Keine Gnadenfrist bei Räumung ohne Wohnungssuche
Der Fall: Tochter will nach Kündigung bleiben
Eine Familie bewohnte seit April 2016 ein Einfamilienhaus in Niedersachsen. Der Vater hatte als Mieter den Mietvertrag unterschrieben, seine Tochter lebte mit im Haus. Im Mietvertrag war festgehalten, dass der Vermieter der Tochter die Nutzung der Räume gestattete. Im Februar 2022 kündigte der Eigentümer das Mietverhältnis mit der Begründung, seine eigene Tochter benötige die Immobilie für sich selbst. Die Räumungsfrist endete im August 2022.
Der Vater erkannte die Räumungsklage an und wurde im April 2023 zur Räumung verurteilt. Die Tochter hingegen wehrte sich gegen die Räumung. Sie vertrat die Auffassung, selbst Mieterin zu sein und behauptete, der Eigenbedarf sei nur vorgetäuscht. Das Amtsgericht verurteilte sie dennoch zur Räumung mit einer Frist bis Ende März 2025. Daraufhin beantragte sie beim Landgericht eine Verlängerung der Räumungsfrist und die Einstellung der Zwangsvollstreckung.
Die rechtliche Ausgangslage bei Räumungsfristen
Wenn ein Gericht eine Räumung anordnet, kann es dem Räumungsschuldner eine Frist einräumen, innerhalb derer er ausziehen muss. Diese Räumungsfrist soll dem Betroffenen Zeit geben, eine neue Bleibe zu finden. In besonderen Fällen kann diese Frist auf Antrag verlängert werden. Doch das Gesetz stellt hohe Anforderungen an eine solche Verlängerung. Der Betroffene muss nachweisen, dass er sich ernsthaft und ausreichend um Ersatzwohnraum bemüht hat.
Die Gerichte müssen dabei verschiedene Interessen gegeneinander abwägen. Auf der einen Seite steht das Recht des Eigentümers, seine Immobilie zu nutzen oder zu vermieten. Auf der anderen Seite steht das Interesse des Mieters oder Nutzers, nicht plötzlich ohne Dach über dem Kopf dazustehen. Grundsätzlich gilt jedoch: Der Eigentümer hat einen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch darauf, dass sein rechtskräftiger Titel auch vollstreckt wird. Die Gerichte müssen daher sehr genau prüfen, ob eine Fristverlängerung gerechtfertigt ist.
Strenge Anforderungen an die Wohnungssuche
Das Landgericht Lüneburg machte deutlich, dass derjenige, der eine Verlängerung der Räumungsfrist erreichen möchte, konkret darlegen und beweisen muss, wie intensiv er nach einer Ersatzwohnung gesucht hat. Es genügt nicht, einfach zu behaupten, man habe sich bemüht. Vielmehr muss der Betroffene detailliert aufzeichnen, welche konkreten Wohnungsangebote er zur Kenntnis genommen hat, auf welche Weise er darauf reagiert hat und warum die Anmietung jeweils gescheitert ist.
Im vorliegenden Fall konnte die Antragstellerin solche Nachweise nicht vorlegen. Sie hatte weder dargelegt, welche Bemühungen sie konkret unternommen hatte, noch war ihre Behauptung angesichts des langen Zeitablaufs glaubhaft. Immerhin war der Vater bereits seit April 2023 rechtskräftig zur Räumung verurteilt worden. In der Zeit zwischen diesem Urteil und dem Antrag auf Fristverlängerung waren fast zwei Jahre vergangen, ohne dass ernsthafte Suchbemühungen dokumentiert wurden.
Wenn Obdachlosigkeit droht
Ein häufig vorgebrachtes Argument gegen eine Räumung ist die drohende Obdachlosigkeit. Doch auch hier zeigte sich das Gericht wenig nachgiebig. Die Richter stellten klar: Das Fehlen einer Ersatzwohnung stellt grundsätzlich keine Härte dar, die eine Maßnahme zum Schutz des Schuldners rechtfertigen würde. Wenn jemand nach einer Räumung tatsächlich auf der Straße stehen würde, sind die Ordnungsbehörden verpflichtet, für eine Notunterkunft zu sorgen.
Die mögliche Unterbringung in einem Obdachlosenheim wird von den Gerichten regelmäßig nicht als besondere Härte angesehen. Das mag zunächst hart klingen, entspricht aber der gefestigten Rechtsprechung. Der Grundgedanke dahinter ist: Die Lasten der Obdachlosenfürsorge können nicht dem Eigentümer aufgebürdet werden. Es ist Aufgabe des Staates und der Allgemeinheit, für Menschen in Notlagen zu sorgen, nicht die des privaten Vermieters, der sein Recht durchsetzen möchte.
Ausnahmevorschrift nur bei sittenwidriger Härte
Wenn ein Urteil bereits rechtskräftig ist und vollstreckt werden soll, kann das Vollstreckungsgericht in extremen Ausnahmefällen die Zwangsvollstreckung einstellen. Dies setzt aber voraus, dass die Vollstreckung eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren wäre. Die entsprechende gesetzliche Regelung ist eine absolute Ausnahmevorschrift und wird von den Gerichten sehr eng ausgelegt. Im Zweifelsfall haben die Interessen des Gläubigers, also des Eigentümers, stets Vorrang.
