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Schadensersatz trotz freiwilligem Auszug bei Eigenbedarfskündigung

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Auch bei freiwilligem Auszug können Mieter Schadensersatz fordern, wenn der Vermieter den Eigenbedarf vorgetäuscht hat. Das Landgericht Kassel bestätigte: Vertrauen auf Vermieterangaben begründet Ansprüche.
älteres Paar steht mit Umzugskartons vor einem Haus
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Fall: 36 Jahre Wohnen, dann plötzlich Eigenbedarf

Familie M. lebte seit dem Jahr 1983 in einem Einfamilienhaus zur Miete. Über drei Jahrzehnte war das Haus ihr Zuhause geworden. Im Januar 2019 erreichte sie dann ein Schreiben ihres Vermieters, das ihr Leben grundlegend verändern sollte. Der neue Eigentümer kündigte das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs für seine Mutter.

Die Begründung klang nachvollziehbar: Die betagte Mutter des Vermieters sollte in das Nachbarhaus einziehen können, um in räumlicher Nähe zu ihrem Sohn zu leben. Für die Mieterfamilie, deren Ehemann schwer erkrankt war, bedeutete diese Kündigung jedoch einen schweren Einschnitt. Nach so vielen Jahren mussten sie sich eine neue Bleibe suchen.

Freiwilliger Auszug aus Vertrauen zum Vermieter

Die Mieter entschieden sich gegen einen langwierigen Rechtsstreit und suchten stattdessen eine neue Wohnung. Im April 2019 wurden sie fündig und schlossen einen neuen Mietvertrag ab. Bereits im Mai kündigten sie das alte Mietverhältnis und zogen im Juli 2019 aus. Sie gaben die Schlüssel ordnungsgemäß zurück und regelten alles einvernehmlich.

Was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnten: Der vermeintliche Eigenbedarf entpuppte sich als Vorwand. Schon wenige Monate später, im Oktober 2019, inserierte der Vermieter das Haus in Kleinanzeigen zur Vermietung. Von einem Einzug der Mutter war keine Rede mehr.

Verdächtige Wendung: Vom Eigenbedarf zur Neuvermietung

Die Anzeige ließ aufhorchen. Dort warb der Vermieter mit Formulierungen wie "lassen Sie Ihren kleinen Traum wahr werden" und "das Haus kann nach eigenen Wünschen gestaltet werden". Nichts deutete darauf hin, dass es sich um eine vorübergehende Zwischenvermietung handeln sollte. Im April 2020 vermietete der Eigentümer das Haus schließlich dauerhaft an neue Mieter.

Die ursprünglichen Mieter erkannten, dass sie getäuscht worden waren. Der angebliche Eigenbedarf hatte nie bestanden. Stattdessen wollte der Vermieter offensichtlich die langzeitigen Mieter loswerden, um das Objekt gewinnbringender zu vermieten.

Schadensersatzklage trotz freiwilligem Auszug

Familie M. entschied sich zur Klage und forderte Schadensersatz in Höhe von mehreren tausend Euro. Die Forderungen umfassten Umzugskosten, Anwaltsgebühren, die Differenz zur höheren neuen Miete, Kosten für übernommene Einrichtungsgegenstände und eine Entschädigung für den eigenen Arbeitsaufwand beim Umzug.

Der Vermieter argumentierte, er habe zunächst tatsächlich geplant, seine Mutter in das Haus ziehen zu lassen. Erst während der Corona-Pandemie im März 2020 sei gemeinsam mit seiner Mutter entschieden worden, von diesem Plan abzusehen. Die 80-jährige Mutter habe aus Angst vor einer Ansteckung nicht mehr umziehen wollen.

Gericht durchschaut die Ausreden

Das Landgericht Kassel ließ sich von diesen Ausreden nicht überzeugen. Die Richter stellten fest, dass der Vermieter bereits im Oktober 2019 begonnen hatte, das Haus zur Vermietung anzubieten. Zu diesem Zeitpunkt war von Corona noch nichts bekannt. Die Argumentation des Vermieters war nicht plausibel.

Besonders schwer wog, dass der Vermieter trotz des angeblich bestehenden Eigenbedarfs keine konkreten Vorbereitungen für den Umzug seiner Mutter getroffen hatte. Weder wurden Renovierungsmaßnahmen für einen altersgerechten Umbau eingeleitet, noch gab es Gespräche über den Verkauf der Eigentumswohnung der Mutter.

