei der Abwägung berücksichtigte das Gericht verschiedene Faktoren: Das Mietverhältnis bestand erst seit kurzer Zeit. Der Mieter konnte daher keine besondere Verwurzelung am Wohnort geltend machen. Trotz umfangreicher therapeutischer und sozialer Unterstützung konnten die Vorfälle nicht verhindert werden. Die Wiederholung der Taten trotz Abmahnungen zeige die für solche Delikte typische Rückfallgefährdung.
Auf der anderen Seite erkannte das Gericht an, dass der Mieter psychisch krank ist und nicht gewalttätig wurde. Es gewährte ihm daher eine Räumungsfrist bis Ende März 2025, um eine neue Wohnung zu finden. Das Gericht verwies darauf, dass der Mieter ein Unterstützungssystem aus verschiedenen sozialen Einrichtungen habe, die bei der Wohnungssuche helfen könnten.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Dieses Urteil verdeutlicht wichtige Grundsätze für das Zusammenleben in Mehrfamilienhäusern.
Für Vermieter zeigt der Fall, dass sie bei schwerwiegenden Störungen des Hausfriedens handeln können und müssen – auch wenn der störende Mieter psychisch erkrankt ist. Eine ordnungsgemäße Dokumentation der Vorfälle und vorherige Abmahnungen sind dabei wichtig. Bei wiederholten schweren Verstößen ist eine Kündigung gerechtfertigt.
Für Mieter macht das Urteil deutlich, dass die eigene Wohnung kein rechtsfreier Raum ist. Wer von seiner Wohnung aus Handlungen vornimmt, die andere Bewohner erheblich belästigen oder gar Straftaten darstellen, riskiert seinen Mietvertrag. Eine psychische Erkrankung kann zwar zu mehr Verständnis und längeren Fristen führen, schützt aber nicht vor einer Kündigung, wenn das Verhalten für die Hausgemeinschaft unzumutbar wird.
Für Betroffene von Belästigungen ist wichtig zu wissen: Sie haben das Recht, solche Vorfälle zu dokumentieren und anzuzeigen. Dies ist keine Hetze, sondern ein berechtigtes Interesse an einem friedlichen Wohnumfeld. Der Vermieter kann auf Grundlage solcher Dokumentationen handeln.
Grundsätze des Urteils
- Exhibitionistische Handlungen gegenüber Mitmietern stellen eine erhebliche Vertragsverletzung und nachhaltige Störung des Hausfriedens dar
- Eine psychische Erkrankung oder Medikamentennebenwirkungen schließen eine Kündigung nicht aus
- Entscheidend ist, ob das Maß des Zumutbaren für die anderen Bewohner überschritten wird
- Bei der Interessenabwägung werden Dauer des Mietverhältnisses, Verwurzelung am Ort und Unterstützungsmöglichkeiten berücksichtigt
- Auch bei berechtigter Kündigung kann eine angemessene Räumungsfrist gewährt werden
Quelle: Amtsgericht München, Urteil vom 18.10.2024, Az. 411 C 10560/24
Kontaktieren Sie uns!
Die Informationen auf unserer Website dienen ausschließlich zu Informationszwecken. Sie ersetzen keine rechtliche Beratung, die auf Ihre individuelle Situation zugeschnitten ist. Bitte beachten Sie auch, dass sich die Rechtslage durch neue Gesetze und Urteile jederzeit ändern kann.
Für detaillierte Fragen oder eine individuelle Beratung stehen Ihnen die Experten unserer Kanzlei für Mietrecht in Essen zur Verfügung. Wir helfen Ihnen, die beste Strategie für Ihr spezifisches Anliegen zu entwickeln.
Ihr Recht ist unsere Leidenschaft!
Sie sind ratlos im Streit mit Ihrem Mieter oder Vermieter? Sie stehen vor komplexen Vertragsverhandlungen oder es geht um den Erwerb, Veräußerung oder Vererbung von Immobilieneigentum. Wir haben uns auf das private und gewerbliche Mietrecht, Immobilienrecht und Maklerrecht spezialisiert. Vertrauen Sie uns. Zögern Sie also nicht länger und holen Sie sich die Unterstützung, die ein professionelles Vorgehen ermöglicht. Lassen Sie uns gemeinsam eine Strategie für die Umsetzung Ihres Vorhabens besprechen.
Unsere digitale Kanzlei
Bei uns geht Recht vollkommen digital. Für Sie entscheidend: Sie können alles bequem von überall aus organisieren. Besuchen Sie unsere Webseite und buchen Sie ein Video-Meeting mit einem Anwalt. Ihre Unterlagen können Sie einfach uploaden. Selbst erforderliche Unterschriften können Sie bei uns digital leisten.
kostenlose Ersteinschätzung
Lassen Sie uns bei einem unverbindlichen Kennenlerngespräch über Ihre spezifischen rechtlichen Anliegen sprechen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Wenn Duschen zur Kündigung führt
Eigenbedarfskündigung scheitert bei mangelnder Begründung des Nutzungsinteresses
Suizidale Mieter können Kündigungsschutz geltend machen
