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Mietrecht: Räumungsfrist bei Eigenbedarfskündigung - Neue Chancen in der Berufung

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Für Mieter, die nach einer Eigenbedarfskündigung ihr Zuhause verlassen müssen, bedeutet dies meist einen tiefen Einschnitt in ihr Leben. Besonders schwierig wird die Situation, wenn gesundheitliche Einschränkungen die Wohnungssuche erschweren oder wenn der lokale Wohnungsmarkt stark angespannt ist. Ein aktuelles Urteil des Landgerichts München zeigt nun, welche zusätzlichen Möglichkeiten Mieter im Berufungsverfahren haben können, um mehr Zeit für die Wohnungssuche zu gewinnen.
Eine ältere Dame ließt mit besorgtem Blick eine Zeitung, im Hintergrund Umzugskartons
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Fall: Eigenbedarfskündigung trifft auf gesundheitlich beeinträchtigte Mieterin

Im vorliegenden Fall hatte ein Vermieter seiner Mieterin wegen Eigenbedarfs gekündigt und anschließend Räumungsklage erhoben. Das Amtsgericht München gab der Klage statt und verurteilte die Mieterin zur Räumung bis zum 31.12.2024. Obwohl die Beklagte erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen hatte, konnte ihr Widerspruch gegen die Kündigung aus formalen Gründen nicht berücksichtigt werden.

Die Mieterin legte Berufung gegen das Urteil ein, nahm diese jedoch später wieder zurück. Nach der Berufungsrücknahme stellte sie beim Landgericht noch den Antrag auf Gewährung einer längeren Räumungsfrist.

Strittige Rechtsfrage: Kann das Berufungsgericht nach Berufungsrücknahme noch eine Räumungsfrist gewähren?

Der Vermieter wandte sich gegen die Verlängerung der Räumungsfrist mit zwei Hauptargumenten:

  1. Nach Rücknahme der Berufung dürfe das Landgericht gar keine Räumungsfrist mehr gewähren.
  2. Jedenfalls könne keine längere Frist als die vom Amtsgericht bereits gewährte festgesetzt werden.

Diese Rechtsauffassung griff das Landgericht München auf und musste entscheiden, ob es nach Berufungsrücknahme überhaupt noch eine Räumungsfristentscheidung treffen kann.

Die Entscheidung: Berufungsgericht darf auch nach Berufungsrücknahme Räumungsfrist gewähren

Das Landgericht München stellte in seinem Beschluss klar:

Ein Berufungsgericht ist auch nach Rücknahme einer Berufung des Mieters gegen ein Räumungsurteil befugt, eine eigene Räumungsfristentscheidung zu treffen.

Das Gericht begründete dies mit dem Zweck der gesetzlichen Regelung in § 721 ZPO, nämlich der Vermeidung von Obdachlosigkeit im Interesse des Mieters. Da das Berufungsgericht die Umstände des Falls bereits geprüft hat, spreche auch die Prozessökonomie für diese Lösung.

Die Richter unterschieden dabei verschiedene Fallkonstellationen:

  • Bei unstatthaften oder verspäteten Berufungen, die durch Beschluss verworfen werden, ist keine Räumungsfristentscheidung möglich.
  • Bei Zurückweisung einer Berufung durch Urteil oder Beschluss sowie bei Entscheidungen nach Berufungsrücknahme kann hingegen eine eigene Räumungsfristentscheidung getroffen werden.

Berücksichtigung der besonderen Umstände der Mieterin

Im konkreten Fall gewährte das Landgericht München der Mieterin eine verlängerte Räumungsfrist bis zum 30.06.2025. Bei der Entscheidung wurden berücksichtigt:

  1. Angespannter Wohnungsmarkt: Das Gericht erkannte die besondere Situation auf dem Münchener Wohnungsmarkt an, die trotz umfangreicher Bemühungen der Mieterin bisher keine neue Wohnmöglichkeit ergeben hatte.
  2. Gesundheitliche Einschränkungen: Die Mieterin litt unter mehreren gesundheitlichen Problemen, darunter:
    • Fortgeschrittenes Alter
    • Schwerbehinderung (GdB 80)
    • Dementielles Syndrom leicht- bis mittelgradiger Ausprägung
    • Weitere multiple krankheitsbedingte Einschränkungen

Diese gesundheitlichen Aspekte konnten zwar nicht für eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nach §§ 574 ff. BGB berücksichtigt werden (wegen des nicht form- und fristgerecht eingelegten Widerspruchs), flossen aber in die Räumungsfristentscheidung ein.

Keine Anrechnung der erstinstanzlichen Räumungsfrist

Besonders bemerkenswert ist, dass das Landgericht die bereits vom Amtsgericht gewährte Räumungsfrist bis zum 31.12.2024 nicht auf die eigene Entscheidung anrechnete. Es betonte, dass es sich um eine eigene, selbständige Räumungsfristgewährung handelt. Die gesetzliche Höchstgrenze von einem Jahr für Räumungsfristen wird dabei auf jede Instanz separat angewendet - eine Addition der Fristen erfolgt nicht.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Diese Entscheidung hat wichtige praktische Auswirkungen für Mieter, die sich gegen ein Räumungsurteil zur Wehr setzen möchten:

  1. Zweite Chance auf Räumungsfristverlängerung: Selbst wenn eine Berufung zurückgenommen wird, können Sie beim Berufungsgericht einen Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist stellen.
  2. Unabhängige Fristverlängerung: Das Berufungsgericht kann eine eigenständige Räumungsfrist gewähren, die nicht durch die erstinstanzliche Frist begrenzt ist. Theoretisch sind so bis zu zwei Jahre Räumungsfrist möglich (je ein Jahr pro Instanz).
  3. Berücksichtigung persönlicher Umstände: Gesundheitliche Einschränkungen und ein schwieriger Wohnungsmarkt können auch dann für die Räumungsfrist berücksichtigt werden, wenn diese Umstände für einen Widerspruch gegen die Kündigung nicht mehr geltend gemacht werden können.
  4. Strategische Überlegung: Selbst wenn die Erfolgsaussichten einer Berufung gering sind, kann sich das Rechtsmittel lohnen, um anschließend eine verlängerte Räumungsfrist zu erreichen.

Für Vermieter bedeutet dieses Urteil, dass sie auch nach einer Berufungsrücknahme mit weiteren Verzögerungen bei der Durchsetzung ihres Räumungsanspruchs rechnen müssen.

Die Entscheidung zeigt die Bemühungen der Gerichte, bei Räumungssachen einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Vermieter und dem Schutz von Mietern vor Obdachlosigkeit zu finden. Besonders schutzbedürftige Mietergruppen, wie ältere oder kranke Menschen, können dabei auf ein besonderes Entgegenkommen der Gerichte hoffen.

Quelle: LG München, Beschluss vom 16.09.2024, Az. 14 S 3525/23, veröffentlicht in ZMR 2025, 129

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