Solaranlage am Balkon ohne Zustimmung muss weg
Streit um neun Solarplatten am Berliner Balkon
In Berlin führte eine großflächige Solaranlage zu jahrelangem Rechtsstreit. Ein Wohnungseigentümer hatte bereits im Jahr 2004 eine Solaranlage an seinem Balkon installiert, ohne die anderen Eigentümer zu fragen. Die Anlage erstreckte sich über die gesamte Länge des Balkons und bestand aus neun deutlich sichtbaren Solarplatten.
Obwohl ein Amtsgericht bereits 2004 die Entfernung angeordnet hatte, blieb die Anlage bestehen. Die Zwangsvollstreckung scheiterte damals aus unbekannten Gründen. Als zwischen 2018 und 2022 Bäume und Sträucher auf der Hofseite entfernt wurden, wurde die Anlage plötzlich wieder deutlich sichtbar und störte das einheitliche Erscheinungsbild der Wohnanlage.
Wohnungseigentümergemeinschaft klagt erneut
2022 klagte die Wohnungseigentümergemeinschaft erneut und verlangte den Rückbau der Sonnenkollektoren. Diesmal sollten sie so umgebaut werden, dass sie von außen nicht mehr sichtbar sind. Das Amtsgericht gab der Klage statt, das Landgericht wies sie jedoch ab. Erst der Bundesgerichtshof entschied endgültig zugunsten der klagenden Gemeinschaft.
Die zentrale Rechtsfrage lautete: Was gilt als bauliche Veränderung im Wohnungseigentumsrecht?
BGH erweitert den Begriff der baulichen Veränderung
Der Bundesgerichtshof hat eine wegweisende Entscheidung getroffen und den Begriff der baulichen Veränderung erheblich ausgeweitet. Bisher war umstritten, ob eine bauliche Veränderung zwingend einen Eingriff in die Bausubstanz voraussetzt.
Der BGH stellt klar: Ein Substanzeingriff ist nicht erforderlich. Auch dauerhafte Maßnahmen, die das optische Erscheinungsbild der Wohnungseigentumsanlage wesentlich verändern, können bauliche Veränderungen darstellen.
Diese Entscheidung hat weitreichende Folgen. Der Senat begründet seine Auffassung damit, dass der Gesetzgeber mit dem Beschlusszwang Auslegungsschwierigkeiten vermeiden und für Rechtssicherheit sorgen wollte. Die Wohnungseigentümer sollen über alle baulichen Veränderungen des Gemeinschaftseigentums informiert werden.
Solaranlage verändert Erscheinungsbild wesentlich
Im konkreten Fall bewertete der BGH die großflächige Solaranlage eindeutig als bauliche Veränderung. Die Anlage war nicht nur wegen ihrer Größe auffällig, sondern auch farblich vom Rest der Balkongestaltung zu unterscheiden.
Entscheidend waren folgende Kriterien:
- Die Anlage erstreckte sich über die gesamte Balkanlänge
- Sie bestand aus neun deutlich sichtbaren Solarplatten
- Sie war von außen gut erkennbar
- Sie hob sich erheblich von der Gestaltung der anderen Balkone ab
Dabei spielte es keine Rolle, ob die Anlage fest mit der Balkonbrüstung verbunden war oder nur auf dem Balkon stand. Auch die ursprüngliche Verdeckung durch Pflanzen änderte nichts an der rechtlichen Bewertung.
Welches Recht ist anwendbar?
Eine weitere wichtige Frage betraf die zeitliche Anwendung des Wohnungseigentumsgesetzes. Seit dem 1. Dezember 2020 gelten durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz neue Regelungen für bauliche Veränderungen.
Der BGH entschied: Maßgeblich ist der Zeitpunkt der baulichen Veränderung, nicht der Zeitpunkt der Klage. War die Veränderung bereits vor dem 1. Dezember 2020 abgeschlossen, gilt das alte Recht. Bei späteren Veränderungen findet das neue Recht Anwendung.
