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Vermieter darf Mieter nicht „ins Messer" laufen lassen

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Vermieter können nicht einfach 16 Monate warten und dann wegen Zahlungsverzug kündigen, wenn für sie erkennbar war, dass der Mieter von einer korrekten Zahlung ausging.
Junge Frau mit verschränkten Armen vor einem Mietshaus
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Wenn Mieterhöhungen zu Missverständnissen führen

Ein aktueller Fall aus Gießen zeigt eindrucksvoll, wie schnell Mieterhöhungen zu rechtlichen Problemen führen können. Eine Vermieterin wollte ihre langjährigen Mieter aus der Wohnung kündigen, weil diese angeblich zu wenig Miete zahlten. Das Amtsgericht Gießen machte jedoch deutlich: Wer als Vermieter über Monate hinweg Zahlungen akzeptiert, kann nicht plötzlich wegen Zahlungsverzug kündigen.

Der Fall begann mit einem Mietvertrag aus dem Jahr 1996. Die ursprünglich vereinbarte Miete betrug nach der Euro-Umstellung rund 603 Euro warm. Die Mieter zahlten jedoch seit 2013 nur 500 Euro monatlich. Erstaunlich: Die Vermieterin akzeptierte diese Zahlungen jahrelang widerspruchslos.

Mieterhöhung schafft neue Verwirrung

Im Februar 2022 forderte die Vermieterin eine Mieterhöhung auf 600 Euro. Die Mieter stimmten zu und zahlten ab Mai 2022 diese Summe. Doch hier lag der Hund begraben: Die Vermieterin war der Ansicht, dass zusätzlich zu den 600 Euro noch weitere Nebenkosten in Höhe von etwa 102 Euro zu zahlen seien. Ihrer Meinung nach schuldeten die Mieter also insgesamt rund 702 Euro.

Die Mieter gingen jedoch davon aus, dass die 600 Euro die Gesamtmiete darstellten. Sie zahlten diese Summe 16 Monate lang pünktlich. Erst im August 2023 sprach die Vermieterin eine fristlose Kündigung aus. Ihr Argument: Die Mieter seien mit über 1.600 Euro im Verzug, da sie monatlich etwa 102 Euro zu wenig gezahlt hätten.

Gericht sieht Rechtsmissbrauch

Das Amtsgericht Gießen wies die Räumungsklage ab und stellte klar: Eine solche Kündigung ist rechtsmissbräuchlich. Die Vermieterin hätte nicht 16 Monate warten dürfen, bis der vermeintliche Zahlungsrückstand eine kündigungsrelevante Höhe erreichte.

Entscheidend war für das Gericht, dass für die Vermieterin erkennbar gewesen sein musste, dass die Mieter von einer vollständigen Zahlung des geschuldeten Mietzinses ausgingen. Die Mieter hatten ihre Zahlungen nach der Mieterhöhung von 500 auf 600 Euro erhöht, genau wie von der Vermieterin gefordert.

Abmahnung hätte Klarheit geschaffen

Das Gericht betonte: Bei einem offenkundigen Missverständnis über die Miethöhe muss der Vermieter zunächst abmahnen. Eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung ist in solchen Fällen unzulässig. Die Vermieterin hätte die Mieter darüber informieren müssen, dass ihrer Ansicht nach noch zusätzliche Nebenkosten zu zahlen seien.

Besonders problematisch war aus Sicht des Gerichts, dass die monatliche Differenz von etwa 102 Euro exakt der ursprünglich vereinbarten Nebenkostenvorauszahlung entsprach. Dies verstärkte den Eindruck, dass es sich um ein Missverständnis über die Auslegung der Mieterhöhung handelte.

Kellerräume als eigenständige Wohnung anerkannt

Neben der Zahlungsverzugskündigung hatte die Vermieterin auch eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen. Ihr Argument: Das Gebäude habe nur zwei Wohnungen, weshalb die strengeren Regelungen für Zweifamilienhäuser gelten würden. Das Gericht sah dies anders.

Die Kellerräume des Hauses stellten nach Ansicht des Gerichts eine eigenständige dritte Wohnung dar. Diese verfügten über alle notwendigen Einrichtungen für eine selbstständige Haushaltsführung: eine Kochgelegenheit, Sanitäranlagen mit Dusche, WC und Waschbecken sowie eine eigenständige Heizung. Auch ein separater Stromzähler war vorhanden.

