Vermieter haftet bei Glätteunfall
Der Fall: Sturz an einem Wintermorgen
Eine Mieterin bewohnte eine Eigentumswohnung in einem Mehrfamilienhaus. Für die Gehwege auf dem Grundstück hatte die Wohnungseigentümergemeinschaft einen professionellen Hausmeisterdienst mit dem Winterdienst beauftragt. Im Mietvertrag war geregelt, dass die Mieterin die Kosten für die Schneebeseitigung und das Streuen anteilig über die Betriebskosten zu tragen hatte.
An einem Montagmorgen im Januar verließ die Mieterin gegen halb acht das Haus. Der Weg vom Hauseingang zur Straße war spiegelglatt, obwohl Glatteis in den Wettervorhersagen angekündigt worden war. Die Mieterin stürzte und zog sich erhebliche Verletzungen zu, die eine langwierige Behandlung erforderlich machten.
Sie forderte von ihrer Vermieterin Schmerzensgeld und Erstattung der Anwaltskosten. Ihre Begründung war einfach: Die Vermieterin habe ihre Pflicht verletzt, die Zugangswege zum Haus bei Glatteis zu räumen und zu streuen.
Streit vor Gericht: Wer trägt die Verantwortung?
Vor Gericht entwickelte sich eine grundsätzliche Diskussion darüber, wer für den Winterdienst verantwortlich ist, wenn die Vermieterin nicht Alleineigentümerin des Grundstücks ist, sondern nur eine von mehreren Wohnungseigentümern.
Das Amtsgericht gab der Mieterin zunächst teilweise Recht und sprach ihr ein Schmerzensgeld zu. Die Begründung war klar: Die Vermieterin sei aus dem Mietvertrag verpflichtet gewesen, die Zugangswege zu räumen und zu streuen.
Doch das Landgericht sah das völlig anders. Es hob das Urteil auf und wies die Klage vollständig ab. Die Richter argumentierten, dass nicht die einzelne Vermieterin, sondern die Wohnungseigentümergemeinschaft als Grundstückseigentümerin für die Verkehrssicherheit zuständig sei. Diese habe den Winterdienst ordnungsgemäß an einen professionellen Hausmeisterdienst übertragen. Die Vermieterin treffe nur noch eine Überwachungs- und Kontrollpflicht, bei deren Verletzung sie höchstens anteilig nach ihrem Miteigentumsanteil hafte.
Außerdem sei aus dem Mietvertrag ersichtlich, dass die Vermieterin die Räum- und Streupflicht nicht persönlich wahrnehmen werde, da die Kosten nach Eigentumsanteilen umgelegt würden. Selbst wenn eine vertragliche Haftung bestehe, greife die Haftungserleichterung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wonach die Vermieterin nur ihre Mitwirkung an der Überwachung schulde.
Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof machte dieser Argumentation einen klaren Strich durch die Rechnung. Die obersten Zivilrichter entschieden, dass die Vermieterin sehr wohl aus dem Mietvertrag heraus haftet.
Die Pflicht des Vermieters zur Verkehrssicherung
Der Bundesgerichtshof stellte zunächst einen fundamentalen Grundsatz klar: Der Vermieter ist aus dem Mietvertrag verpflichtet, dem Mieter während der Mietzeit den Gebrauch der Mietsache zu gewähren. Dazu gehört auch der Zugang zur Wohnung. Diese Erhaltungspflicht erstreckt sich auf alle Hausteile, die nicht ausdrücklich mitvermietet sind, also auch auf Zugänge, Treppen und Wege. Diese müssen sich in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten und verkehrssicheren Zustand befinden.
Konkret bedeutet dies: Es gehört zu den grundlegenden Aufgaben des Vermieters, die auf dem Grundstück der vermieteten Wohnung befindlichen Wege in den Wintermonaten zu räumen und zu streuen. Die Sicherung des unmittelbaren Zugangs zum Haus bei Schnee- und Eisglätte dient vor allem dem Schutz der Mieter.
Keine Sonderbehandlung für Wohnungseigentümer
Entscheidend war die Frage, ob diese Grundsätze auch dann gelten, wenn der Vermieter nicht Alleineigentümer des Grundstücks ist, sondern Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Bundesgerichtshof bejahte dies ausdrücklich.
Die vertragliche Verkehrssicherungspflicht des Vermieters folgt gerade nicht aus seiner eigentumsrechtlichen Stellung, sondern aus seiner mietvertraglichen Erhaltungspflicht. Für das Bestehen dieser Pflichten kommt es grundsätzlich nicht auf die Eigentumsverhältnisse an, sondern auf die Stellung als Partei des Mietvertrags.
Die Richter betonten, dass eine gegenteilige Auffassung zu einem unterschiedlichen Schutzniveau innerhalb des Wohnraummietrechts führen würde, das sachlich nicht gerechtfertigt ist. Ein Mieter, der von einem Wohnungseigentümer eine Wohnung anmietet, ist nicht weniger schutzwürdig als derjenige, dessen Vermieter nicht Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft ist. Zumal die Eigentumsverhältnisse für den Mieter bei Abschluss des Mietvertrags häufig nicht erkennbar sind.
Haftung für den Erfüllungsgehilfen
Der Bundesgerichtshof stellte weiter klar, dass die Vermieterin sich zwar zur Erfüllung ihrer Pflichten des Hausmeisterdienstes als Erfüllungsgehilfin bedienen kann. Allerdings haftet sie nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs für dessen Verschulden wie für eigenes Verschulden.