Im vorliegenden Fall blieb unklar, wann genau die aktuelle Anlage installiert wurde. Der BGH stellte jedoch fest, dass unabhängig vom anwendbaren Recht ein Beseitigungsanspruch besteht.
Neues Recht: Beschlusszwang für alle baulichen Veränderungen
Nach dem neuen Wohnungseigentumsgesetz müssen alle baulichen Veränderungen des Gemeinschaftseigentums grundsätzlich durch Beschluss der Wohnungseigentümer gestattet werden. Fehlt dieser Gestattungsbeschluss, liegt eine rechtswidrige Eigentumsbeeinträchtigung vor.
Der BGH stellte klar: Einem Beseitigungsverlangen kann nicht mit einem nachträglichen Gestattungsanspruch nach Treu und Glauben entgegnet werden. Der bauwillige Eigentümer muss vielmehr während des Beseitigungsverfahrens eine Widerklage auf Beschlussersetzung erheben.
Altes Recht: Zustimmung aller betroffenen Eigentümer
Nach dem bis November 2020 geltenden Recht musste jeder Wohnungseigentümer zustimmen, dessen Rechte über das unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt wurden.
Einem Beseitigungsverlangen konnte allerdings ein Gestattungsanspruch entgegengehalten werden, wenn keine erhebliche Beeinträchtigung der anderen Eigentümer vorlag.
Im konkreten Fall lag jedoch eine solche erhebliche Beeinträchtigung vor. Das Berufungsgericht hatte festgestellt, dass die auffällige Solaranlage den optischen Gesamteindruck der Wohnanlage erheblich beeinträchtigte. Damit war auch nach altem Recht ein Beseitigungsanspruch gegeben.
Privilegierung für Steckersolargeräte greift nicht
Seit Oktober 2024 sind kleine Steckersolargeräte als privilegierte Maßnahme im Wohnungseigentumsgesetz aufgeführt. Deren Gestattung kann grundsätzlich jeder Wohnungseigentümer verlangen, wenn sie angemessen ist.
Diese Privilegierung hilft jedoch nicht bei Altfällen. Wer sich gegen ein nach altem Recht erhobenes Beseitigungsverlangen wehrt, kann sich nicht auf die neuen Privilegierungen berufen. Die Einrede ist untrennbar mit dem neuen Beschlusszwang verknüpft.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Dieses Urteil hat erhebliche Auswirkungen auf alle Wohnungseigentümer, die Veränderungen an ihren Balkonen oder Fassaden vornehmen möchten:
Vor jeder sichtbaren Veränderung sollten Sie die Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer einholen. Dies gilt nicht nur für fest installierte Anlagen, sondern auch für mobile Installationen, die das Erscheinungsbild dauerhaft prägen.
Besonders betroffen sind Solaranlagen, Satellitenschüsseln, Markisen und andere technische Einrichtungen. Auch wenn diese nicht fest mit dem Gebäude verbunden sind, können sie eine zustimmungspflichtige bauliche Veränderung darstellen.
Für bestehende Anlagen ohne Zustimmung steigt das Risiko von Beseitigungsklagen. Das Urteil macht deutlich, dass sich Eigentümer nicht auf nachträgliche Gestattungsansprüche verlassen können.
Tipp für die Praxis: Planen Sie Veränderungen am Balkon oder an der Fassade, sollten Sie frühzeitig das Gespräch mit den anderen Wohnungseigentümern suchen. Eine einvernehmliche Lösung ist meist kostengünstiger als ein jahrelanger Rechtsstreit.
Die Entscheidung zeigt auch: Moderne Energiegewinnung und Wohnungseigentumsrecht müssen besser in Einklang gebracht werden. Bis dahin gilt jedoch der Grundsatz der gemeinschaftlichen Entscheidung über alle wesentlichen Veränderungen am Gebäude.
Quelle: BGH, Urteil vom 18.07.2025 - V ZR 29/24
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