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Demenz als Räumungsschutz: BVerfG stoppt Zwangsvollstreckung

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Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals eine Zwangsvollstreckung wegen einer drohenden Verschlechterung einer Demenzerkrankung gestoppt und damit ein wichtiges Signal für den Schutz vulnerable Mieter gesetzt.
ältere Dame im Kreis ihrer Familie
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der dramatische Fall aus Nordrhein-Westfalen

In diesem besonderen Fall sollte eine viereinhalb Zimmer große Wohnung in der zweiten Etage eines Hauses zwangsgeräumt werden. Betroffen waren mehrere Personen, von denen eine an Demenz erkrankt ist. Das ursprüngliche Räumungsurteil stammte vom Amtsgericht Schwelm aus dem Jahr 2021. Die Vollstreckung stand kurz bevor, als sich die Betroffenen an das Bundesverfassungsgericht wandten.

Die besondere Brisanz des Falls liegt in der gesundheitlichen Situation einer der betroffenen Personen. Diese leidet an einer Demenzerkrankung, die sich durch den Stress einer Zwangsräumung drastisch verschlechtern könnte. Erschwerend kommt hinzu, dass die erkrankte Person nicht allein in der Wohnung leben kann und auf die Unterstützung der anderen Mitbewohner angewiesen ist.

Wenn Gerichte zu oberflächlich prüfen

Das Landgericht Hagen hatte zuvor einen Antrag auf Aussetzung der Zwangsvollstreckung abgelehnt. Dabei ging das Gericht davon aus, dass die demenzkranke Person zwar nicht die durch Obdachlosigkeit bedingte Verschlechterung ihrer Erkrankung hinnehmen müsse, wohl aber die gesundheitlichen Folgen einer Heimunterbringung.

Diese Einschätzung kritisierte das Bundesverfassungsgericht scharf. Das Landgericht habe ohne weitere Sachaufklärung und ohne dokumentierte eigene Sachkunde entschieden. Bei Gesundheitsgefahren für Vollstreckungsschuldner müssen Gerichte jedoch viel gründlicher prüfen.

Das Grundrecht auf Leben und Gesundheit

Das Bundesverfassungsgericht stellte klar, dass Vollstreckungsgerichte bei Gesundheitsgefahren besondere Sorgfaltspflichten haben. Macht ein Vollstreckungsschuldner glaubhaft schwerwiegende Gesundheitsrisiken durch eine Zwangsräumung geltend, müssen sich die Gerichte ein genaues Bild verschaffen.

Dies bedeutet konkret, dass Gerichte bei fehlendem eigenem medizinischen Fachwissen Sachverständige hinzuziehen müssen. Sie müssen klären, welche gesundheitlichen Folgen ein Umzug im Einzelfall haben wird, wie schwerwiegend diese voraussichtlich sind und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie eintreten.

Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 des Grundgesetzes verpflichtet staatliche Organe, Grundrechtsverletzungen nach Möglichkeit auszuschließen. Dies gilt auch in der Zwangsvollstreckung, wo eine sorgfältige Abwägung aller Umstände erfolgen muss.

Die wegweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Das höchste deutsche Gericht entschied, die Zwangsvollstreckung einstweilig auszusetzen. Die Aussetzung gilt für maximal sechs Monate, bis über die Verfassungsbeschwerde entschieden wird. Diese Entscheidung traf das Gericht nach einer sorgfältigen Folgenabwägung.

Würde die Räumung durchgeführt und die Verfassungsbeschwerde später für begründet erklärt, könnten möglicherweise nicht rückgängig zu machende Folgen für Leib und Leben der demenzkranken Person eintreten. Umgekehrt würde sich bei einer einstweiligen Anordnung, die sich später als unberechtigt erweist, der Räumungstermin nur um wenige Monate verzögern.

Besonderheit bei mehreren Vollstreckungsschuldnern

Ein wichtiger Aspekt dieser Entscheidung betrifft Fälle mit mehreren Vollstreckungsschuldnern. Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass auch eine Teilräumung nicht in Betracht kommt, wenn der gesundheitlich beeinträchtigte Vollstreckungsschuldner auf die Hilfe der anderen angewiesen ist.

Im vorliegenden Fall kann die demenzkranke Person nach dem dokumentierten Gesundheitszustand nicht ohne die Unterstützung der anderen Mitbewohner in der Wohnung verbleiben. Daher schützt die einstweilige Anordnung alle Vollstreckungsschuldner vor der Räumung.

Strenge Maßstäbe für einstweilige Anordnungen

Das Bundesverfassungsgericht machte deutlich, dass für einstweilige Anordnungen grundsätzlich ein strenger Maßstab gilt. Diese kommen nur in Betracht, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Bei offenem Ausgang des Hauptverfahrens müssen die Folgen abgewogen werden, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte. Diese sind den Nachteilen gegenüberzustellen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde, die Verfassungsbeschwerde aber erfolglos bliebe.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Diese Entscheidung ist ein Meilenstein für den Schutz gesundheitlich beeinträchtigter Mieter. Sie zeigt, dass auch in der Zwangsvollstreckung die Grundrechte der Betroffenen ernst genommen werden müssen.

Für Mieter mit gesundheitlichen Problemen bedeutet dies: Drohen durch eine Zwangsräumung schwerwiegende Gesundheitsschäden, dürfen Gerichte nicht oberflächlich entscheiden. Sie müssen die gesundheitlichen Risiken gründlich prüfen und gegebenenfalls Sachverständige einschalten.

Für Vermieter und Gläubiger bedeutet dies: Vollstreckungen können sich verzögern, wenn gesundheitliche Risiken für die Schuldner bestehen. Die Gerichte müssen in solchen Fällen besonders sorgfältig prüfen und können die Vollstreckung aussetzen.

Die Entscheidung zeigt auch, dass bei mehreren Vollstreckungsschuldnern alle geschützt sein können, wenn einer von ihnen auf die Hilfe der anderen angewiesen ist. Dies ist besonders relevant bei Familien oder Wohngemeinschaften, in denen eine Person pflegebedürftig ist.

Neue Standards für Vollstreckungsgerichte

Das Urteil setzt neue Maßstäbe für die Vollstreckungspraxis. Gerichte müssen künftig bei Gesundheitsgefahren deutlich gründlicher prüfen. Eine pauschale Ablehnung von Aussetzungsanträgen ohne sachverständige Begutachtung genügt nicht mehr.

Die Verfahrensgestaltung muss so erfolgen, dass Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausgeschlossen werden. Dies stärkt die Position gesundheitlich beeinträchtigter Vollstreckungsschuldner erheblich.

Praktisch bedeutet dies längere Verfahren, aber auch einen besseren Schutz der Betroffenen. Die Abwägung zwischen den Rechten der Gläubiger und dem Gesundheitsschutz der Schuldner wird künftig sorgfältiger vorgenommen werden müssen.


Quelle: BVerfG, Beschluss vom 26.02.2024 - 2 BvR 51/24

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