Eine sittenwidrige Härte liegt nur dann vor, wenn die Zwangsvollstreckung Leben oder Gesundheit des Schuldners ernsthaft gefährdet. Die Wohnungssuche und ein Umzug sind einer Zwangsräumung immanent und damit eine hinzunehmende Belastung. Das Landgericht betonte, dass der Eigentümer einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz hat. Der Staat ist verpflichtet, titulierte Ansprüche notfalls mit Zwang durchzusetzen und dem Gläubiger zu seinem Recht zu verhelfen.
Besondere Umstände im konkreten Fall
Im vorliegenden Fall kamen weitere Aspekte hinzu, die gegen eine Fristverlängerung sprachen. Die Antragstellerin hatte nach Auffassung des Gerichts das Verfahren über Jahre hinweg durch zahlreiche Rechtsmittel und Befangenheitsanträge gegen die entscheidenden Richter in rechtsmissbräuchlicher Weise verzögert. Die Räumungsklage war bereits im September 2022 eingereicht worden, das Räumungsurteil gegen den Vater als Mieter erging im April 2023. Das Urteil gegen die Tochter wurde erst im Januar 2025 verkündet, nachdem sämtliche Rechtsmittel und Anträge erfolglos geblieben waren.
Das Gericht sah es als unzumutbar an, den Eigentümer noch länger warten zu lassen. Die Tochter war nach den Feststellungen des Gerichts auch niemals selbst Mieterin geworden. Ihr Nutzungsrecht leitete sich ausschließlich vom Mietvertrag ihres Vaters ab. Mit der rechtskräftigen Beendigung dieses Hauptmietvertrages endete auch ihr Recht, die Räumlichkeiten zu bewohnen.
Die Antragstellerin hatte zudem argumentiert, ihre zahlreichen Haustiere seien durch eine Räumung gefährdet. Das Gericht führte hierzu aus, dass eine Tiergefährdung weder hinreichend dargelegt sei noch unter den vorliegenden Umständen dazu führen könne, die Räumung noch weiter hinauszuschieben.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Dieser Beschluss des Landgerichts Lüneburg zeigt deutlich, wie ernst Gerichte das Eigentumsrecht nehmen und wie hoch die Hürden für eine Verlängerung von Räumungsfristen sind. Wenn Sie als Mieter oder Nutzer einer Wohnung mit einer Räumungsklage konfrontiert sind, sollten Sie unverzüglich und intensiv nach Ersatzwohnraum suchen. Dokumentieren Sie Ihre Suchbemühungen sorgfältig: Notieren Sie alle Wohnungsbesichtigungen, Kontakte zu Maklern und Vermietern, eingereichte Bewerbungen und Absagen. Nur mit einer lückenlosen Dokumentation haben Sie eine realistische Chance, eine Fristverlängerung zu erreichen.
Verlassen Sie sich nicht darauf, dass das Gericht Ihnen aus sozialen Gründen mehr Zeit einräumt. Die Rechtsprechung ist hier eindeutig: Die Lasten der sozialen Fürsorge trägt der Staat, nicht der private Eigentümer. Auch die Aussicht auf eine Unterbringung in einer Notunterkunft wird Sie nicht vor einer Räumung bewahren. Je früher Sie sich aktiv um eine neue Wohnung kümmern, desto besser sind Ihre Chancen, einen geordneten Umzug zu organisieren und nicht in eine Notlage zu geraten.
Für Vermieter und Eigentümer bedeutet die Entscheidung eine Stärkung ihrer Position. Sie müssen nicht befürchten, dass Räumungstitel über Jahre hinweg nicht vollstreckt werden können, nur weil der Betroffene behauptet, keine neue Wohnung zu finden. Allerdings sollten auch Vermieter bedenken, dass Gerichte angemessene Räumungsfristen einräumen und diese nur in begründeten Fällen abkürzen. Ein faires und rechtsstaatliches Verfahren liegt im Interesse aller Beteiligten.
Quelle: Landgericht Lüneburg, Beschluss vom 25.03.2025, Az. 6 S 8/25
Kontaktieren Sie uns!
Für detaillierte Fragen oder eine individuelle Beratung stehen Ihnen die Experten unserer Kanzlei für Mietrecht in Essen zur Verfügung. Wir helfen Ihnen, die beste Strategie für Ihr spezifisches Anliegen zu entwickeln.
Ihr Recht ist unsere Leidenschaft!
Sie sind ratlos im Streit mit Ihrem Mieter oder Vermieter? Sie stehen vor komplexen Vertragsverhandlungen oder es geht um den Erwerb, Veräußerung oder Vererbung von Immobilieneigentum. Wir haben uns auf das private und gewerbliche Mietrecht, Immobilienrecht und Maklerrecht spezialisiert. Vertrauen Sie uns. Zögern Sie also nicht länger und holen Sie sich die Unterstützung, die ein professionelles Vorgehen ermöglicht. Lassen Sie uns gemeinsam eine Strategie für die Umsetzung Ihres Vorhabens besprechen.
Unsere digitale Kanzlei
Bei uns geht Recht vollkommen digital. Für Sie entscheidend: Sie können alles bequem von überall aus organisieren. Besuchen Sie unsere Webseite und buchen Sie ein Video-Meeting mit einem Anwalt. Ihre Unterlagen können Sie einfach uploaden. Selbst erforderliche Unterschriften können Sie bei uns digital leisten.
kostenlose Ersteinschätzung
Lassen Sie uns bei einem unverbindlichen Kennenlerngespräch über Ihre spezifischen rechtlichen Anliegen sprechen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Überhängende Äste abschneiden: Was ist erlaubt?
Makler können keine anteiligen Bürokosten abrechnen
Eigenbedarfskündigung: Behindertenausweis reicht nicht als Nachweis für eine unzumutbare Härte aus
