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Dachziegel trifft Auto: Wann haftet die Hausverwaltung?

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Ein herabfallender Dachziegel kann teuer werden – nicht nur für den Geschädigten. Das Landgericht Frankfurt zeigt: Hausverwaltungen müssen für ordentliche Dachwartung sorgen, sonst drohen hohe Schadensersatzforderungen.
Mehrfamilienhaus mit defekten Dachziegeln
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Fall: Wenn der Wind zum teuren Problem wird

An einem stürmischen Märztag passierte in Frankfurt am Main, was niemand erwartet: Ein Dachziegel löste sich von einem Wohngebäude und krachte direkt auf das Dach eines parkenden Autos. Der Schaden belief sich auf mehrere tausend Euro. Die Kaskoversicherung des Autobesitzers sprang ein und regulierte den Schaden. Doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Die Versicherung wollte ihr Geld zurück und verklagte die Hausverwaltung des betroffenen Gebäudes.

Was auf den ersten Blick wie ein unglücklicher Zufall aussieht, entwickelte sich zu einem jahrelangen Rechtsstreit. Die zentrale Frage: Hätte die Hausverwaltung den Schaden verhindern können? Das Landgericht Frankfurt am Main hatte darüber zu entscheiden und kam zu einem eindeutigen Ergebnis, das für alle Hausverwaltungen und Eigentümergemeinschaften von großer Bedeutung ist.

Windstärke 7-8: Höhere Gewalt oder vermeidbar?

Bei dem Schadensereignis herrschte eine Windstärke von 7-8 Beaufort. Das entspricht einem stürmischen Wind mit Geschwindigkeiten zwischen 50 und 74 Stundenkilometern. Für viele mag das nach außergewöhnlichen Wetterbedingungen klingen, doch das Gericht sah das anders.

Die rechtliche Einordnung war eindeutig: Ein stürmischer Wind ist kein außergewöhnliches Naturereignis. Gebäude müssen so errichtet und unterhalten werden, dass sie normalen Witterungsbedingungen standhalten. Erst ab Windgeschwindigkeiten von über 118 Stundenkilometern, was einem Orkan entspricht, könnte von höherer Gewalt gesprochen werden. Das bedeutet im Klartext: Dächer müssen auch bei stürmischem Wetter sicher sein.

Das Gericht stellte fest, dass die Lebenserfahrung dafür spricht: Wenn sich Gebäudeteile bei normalen Witterungseinflüssen lösen, ist entweder beim Bau gepfuscht worden oder die Wartung war mangelhaft. Diese Vermutung, juristisch als Anscheinsbeweis bezeichnet, musste die beklagte Hausverwaltung widerlegen – was ihr nicht gelang.

Die Pflichten einer Hausverwaltung: Mehr als nur Sichtkontrollen

Die beklagte Verwaltung war seit 2015 für die Wohnungseigentumsanlage zuständig. Das Dach war 2009/2010 komplett neu errichtet worden und schien auf den ersten Blick in gutem Zustand zu sein. Der bei der Verwaltung angestellte Objektbetreuer hatte das Gebäude regelmäßig besucht und dabei auch das Dach in Augenschein genommen – allerdings nur von der Straße aus.

Genau hier lag das Problem. Das Gericht machte unmissverständlich klar: Bloße Sichtprüfungen von der Straße aus reichen nicht aus. Eine ordnungsgemäße Überwachung erfordert regelmäßige Kontrollen durch fachkundiges Personal. Ein Objektbetreuer ohne spezielle Ausbildung im Dachdeckerhandwerk kann mögliche Schäden oder Schwachstellen nicht zuverlässig erkennen.

Die Verwaltung argumentierte, sie habe ihre Kontrollpflichten erfüllt. Schließlich sei der Objektbetreuer kurz vor dem Schadensereignis noch dreimal vor Ort gewesen und habe keine Auffälligkeiten festgestellt. Doch das Gericht ließ dieses Argument nicht gelten. Wenn jemand nicht die nötige Fachkenntnis besitzt, kann er auch keine fachgerechte Kontrolle durchführen. Es ist, als würde man einen Laien bitten, den Motor eines Autos zu überprüfen – ohne entsprechende Kenntnisse wird er viele Probleme schlicht nicht erkennen können.

