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Kündigung nach tätlichem Angriff

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Körperliche Gewalt gegen den Vermieter kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen - doch was passiert, wenn der Vorfall nicht eindeutig bewiesen werden kann? Ein aktueller Fall zeigt die hohen Hürden bei der Beweiswürdigung.
junge Frau auf einer Leiter repariert ein Loch in der Decke
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Ausgangspunkt: Streit bei Schadensbesichtigung

Ein Mietverhältnis, das seit über 20 Jahren bestand, endete vor Gericht. Bei Dacharbeiten war in der Mietwohnung ein Schaden an der Decke entstanden. Als die Vermieterin die beschädigte Stelle begutachten wollte, kam es zu einem folgenschweren Zwischenfall.

Die Vermieterin beabsichtigte, das entstandene Loch mit Klebeband zu verschließen, um zu verhindern, dass weiterer Staub in die Wohnung eindringt und die Tapete weiter beschädigt wird. Genau in diesem Moment soll sich der Konflikt zugespitzt haben.

Nach Darstellung der Vermieter packte die Mieterin die Vermieterin "mit aller Kraft an beiden Unterarmen und schubste sie weg". Die Vermieterin verließ daraufhin unter Schock die Wohnung und suchte ärztliche Hilfe auf. An beiden Unterarmen entstanden Blutergüsse mit einem Durchmesser von etwa zwei Zentimetern.

Die rechtlichen Konsequenzen: Fristlose Kündigung ausgesprochen

Aufgrund dieses Vorfalls sprachen die Vermieter eine fristlose Kündigung aus. Sie argumentierten, dass ein weiteres Zusammenleben mit der Mieterin unzumutbar sei. Zusätzlich zur angeblichen Körperverletzung führten sie an, dass die Mieterin bereits mehrere Gerichtsverfahren gegen sie eingeleitet hatte.

Die rechtliche Grundlage für ihre Kündigung sahen die Vermieter in § 543 BGB. Dieser Paragraph ermöglicht eine außerordentliche Kündigung, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und die Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar ist.

Grundsätzlich gilt: Körperverletzungen und Tätlichkeiten gegenüber dem Vermieter sind durchaus geeignet, eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung zu rechtfertigen. Das ist in der Rechtsprechung anerkannt.

Die Gegendarstellung der Mieterin

Die Mieterin bestritt den Vorwurf der Körperverletzung vollständig. Ihre Version der Ereignisse klang deutlich anders: Sie habe die Vermieterin lediglich davon abhalten wollen, die schadhaften Stellen zu überkleben. Als Begründung führte sie an, dass sie die Schäden für eine spätere Beweissicherung unverändert lassen wollte.

Nach ihrer Darstellung habe sie mehrfach "Stopp" gesagt und sei dann mit dem Arm vorgeschossen, um mit der Hand gegen die Wand zu halten, wo die Vermieterin das Klebeband anbringen wollte. Die Vermieterin habe sich daraufhin erschreckt und sei zurückgewichen. Zu einem körperlichen Kontakt zwischen den Personen sei es nicht gekommen.

Die Herausforderung der Beweiswürdigung

Das Amtsgericht Paderborn stand vor einem klassischen Dilemma: Zwei Personen schildern denselben Vorfall völlig unterschiedlich. Zeugen waren nicht vorhanden, die Polizei wurde nicht verständigt. Es stand Aussage gegen Aussage.

In solchen Fällen greift die freie Beweiswürdigung nach § 286 ZPO. Das bedeutet, dass das Gericht nach seiner Überzeugung entscheiden muss, welche Version der Wahrheit entspricht. Dabei reicht es nicht aus, eine Version für wahrscheinlicher zu halten - das Gericht muss von der Wahrheit einer Behauptung überzeugt sein.

Das Gericht führte persönliche Anhörungen beider Parteien durch und bewertete auch das vorgelegte ärztliche Attest. Dieses bestätigte zwar die Verletzungen an den Unterarmen der Vermieterin, konnte aber nicht klären, wie diese entstanden waren.

Die richterliche Entscheidung und ihre Begründung

Das Amtsgericht wies die Räumungsklage ab. Die entscheidende Begründung: Der angebliche tätliche Angriff konnte nicht mit der erforderlichen Gewissheit bewiesen werden.

Das Gericht stellte fest, dass beide Schilderungen grundsätzlich lebensnah und glaubwürdig wirkten. Sowohl die Vermieterin als auch die Mieterin schilderten ihre Empfindungen und Gedankengänge detailliert. Der Vorfall könne sich ebenso zugetragen haben, wie ihn die eine oder die andere Partei beschrieb.