Räumliche Abgeschlossenheit trotz Heizungskeller

Die Vermieterin argumentierte, die Kellerräume könnten keine eigenständige Wohnung sein, da der Flur der einzige Zugang zum Heizungskeller des gesamten Gebäudes sei. Das Gericht ließ dieses Argument nicht gelten. Eine räumliche Abgeschlossenheit sei auch dann gegeben, wenn der Vermieter gelegentlich Zugang zum Heizungskeller benötige. Solche Besuche seien nur in größeren zeitlichen Abständen erforderlich und könnten mit dem Mieter abgesprochen werden.

Auch dass einer der Kellerräume als Durchgang zur Garage genutzt wurde, störte die Einordnung als Wohnung nicht. Die Garage war zusätzlich von außen erreichbar, und der betreffende Raum war durch eine eigene Tür vom Hauptbereich abgetrennt.

Verkehrsanschauung entscheidet

Für die Beurteilung, ob Räumlichkeiten eine eigenständige Wohnung darstellen, ist die Verkehrsanschauung maßgebend, nicht die baurechtliche Genehmigung. Das Gericht stellte fest, dass die Kellerräume über eine wohnliche Ausstattung verfügten: Vinylböden, Raufasertapete, Tageslichtfenster und Heizkörper mit eigener Messeinrichtung.

Ursprünglich war sogar eine eigene Klingel für die Kellerräume vorhanden gewesen. All diese Faktoren sprachen dafür, dass die Räume für eine eigenständige Haushaltsführung geeignet und als Wohnung anzusehen waren.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil enthält wichtige Lehren sowohl für Mieter als auch für Vermieter. Vermieter sollten bei Unklarheiten über die Miethöhe nicht monatelang zuwarten. Wenn sie der Ansicht sind, dass zu wenig Miete gezahlt wird, müssen sie dies zeitnah und klar kommunizieren. Eine Abmahnung ist in solchen Fällen unverzichtbar.

Für Mieter zeigt der Fall, wie wichtig es ist, Mieterhöhungen genau zu verstehen. Bei Unklarheiten sollten sie nachfragen, ob die geforderte Summe die Gesamtmiete oder nur die Kaltmiete darstellt. Schriftliche Bestätigungen helfen, spätere Missverständnisse zu vermeiden.

Eigenbedarfskündigungen bei Mehrfamilienhäusern

Das Urteil macht auch deutlich, dass Kellerräume durchaus als eigenständige Wohnungen anerkannt werden können. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf Eigenbedarfskündigungen. In Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen gelten andere, oft mieterfreundlichere Regelungen als in reinen Zweifamilienhäusern.

Vermieter sollten daher vor einer Eigenbedarfskündigung sorgfältig prüfen, ob ihr Gebäude tatsächlich nur zwei Wohnungen aufweist. Auch scheinbar untergeordnete Räume wie Souterrain-Wohnungen können rechtlich als vollwertige Wohnungen gelten, wenn sie über die notwendige Ausstattung verfügen.

Lehren für die Praxis

Kommunikation ist der Schlüssel zur Vermeidung solcher Streitigkeiten. Vermieter sollten Mieterhöhungen so formulieren, dass eindeutig erkennbar ist, welche Beträge geschuldet werden. Begriffe wie "Warmmiete", "Gesamtmiete" oder "zuzüglich Nebenkosten" schaffen Klarheit.

Wenn Mieter nach einer Mieterhöhung andere Beträge zahlen als erwartet, sollten Vermieter umgehend reagieren. Ein klärendes Gespräch oder eine schriftliche Mitteilung können oft Missverständnisse ausräumen und rechtliche Konflikte vermeiden.

Das Gießener Urteil zeigt: Wer als Vermieter seine Mieter sehenden Auges "ins Messer laufen lässt" und erst nach Monaten reagiert, riskiert den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs. Rechtzeitige Kommunikation schützt beide Seiten vor unnötigen Rechtsstreitigkeiten und erhält das Vertrauensverhältnis zwischen Mieter und Vermieter.


Quelle: AG Gießen, Urteil vom 17.01.2025 - 46 C 55/24

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