Wohnrecht bei Immobilienverrentung: Anspruch auf faires Angebot
Der Fall: Vom Eigenheim ins Pflegeheim
Ein älteres Ehepaar entschied sich für ein Immobilienverrentungsmodell, das gerade bei Senioren zunehmend beliebt ist. Sie übertrugen ihr Eigenheim an ein spezialisiertes Unternehmen und erhielten im Gegenzug monatliche Rentenzahlungen sowie ein lebenslanges Wohnrecht. Der notarielle Kaufvertrag enthielt eine besondere Klausel: Falls sich nach mindestens fünf Jahren ihre Lebensplanung ändern sollte und sie ausziehen müssten, verpflichtete sich das Unternehmen, ein Angebot zum Abkauf des Wohnrechts zu unterbreiten.
Genau diese Situation trat ein. Nach dem Tod ihres Ehemanns und aufgrund eigener gesundheitlicher Probleme musste die Seniorin ins Pflegeheim umziehen. Ihr gesetzlicher Betreuer forderte das Unternehmen auf, ein Angebot gemäß der vertraglichen Vereinbarung abzugeben. Das Unternehmen kam dieser Aufforderung zwar nach, doch die Höhe des Angebots wurde zum Streitpunkt.
Wie viel ist ein Wohnrecht wert?
Das Unternehmen bot zunächst einen bestimmten Betrag an, später sogar noch weniger. Der Betreuer der Seniorin hielt diese Summen für deutlich zu niedrig. Das zuständige Betreuungsgericht lehnte die Annahme des Angebots ab, weil es nicht der vertraglich vereinbarten Höhe entsprach. Daraufhin beauftragte der Betreuer einen Rechtsanwalt, um den Anspruch gerichtlich durchzusetzen.
Die zentrale Frage lautete: Nach welchen Kriterien muss das Wohnrecht bewertet werden? Der Vertrag sah vor, dass das Angebot unter Berücksichtigung des Alters der Berechtigten zum Zeitpunkt des Angebots und auf Basis des kalkulatorischen Mietwerts zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses erfolgen sollte. Doch wie sollten diese Faktoren konkret in eine Summe übersetzt werden?
Die Argumente der Parteien
Die Seniorin vertrat die Auffassung, dass für die Berechnung die Vorschriften des Bewertungsgesetzes herangezogen werden müssten. Nach dieser Methode ergab sich unter Berücksichtigung der Wohnfläche, des monatlichen Mietwerts, eines bestimmten Vervielfältigers und eines Zinssatzes eine deutlich höhere Summe als die vom Unternehmen angebotene.
Das Unternehmen hingegen argumentierte, es bestehe überhaupt keine echte Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots. Die Vertragsklausel sei lediglich eine Verhandlungsklausel ohne Anspruch auf ein bestimmtes Ergebnis. Zudem sei das Bewertungsgesetz nicht anwendbar, da dieses nur für steuerliche Zwecke gedacht sei. Bei der Berechnung müssten verschiedene Faktoren wie die Lebenserwartung der Berechtigten, marktübliche Zinssätze sowie Bearbeitungsgebühren und weitere Kosten berücksichtigt werden, was zu einem niedrigeren Angebot führe.
Die Entscheidung des Gerichts
Das Gericht gab der Seniorin vollumfänglich recht. Es stellte zunächst klar, dass die Vertragsklausel tatsächlich eine echte Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots begründet und nicht nur eine unverbindliche Verhandlungspflicht darstellt.
Diese Auslegung ergab sich aus mehreren Überlegungen: Der Wortlaut der Klausel spricht von einer klaren Verpflichtung des Käufers, ein Angebot zu unterbreiten. Hätten die Parteien nur Verhandlungen vereinbaren wollen, hätten sie eine andere Formulierung gewählt. Zudem sieht der Vertrag ausdrücklich vor, dass die Verkäufer dieses Angebot annehmen können, was für eine echte Angebotspflicht spricht.
Auch der Sinn und Zweck der Regelung spricht für diese Auslegung. Bei der Immobilienverrentung tragen die Verkäufer ein erhebliches Risiko: Sie übertragen einen wertvollen Gegenstand, können das Wohnrecht aber möglicherweise aufgrund veränderter Lebensumstände nicht mehr nutzen. Gerade bei älteren Menschen ist das Risiko einer Pflegebedürftigkeit hoch. Die Vertragsklausel sollte genau dieses Risiko abmildern und den Verkäufern ermöglichen, zumindest einen Teil des Immobilienwerts zu erhalten, um beispielsweise Pflegekosten zu bestreiten.
Die richtige Berechnungsmethode
Besonders wichtig war die Frage nach der Berechnungsmethode. Das Gericht entschied, dass die Bewertungsmaßstäbe des Bewertungsgesetzes heranzuziehen sind. Diese Vorschrift regelt die Bewertung von Nutzungsrechten und ist in Rechtsprechung und Literatur als geeignete Methode zur Wertermittlung von Wohnrechten anerkannt.
Die Anwendung dieser Berechnungsmethode entspricht den Interessen beider Vertragsparteien. Für die Verkäufer war nicht nur von Interesse, wie sich der Wert des Grundstücks für das Unternehmen durch den Wegfall des Wohnrechts erhöhen würde. Vielmehr wollten sie in diesem Fall einen angemessenen Teil des Ertrags erzielen, den sie bei einem direkten Verkauf der Immobilie hätten erhalten können.