Der Anscheinsbeweis: Die Beweislast liegt bei der Verwaltung

Ein wichtiger Aspekt des Urteils ist der sogenannte Anscheinsbeweis. Dieser besagt vereinfacht: Wenn sich bei normalem Wind ein Dachziegel löst, spricht die Lebenserfahrung dafür, dass etwas nicht in Ordnung war. Die Verwaltung muss dann beweisen, dass sie alles Erforderliche getan hat, um solche Schäden zu verhindern.

Die Verwaltung versuchte, diesen Beweis zu führen. Sie berief sich darauf, dass das Dach erst gut zehn Jahre alt war und bei den Sichtkontrollen keine Mängel erkennbar gewesen seien. Außerdem behauptete sie, selbst Fachleute hätten die Schadensursache nicht erkennen können. Nach dem Schadensereignis beauftragte Dachdecker hätten festgestellt, dass bei einer normalen Wartung die Probleme nicht aufgefallen wären.

Doch das Gericht war nicht überzeugt. Die entscheidende Frage war: Wurde überhaupt eine fachgerechte Wartung durchgeführt? Die Antwort lautete: Nein. Seit der Errichtung des Daches war über zehn Jahre lang keine einzige professionelle Dachwartung erfolgt.

Wartungsintervalle: Was sagen die Fachregeln?

Besonders interessant sind die vom Gericht herangezogenen Empfehlungen des Deutschen Dachdeckerhandwerks. Diese sehen vor, dass Dächer ab dem sechsten Jahr nach der Errichtung alle drei Jahre gewartet werden sollten. Im konkreten Fall hätte das bedeutet: erste Wartung 2015, zweite Wartung 2018, dritte Wartung 2021.

Tatsächlich hatte die Verwaltung erst Ende 2020 den Eigentümern eine Dachwartung empfohlen. Diese wurde zwar beschlossen, aber witterungsbedingt nicht sofort durchgeführt. Als es dann im März 2021 zum Schadensereignis kam, war noch immer keine professionelle Wartung erfolgt. Das Gericht stellte fest: Nach über zehn Jahren ohne Wartung war der Schaden vorhersehbar.

Die Verwaltung hatte argumentiert, ohne konkreten Anlass seien keine Wartungsverträge abzuschließen. Doch das Gericht sah das anders. Gerade bei Dächern, von denen erhebliche Gefahren für Passanten und parkende Fahrzeuge ausgehen können, sind regelmäßige fachkundige Kontrollen unerlässlich. Je älter das Gebäude und seine Dachkonstruktion, desto wichtiger werden diese Kontrollen.

Die rechtlichen Grundlagen der Haftung

Die Haftung der Verwaltung ergibt sich aus mehreren Rechtsgrundlagen. Zum einen greift die allgemeine Verkehrssicherungspflicht. Wer ein Gebäude unterhält, muss dafür sorgen, dass von diesem keine Gefahren für Dritte ausgehen. Diese Pflicht trifft grundsätzlich die Eigentümer, wird aber auf die Hausverwaltung übertragen, wenn diese die Verwaltung des Gebäudes übernommen hat.

Das Wohnungseigentumsgesetz verpflichtet Verwalter ausdrücklich zur ordnungsgemäßen Instandhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums. Dazu gehört auch die regelmäßige Kontrolle und Wartung des Daches. Der Verwalter muss nicht selbst aufs Dach steigen, aber er muss dafür sorgen, dass dies durch qualifizierte Fachkräfte geschieht.

Interessant ist, dass der Verwalter nicht eigenständig Wartungsverträge abschließen muss. Seine Pflicht besteht darin, rechtzeitig eine Beschlussfassung der Eigentümergemeinschaft über notwendige Wartungsmaßnahmen herbeizuführen. Hat er dies versäumt oder zu spät getan, haftet er für entstehende Schäden.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt hat weitreichende Konsequenzen für verschiedene Personengruppen.

