Drei Angebote nicht immer Pflicht: Neues WEG-Urteil lockert Regeln
Der Fall: Streit um Fassadensanierung in Hamburg
In einer kleinen Wohnungseigentümergemeinschaft mit nur drei Einheiten stand eine dringend notwendige Fassadensanierung an. Die Hausverwaltung hatte bereits festgestellt, dass Risse in der Fassade Wasser ins Gebäude eindringen ließen. Dadurch drohten weitere Schäden an der Bausubstanz, wenn nicht schnell gehandelt würde.
Bei der Eigentümerversammlung beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich, die Sanierungsarbeiten an eine bestimmte Firma zu vergeben. Doch eine Eigentümerin war mit diesem Vorgehen nicht einverstanden. Sie warf der Verwaltung vor, nicht genügend Vergleichsangebote eingeholt zu haben, und focht die Beschlüsse vor Gericht an.
Die Klägerin argumentierte, dass bei Aufträgen über einem bestimmten Volumen grundsätzlich mindestens drei Vergleichsangebote vorliegen müssten. Nur so könne sichergestellt werden, dass die Gemeinschaft wirtschaftlich handelt und nicht überteuerte Verträge abschließt.
Warum Vergleichsangebote wichtig sind
Grundsätzlich haben Wohnungseigentümergemeinschaften die Pflicht, wirtschaftlich zu handeln. Bevor größere Aufträge vergeben werden, sollten verschiedene Angebote eingeholt und verglichen werden. Dies dient dem Schutz der überstimmten Minderheit und soll verhindern, dass unnötig teure Verträge geschlossen werden.
Die Einholung von Vergleichsangeboten soll verschiedene Ziele erreichen: Die Eigentümer können die technischen Lösungen verschiedener Unternehmen miteinander vergleichen und sich für die beste Lösung entscheiden. Außerdem wird durch den Preisvergleich sichergestellt, dass die Arbeiten zu angemessenen Kosten durchgeführt werden.
Viele Gerichte haben in der Vergangenheit eine sogenannte "Drei-Angebote-Regel" entwickelt. Danach sollten bei größeren Aufträgen grundsätzlich mindestens drei vergleichbare Angebote vorliegen, bevor eine Entscheidung getroffen wird.
Das Gericht stellt klar: Nicht immer drei Angebote nötig
Das Hamburger Amtsgericht erteilte der starren Drei-Angebote-Regel jedoch eine klare Absage. Die Richter betonten, dass es kein "apodiktisches" - also unumstößliches - Erfordernis für mindestens drei Vergleichsangebote gebe.
Gegen eine starre Regel sprechen mehrere Argumente: Selbst wenn drei Angebote vorliegen, sind die Wohnungseigentümer nicht verpflichtet, das günstigste Angebot anzunehmen. Sie können auch andere Faktoren wie Qualität oder Erfahrungen mit dem Unternehmen berücksichtigen.
Außerdem darf das Fehlen von drei Angeboten nicht dazu führen, dass notwendige Sanierungsmaßnahmen gegen den Willen der sanierungswilligen Mehrheit verschleppt werden. Dies gilt besonders dann, wenn ein objektiver Sanierungsbedarf vorhanden ist und durch technischen Sachverstand abgesichert wurde.
Welche Faktoren sind entscheidend?
Statt auf eine starre Anzahl von Angeboten zu bestehen, kommt es nach Ansicht der Hamburger Richter auf verschiedene individuelle Faktoren an. Diese müssen im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden.
Das Auftragsvolumen spielt eine wichtige Rolle: Bei kleineren Reparaturen können andere Anforderungen gelten als bei großen Sanierungsprojekten. Je höher die Kosten, desto sorgfältiger sollte die Auswahl getroffen werden.
Die Bedeutung der Maßnahmen für die Bausubstanz ist entscheidend: Wenn durch das Zuwarten weitere Schäden drohen, kann eine schnelle Entscheidung wichtiger sein als das Einholen zusätzlicher Angebote. Dies gilt besonders bei Wasserschäden oder anderen Gefahrensituationen.
Erfolglose Anfragen bei Unternehmen müssen berücksichtigt werden: Wenn mehrere Firmen angefragt wurden, aber nur wenige tatsächlich Angebote abgeben, kann dies ausreichend sein. In Zeiten von Handwerkermangel ist es oft schwierig, überhaupt Angebote zu erhalten.