Der Gedanke dahinter ist einfach: Wer den Vorteil der Arbeitsteilung in Anspruch nimmt, soll auch deren Nachteile tragen. Der Vermieter ist gegenüber dem Mieter für die Erweiterung seines Geschäftskreises verantwortlich. Die eingesetzte Hilfsperson übernimmt eine Aufgabe, die im Verhältnis zum Mieter dem Vermieter selbst obliegt.
Das Gericht verwies die Sache an das Landgericht zurück, damit dieses die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen treffen kann, insbesondere ob der Hausmeisterdienst tatsächlich seinen Pflichten nicht nachgekommen ist.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Dieses Urteil hat weitreichende praktische Bedeutung für Mieter und Vermieter gleichermaßen.
Für Mieter: Klarer Ansprechpartner bei Unfällen
Mieter einer Eigentumswohnung haben nach dieser Entscheidung denselben rechtlichen Schutz wie alle anderen Mieter auch. Wenn sie auf vereisten Wegen vor ihrer Mietwohnung stürzen, können sie ihren Vermieter direkt in Anspruch nehmen. Sie müssen sich nicht damit herumschlagen, gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft oder den beauftragten Hausmeisterdienst vorzugehen.
Dies ist ein großer Vorteil, denn der Vermieter ist der Vertragspartner, den der Mieter selbst gewählt hat. Zudem greift bei einer Haftung aus dem Mietvertrag die sogenannte Beweislastumkehr: Der Vermieter muss nachweisen, dass ihn kein Verschulden trifft. Der Mieter muss nur dartun, dass seine Rechte verletzt wurden.
Für Vermieter: Umfassende Haftung trotz Delegation
Vermieter können sich nicht darauf berufen, dass sie den Winterdienst an die Wohnungseigentümergemeinschaft oder einen professionellen Hausmeisterdienst übertragen haben. Die Delegation entbindet nicht von der vertraglichen Haftung gegenüber dem Mieter.
Dies bedeutet nicht, dass Vermieter den Winterdienst persönlich durchführen müssen. Sie dürfen selbstverständlich einen Dienstleister beauftragen. Allerdings haften sie dann umfassend für dessen Fehler. Es reicht nicht aus, sich auf eine ordnungsgemäße Auswahl und gelegentliche Kontrollen zu berufen.
Vermieter sollten daher sicherstellen, dass der beauftragte Winterdienst zuverlässig arbeitet und ausreichend versichert ist. Im Schadensfall können sie sich zwar bei diesem Schadensersatz holen, aber zunächst müssen sie selbst gegenüber dem Mieter einstehen.
Wichtig bei Mietvertragsgestaltung
Die Vereinbarung im Mietvertrag, dass die Kosten für den Winterdienst über die Betriebskosten umgelegt werden, ändert nichts an der Haftung des Vermieters. Auch der Umstand, dass ein Umlageschlüssel nach Eigentumsanteilen vereinbart ist, führt nicht dazu, dass die vertragliche Verantwortung auf die Wohnungseigentümergemeinschaft übergeht.
Vermieter können die Haftung auch nicht durch Vertragsklauseln ausschließen oder beschränken, da es sich um wesentliche Pflichten aus dem Mietvertrag handelt. Solche Klauseln wären unwirksam.
Konsequenzen für die Praxis
Das Urteil macht deutlich, dass Vermieter von Eigentumswohnungen nicht anders behandelt werden als andere Vermieter. Sie tragen die volle vertragliche Verantwortung für die Verkehrssicherheit auf den Zugangswegen zur Mietwohnung. Dies gilt unabhängig davon, wie die Eigentumsverhältnisse am Grundstück ausgestaltet sind und wer tatsächlich den Winterdienst durchführt.
Für die Wohnungswirtschaft bedeutet dies, dass klare Regelungen innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft getroffen werden müssen. Die einzelnen Eigentümer müssen sicherstellen, dass der Winterdienst zuverlässig funktioniert, da sie im Außenverhältnis ihren Mietern gegenüber voll haften.
Die Entscheidung stärkt letztlich die Position der Mieter und sorgt für mehr Rechtssicherheit. Sie müssen sich im Schadensfall nicht mit komplexen Eigentümerstrukturen oder der Frage auseinandersetzen, wer im WEG-Recht zuständig ist. Ihr Vertragspartner ist und bleibt ihr Vermieter, und dieser haftet.
Grundsätze des Urteils
- Der Vermieter haftet aus dem Mietvertrag für die Verkehrssicherung der Zugangswege zur Wohnung, einschließlich Winterdienst, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen am Grundstück
- Die vertragliche Verkehrssicherungspflicht folgt aus der mietvertraglichen Erhaltungspflicht, nicht aus der eigentumsrechtlichen Stellung; es ist unerheblich, ob der Vermieter Teil einer Wohnungseigentümergemeinschaft ist
- Der Vermieter haftet nach § 278 BGB für Verschulden beauftragter Dienstleister (Erfüllungsgehilfen) wie für eigenes Verschulden
- Die Delegation des Winterdienstes an WEG oder Hausmeisterdienst entbindet nicht von der vertraglichen Haftung gegenüber dem Mieter
Quelle: Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.08.2025, Aktenzeichen VIII ZR 250/23
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