Für Hausverwaltungen bedeutet das Urteil, dass sie ihre Kontroll- und Überwachungspflichten sehr ernst nehmen müssen. Regelmäßige Begehungen durch den Hausmeister reichen nicht aus. Stattdessen müssen in regelmäßigen Abständen Fachfirmen mit der Wartung beauftragt werden. Die Kosten hierfür müssen von der Eigentümergemeinschaft getragen werden, aber die Initiative muss von der Verwaltung ausgehen.

Wohnungseigentümer sollten darauf achten, dass ihre Verwaltung rechtzeitig Wartungsmaßnahmen vorschlägt und diese auch durchführen lässt. Lehnt die Eigentümergemeinschaft notwendige Wartungen ab, kann dies im Schadensfall zur Haftung der Eigentümer führen. Die Verwaltung sollte sich solche Ablehnungen schriftlich bestätigen lassen, um sich abzusichern.

Für Geschädigte zeigt das Urteil, dass sie gute Chancen haben, Schadensersatz zu erhalten, wenn Gebäudeteile bei normalem Wetter herabfallen. Der Anscheinsbeweis arbeitet zu ihren Gunsten. Die Gebäudeverantwortlichen müssen dann beweisen, dass sie alle erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen getroffen haben.

Praktische Tipps zur Schadensvermeidung

Um ähnliche Schadensfälle zu vermeiden, sollten Hausverwaltungen und Eigentümergemeinschaften folgende Maßnahmen ergreifen:

Erstellen Sie einen Wartungsplan für das Dach und andere sicherheitsrelevante Gebäudeteile. Orientieren Sie sich dabei an den Empfehlungen der Fachverbände. Dokumentieren Sie alle durchgeführten Kontrollen und Wartungen sorgfältig. Im Streitfall müssen Sie nachweisen können, dass Sie Ihren Pflichten nachgekommen sind.

Beauftragen Sie ausschließlich qualifizierte Fachfirmen mit Wartungsarbeiten. Lassen Sie sich Wartungsprotokolle aushändigen und bewahren Sie diese auf. Bei festgestellten Mängeln sollten diese umgehend behoben werden. Die Kosten für präventive Wartung sind in jedem Fall geringer als mögliche Schadensersatzforderungen.

Nach Sturmereignissen sollte zeitnah eine Kontrolle des Daches erfolgen, auch wenn keine sichtbaren Schäden erkennbar sind. Wind kann Befestigungen lockern, die dann beim nächsten Sturm zu Problemen führen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen ältere Dächer. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko von Schäden. Die Wartungsintervalle sollten entsprechend angepasst werden.

Fazit: Vorsorge ist besser als Nachsorge

Das Urteil des Landgerichts Frankfurt macht deutlich: Bei der Gebäudesicherheit gibt es keine Kompromisse. Hausverwaltungen tragen eine große Verantwortung für die Sicherheit von Bewohnern und Passanten. Diese Verantwortung können sie nur durch regelmäßige, fachkundige Wartung erfüllen.

Die Kosten für eine professionelle Dachwartung mögen auf den ersten Blick hoch erscheinen. Doch sie sind eine notwendige Investition in die Sicherheit und können vor erheblichen Schadensersatzforderungen schützen. Ein einziger herabfallender Dachziegel kann schnell mehrere tausend Euro kosten – von möglichen Personenschäden ganz zu schweigen.

Das Argument, man habe nichts gesehen und deshalb sei keine Wartung nötig gewesen, zieht vor Gericht nicht. Gerade weil Laien viele Probleme nicht erkennen können, ist die regelmäßige Kontrolle durch Fachleute so wichtig. Wer hier spart, spart am falschen Ende und riskiert nicht nur finanzielle Verluste, sondern auch die Sicherheit anderer Menschen.


Quelle: LG Frankfurt/Main, Urteil vom 28.05.2025 - 2-01 S 68/24

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