Bereits bestehende Erfahrungen mit Unternehmen können eine Rolle spielen: Wenn die Gemeinschaft bereits gute Erfahrungen mit einer Firma gemacht hat, kann dies die Beauftragung rechtfertigen, auch ohne weitere Vergleichsangebote.
Der konkrete Fall: Zwei Angebote reichten aus
Im vorliegenden Fall lagen letztlich zwei vergleichbare Angebote vor. Die ursprünglich angefragte Firma hatte ein Angebot über etwa 52.000 Euro abgegeben, während die schließlich beauftragte Firma nur etwa 33.000 Euro veranschlagte. Eine dritte Firma hatte trotz mehrerer Besichtigungstermine kein Angebot erstellt.
Das Gericht sah die Entscheidungsgrundlage als ausreichend an: Die Wohnungseigentümer hatten verschiedene Firmen angefragt und zwei konkrete Angebote erhalten. Sie konnten somit eine fundierte Entscheidung treffen, ohne weitere Angebote abwarten zu müssen.
Besonders wichtig war den Richtern, dass bereits eine Stellungnahme eines Sachverständigen vorlag. Dieser hatte den dringenden Sanierungsbedarf bestätigt und vor Folgeschäden gewarnt, falls die Arbeiten weiter verschoben würden.
Die Wohnungseigentümergemeinschaft handelte daher im Rahmen ihres Ermessens, als sie sich für eine zügige Beauftragung entschied, um größere Schäden zu vermeiden.
Grenzen der Entscheidungsfreiheit
Trotz der gelockerten Anforderungen bedeutet das Urteil nicht, dass Wohnungseigentümergemeinschaften völlig frei in ihren Entscheidungen sind. Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit müssen weiterhin beachtet werden.
Eine angemessene Entscheidungsgrundlage muss vorhanden sein: Auch wenn nicht zwingend drei Angebote erforderlich sind, müssen die Eigentümer ihre Entscheidung auf ausreichende Informationen stützen können. Völlig willkürliche Entscheidungen sind nicht zulässig.
Die Interessen aller Eigentümer müssen berücksichtigt werden: Besonders bei kleineren Gemeinschaften, wo jeder Eigentümer erheblich von den Kosten betroffen ist, müssen die Entscheidungen gut begründet sein.
Das Gericht betonte ausdrücklich, dass sowohl die sanierungsunwillige Minderheit als auch die sanierungswillige Mehrheit zu schützen seien. Überzogene Anforderungen an die Einholung von Vergleichsangeboten würden notwendige Sanierungen verzögern und letztlich allen Eigentümern schaden.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Wohnungseigentümergemeinschaften bedeutet diese Entscheidung mehr Flexibilität: Sie müssen nicht mehr starr auf drei Angebote bestehen, sondern können je nach Situation angemessen handeln. Bei dringenden Reparaturen oder wenn nur wenige Unternehmen Angebote abgeben, reichen auch zwei Vergleichsangebote aus.
Hausverwaltungen sollten dennoch sorgfältig dokumentieren: Es empfiehlt sich, alle Bemühungen um die Einholung von Angeboten zu dokumentieren. Falls Unternehmen keine Angebote abgeben oder Termine nicht einhalten, sollte dies vermerkt werden.
Einzelne Eigentümer können weiterhin Beschlüsse anfechten: Das Urteil bedeutet nicht, dass jede Entscheidung automatisch rechtmäßig ist. Wenn die Gemeinschaft offensichtlich unwirtschaftlich handelt oder wichtige Verfahrensschritte überspringt, bleiben Anfechtungen möglich.
Bei größeren Projekten bleibt Vorsicht geboten: Je höher das Auftragsvolumen, desto sorgfältiger sollte die Auswahl getroffen werden. Bei Sanierungen im sechsstelligen Bereich sollten weiterhin mehrere Angebote eingeholt werden.
Die Entscheidung zeigt, dass Gerichte zunehmend praxisnahe Lösungen suchen, die den Realitäten des Handwerkermarktes Rechnung tragen. Wichtig bleibt aber, dass alle Entscheidungen gut dokumentiert und nachvollziehbar begründet werden.
Quelle: AG Hamburg, Urteil vom 11.06.2025 - 9 C 448/24
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