Strenge Anforderungen an Vermieterdarlegung

Das Gericht betonte die hohen Anforderungen, die an Vermieter gestellt werden, wenn der vorgebrachte Eigenbedarf nicht umgesetzt wird. Setzt ein Vermieter den behaupteten Selbstnutzungswillen nach Auszug des Mieters nicht um oder entfällt der Eigenbedarf schon nach kurzer Zeit, muss er substantiiert und plausibel darlegen, warum der ursprünglich vorgebrachte Nutzungswunsch nachträglich weggefallen ist.

Diese Darlegungslast erfüllte der Vermieter nicht. Seine Behauptungen waren widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Eigenbedarf von Anfang an vorgetäuscht war.

Kausalität trotz freiwilligem Auszug bejaht

Entscheidend war die Frage, ob die Mieter auch dann Schadensersatz verlangen können, wenn sie freiwillig ausgezogen sind, ohne die Kündigung gerichtlich anzufechten. Das Gericht bejahte dies ausdrücklich. Die Kausalität zwischen der unrechtmäßigen Kündigung und dem Schaden bleibt auch dann bestehen, wenn der Mieter freiwillig auszieht, weil er den Angaben des Vermieters vertraut hat.

Die Mieter hatten keinen Anlass, den Vermieterangaben zu misstrauen. Die vorgebrachte Begründung war nachvollziehbar und plausibel erschienen. Unter diesen Umständen war es den Mietern nicht zumutbar, einen langwierigen und kostspieligen Räumungsprozess zu riskieren.

Umfassender Schadensersatz zugesprochen

Das Gericht sprach der Klägerin Schadensersatz in Höhe von fast 15.000 Euro zu. Darin enthalten waren die Umzugskosten der beauftragten Firma, Anwaltsgebühren, die monatliche Mietdifferenz für dreieinhalb Jahre, Kosten für übernommene Einrichtungsgegenstände in der neuen Wohnung sowie eine Entschädigung für den erheblichen eigenen Arbeitsaufwand beim Umzug.

Besonders bemerkenswert: Das Gericht erkannte auch die Eigenleistungen der Mieterin an. Für 440 Stunden Arbeitszeit beim Ausräumen, Aussortieren und Einrichten wurde eine Entschädigung von zehn Euro pro Stunde zugesprochen. Die Richter würdigten damit den erheblichen persönlichen Aufwand, den ein Umzug nach 35 Jahren Wohndauer mit sich bringt.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil stärkt die Rechte von Mietern erheblich. Es zeigt, dass auch ein freiwilliger Auszug nach einer Eigenbedarfskündigung nicht automatisch bedeutet, auf Schadensersatzansprüche zu verzichten. Vermieter können sich nicht darauf berufen, dass Mieter hätten prozessieren müssen, wenn die Eigenbedarfskündigung auf den ersten Blick plausibel erschien.

Für Mieter ist wichtig: Dokumentieren Sie alle Umstände rund um eine Eigenbedarfskündigung sorgfältig. Beobachten Sie, was mit der Wohnung nach Ihrem Auszug geschieht. Wird sie rasch anderweitig vermietet oder zum Verkauf angeboten, kann dies ein Indiz für vorgetäuschten Eigenbedarf sein. Lassen Sie sich in solchen Fällen rechtlich beraten.

Vermieter sollten sich bewusst machen, dass eine Eigenbedarfskündigung nur bei ernsthaftem und konkretem Nutzungswunsch zulässig ist. Vorratskündigungen oder das bloße Vortäuschen von Eigenbedarf können teuer werden. Die Schadensersatzansprüche können erheblich sein und über viele Jahre laufen.

Das Urteil zeigt auch: Gerichte prüfen Eigenbedarfskündigungen sehr genau und lassen sich nicht mit fadenscheinigen Begründungen abspeisen. Vermieter müssen bei nachträglichem Wegfall des Eigenbedarfs sehr hohe Darlegungsanforderungen erfüllen, um nicht schadensersatzpflichtig zu werden.

Quelle: Landgericht Kassel, Urteil vom 23.11.2023, Az. 1 S 222/22

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