Die Parteien haben die Risiken bewusst verteilt: Versterben die Verkäufer während sie noch im Haus leben, erhält das Unternehmen ohne weitere Zahlung ein unbelastetes Grundstück. Ändert sich aber die Situation der Verkäufer wie vertraglich vorgesehen, geht es nicht nur um das Interesse des Unternehmens an einem möglichst günstigen Angebot, sondern auch um das Interesse der Verkäufer, einen Teil des Marktwerts ihrer früheren Immobilie zu erhalten.
Keine Abschläge vom berechneten Wert
Das Gericht lehnte auch die vom Unternehmen vorgenommenen Abschläge ab. Der Vertrag sieht solche Abschläge nicht vor, und wenn die Parteien diese gewollt hätten, hätten sie dies im Vertragstext festgehalten. Das Risiko, dass das Angebot die Wirtschaftlichkeit des Kaufs gefährden könnte, ist nach der vertraglichen Regelung dem Unternehmen zugeordnet und kann nicht auf die Verkäufer abgewälzt werden.
Insbesondere kann sich das Unternehmen nicht darauf berufen, dass die Seniorin zum Zeitpunkt des Bedingungseintritts schwer erkrankt war. Der gesundheitliche Zustand spielt nach der Formulierung der Klausel bei der Berechnung keine Rolle, sondern nur das Alter. Zudem war die Regelung gerade für Situationen konzipiert, in denen typischerweise eine Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit eingetreten ist.
Die bereits abgegebenen Angebote genügten nicht
Das Unternehmen hatte argumentiert, es habe seine Pflicht durch die bereits abgegebenen Angebote erfüllt. Das Gericht widersprach dieser Auffassung. Eine Erfüllung tritt nur ein, wenn der geschuldete Leistungserfolg vollständig und vorbehaltlos eingetreten ist. Die Leistung muss dem Schuldverhältnis inhaltlich entsprechen.
Die Angebote des Unternehmens entsprachen jedoch nicht den vertraglichen Anforderungen, da sie unter Berücksichtigung von Abschlägen berechnet wurden, die vertraglich nicht vereinbart waren. Daher konnten diese Angebote die vertragliche Pflicht nicht erfüllen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Dieses Urteil schafft wichtige Klarheit für alle, die sich mit dem Thema Immobilienverrentung beschäftigen. Es zeigt, dass vertragliche Klauseln zum Abkauf von Wohnrechten ernst zu nehmende rechtliche Verpflichtungen begründen können und nicht nur unverbindliche Absichtserklärungen sind.
Für Verkäufer bedeutet das Urteil: Wenn Sie eine Immobilienverrentung in Erwägung ziehen, sollten Sie darauf achten, dass der Vertrag klare Regelungen für den Fall einer Änderung Ihrer Lebensumstände enthält. Solche Klauseln können Ihnen einen wichtigen Schutz bieten, wenn Sie die Immobilie aufgrund von Pflegebedürftigkeit oder anderen Gründen nicht mehr nutzen können. Das Gericht hat bestätigt, dass solche Regelungen durchsetzbar sind und nach objektiven Kriterien berechnet werden müssen.
Für Unternehmen, die Immobilienverrentung anbieten, bedeutet das Urteil: Sie müssen vertragliche Verpflichtungen zur Abgabe von Angeboten ernst nehmen. Die Angebotshöhe kann nicht nach freiem Ermessen festgelegt werden, sondern muss sich an den vertraglichen Vorgaben und anerkannten Bewertungsmethoden orientieren. Zu niedrige Angebote erfüllen die vertragliche Pflicht nicht und können gerichtlich durchgesetzt werden.
Die Entscheidung macht deutlich, dass bei der Bewertung von Wohnrechten im Rahmen der Immobilienverrentung auf etablierte Berechnungsmethoden zurückgegriffen werden kann. Dies schafft Rechtssicherheit und erleichtert es beiden Seiten, die Höhe eines angemessenen Angebots einzuschätzen.
Besonders wichtig ist die Klarstellung, dass Abschläge vom berechneten Wert nicht einfach nach freiem Ermessen vorgenommen werden können. Wenn solche Abschläge gewünscht sind, müssen sie ausdrücklich im Vertrag geregelt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Angebote nicht als vertragsgemäß anerkannt werden.
Das Urteil unterstreicht auch die Bedeutung einer sorgfältigen Vertragsgestaltung. Beide Seiten sollten sich im Klaren darüber sein, welche Rechte und Pflichten sie eingehen. Bei komplexen Modellen wie der Immobilienverrentung empfiehlt sich in jedem Fall eine umfassende rechtliche Beratung vor Vertragsabschluss.
Für Angehörige und Betreuer von Senioren, die einen Immobilienverrentungsvertrag abgeschlossen haben, zeigt das Urteil: Wenn die vereinbarten Bedingungen eintreten, können die Ansprüche notfalls auch gerichtlich durchgesetzt werden. Die Prüfung, ob ein Angebot den vertraglichen Anforderungen entspricht, sollte sorgfältig und gegebenenfalls mit fachlicher Unterstützung erfolgen.
Fazit
Die Entscheidung stärkt die Position von Senioren, die ihre Immobilie im Wege der Verrentung veräußert haben. Sie macht deutlich, dass vertragliche Schutzklauseln nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch durchgesetzt werden können. Gleichzeitig zeigt das Urteil, wie wichtig eine klare und eindeutige Vertragsgestaltung ist, die die Interessen beider Seiten berücksichtigt und für den Fall veränderter Lebensumstände faire Lösungen vorsieht.
Quelle: LG Frankfurt/Main, Urteil vom 21.05.2025, Az. 2-06 O 1/25
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