Besonders problematisch war die zeitliche Lücke: Die Verletzungen wurden erst fünf Tage nach dem angeblichen Vorfall ärztlich dokumentiert. Selbst wenn die Verletzungen zweifelsfrei nachgewiesen wären, bedeutet das nicht automatisch, dass sie durch den geschilderten Vorfall entstanden sind.

Hohe Anforderungen an den Vollbeweis

Das Urteil verdeutlicht die hohen Anforderungen, die das Recht an den sogenannten Vollbeweis stellt. Es genügt nicht, dass eine Version wahrscheinlicher erscheint als die andere. Das Gericht muss vielmehr "einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit" erlangen, der etwaige Zweifel zum Schweigen bringt.

Diese Hürde ist bewusst hoch gesetzt. Schließlich hat eine fristlose Kündigung schwerwiegende Folgen für den Mieter, der seine Wohnung verliert. Entsprechend streng sind die Anforderungen an den Nachweis eines wichtigen Grundes.

Weitere Kündigungsgründe gescheitert

Die Vermieter hatten auch versucht, die Kündigung auf § 569 BGB zu stützen. Dieser Paragraph ermöglicht eine Kündigung bei nachhaltiger Störung des Hausfriedens. Doch auch hier scheiterten sie, da der körperliche Angriff nicht bewiesen werden konnte.

Interessant ist die Bewertung der parallel laufenden Gerichtsverfahren: Die Mieterin hatte weitere Klagen gegen die Vermieter eingereicht. Das Gericht stellte jedoch klar, dass das Anstrengen von Gerichtsverfahren grundsätzlich keinen Kündigungsgrund darstellt. Jeder hat das Recht, seine Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil sendet wichtige Signale sowohl für Vermieter als auch für Mieter. Für Vermieter bedeutet es, dass sie bei schwerwiegenden Vorwürfen wie Körperverletzung eine sehr sorgfältige Dokumentation benötigen. Folgende Punkte sind zu beachten:

Sofortige Dokumentation ist entscheidend: Wenn es zu körperlichen Auseinandersetzungen kommt, sollten Verletzungen unmittelbar ärztlich dokumentiert werden. Je länger der zeitliche Abstand, desto schwieriger wird der Beweis für den Zusammenhang zwischen Vorfall und Verletzung.

Zeugen können den Unterschied machen: Wenn möglich, sollten unabhängige Personen als Zeugen hinzugezogen werden. In diesem Fall war niemand anwesend, was die Beweisführung erheblich erschwerte.

Polizei einschalten: Bei körperlichen Angriffen empfiehlt sich das sofortige Hinzuziehen der Polizei. Dies schafft eine objektive Dokumentation des Vorfalls und kann später als Beweismittel dienen.

Für Mieter zeigt das Urteil, dass sie nicht schutzlos sind, wenn ihnen schwerwiegende Vorwürfe gemacht werden. Die Beweislast liegt beim Vermieter, der den Kündigungsgrund darlegen und beweisen muss. Bloße Behauptungen reichen nicht aus.

Präventive Maßnahmen für beide Seiten

Konflikte bei Wohnungsbesichtigungen lassen sich oft vermeiden. Beide Seiten sollten rechtzeitig kommunizieren und Termine abstimmen. Bei größeren Reparaturen empfiehlt es sich, schriftlich zu dokumentieren, welche Maßnahmen geplant sind und wie dabei vorgegangen wird.

Für Vermieter: Kündigen Sie Besichtigungstermine rechtzeitig an und erläutern Sie den Zweck. Bringen Sie wenn möglich eine neutrale Person mit, die als Zeuge fungieren kann.

Für Mieter: Sie haben das Recht, bei Besichtigungen anwesend zu sein und den Zustand der Wohnung zu dokumentieren. Wenn Sie mit geplanten Maßnahmen nicht einverstanden sind, teilen Sie dies sachlich mit und suchen Sie gemeinsam nach Lösungen.

Fazit: Beweis entscheidet über Kündigungserfolg

Das Urteil des Amtsgerichts Paderborn zeigt exemplarisch, wie wichtig eine saubere Beweisführung bei fristlosen Kündigungen ist. Obwohl körperliche Angriffe grundsätzlich einen wichtigen Grund für die sofortige Beendigung des Mietverhältnisses darstellen können, müssen sie auch zweifelsfrei nachgewiesen werden.

Die hohen Anforderungen der Rechtsprechung schützen Mieter vor unbegründeten Kündigungen, verlangen aber von Vermietern eine umfassende Dokumentation schwerwiegender Vorfälle. In Zweifelsfällen gilt: Im Zweifel für den Mieter - ein Grundsatz, der die Bedeutung des Wohnraums als existenzielles Gut unterstreicht.


Quelle: AG Paderborn, Urteil vom 24.10.2024 - 50b C 91/24

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