Eigenbedarfskündigung: Behindertenausweis reicht nicht als Nachweis für eine unzumutbare Härte aus


Der Fall: Familienplanung gegen Härtegrund
Eine Familie mit zwei pflegebedürftigen und schwerbehinderten Kindern erhielt eine Eigenbedarfskündigung. Der Vermieter wollte das Einfamilienhaus für sich und seine Lebensgefährtin nutzen, da diese einen gemeinsamen Kinderwunsch hatten und ihre bisherige Wohnung zu klein war. Die Mieter widersprachen der Kündigung und beriefen sich auf unzumutbare Härte.
Das Amtsgericht Flensburg entschied im Dezember 2024 zugunsten des Vermieters. Das Urteil macht deutlich, welche hohen Anforderungen an den Nachweis von Härtegründen gestellt werden.
Berechtigte Eigenbedarfskündigung: Kinderwunsch als Grund
Das Gericht bestätigte zunächst die Berechtigung der Eigenbedarfskündigung. Der Vermieter hatte glaubhaft dargelegt, dass er die Wohnung dringend für seine geplante Familie benötigte.
Entscheidend für den Eigenbedarf waren die ernsthafte Nutzungsabsicht des Vermieters, nachvollziehbare Gründe für den Wohnungsbedarf und der Ausschluss einer missbräuchlichen Kündigung.
Die Lebensgefährtin des Vermieters sagte vor Gericht aus, dass beide unbedingt umziehen wollten. Ihre aktuelle Wohnung war deutlich kleiner und bot nur ein winziges Bürozimmer, das gleichzeitig als Aufenthaltsraum für die Tochter des Vermieters diente. Bei ihrem Kinderwunsch wäre dort nicht einmal Platz für eine Wickelkommode gewesen.
Warum die Alternative nicht half
Der Vermieter besaß eine weitere Wohnung direkt nebenan, die jedoch ein Zimmer weniger hatte. Das Gericht sah darin keine gleichwertige Alternative. Die begehrte Wohnung verfügte im Obergeschoss über einen Flur, von dem aus drei separate Zimmer erreichbar waren. Die Vergleichswohnung hatte stattdessen ein Durchgangszimmer, was eine sinnvolle Raumaufteilung für eine Familie unmöglich machte.
Das Urteil macht klar: Vermieter müssen nicht die zweitbeste Lösung akzeptieren, sondern können die für sie am besten geeignete Wohnung wählen.
Der gescheiterte Widerspruch: Unzureichende Beweise
Die Mieter hatten fristgerecht Widerspruch eingelegt und auf die schwierige Situation ihrer pflegebedürftigen Kinder sowie die Angststörung der Mutter hingewiesen. Doch das reichte nicht aus.
Zu oberflächliche Darstellung der Behinderungen
Die Familie legte lediglich zwei Schwerbehindertenausweise, zwei einseitige Pflegegutachten und ein allgemeinärztliches Attest vor.
Das Gericht kritisierte scharf, dass nicht konkret dargelegt wurde, welche Erkrankungen oder Behinderungen die Kinder hatten und warum genau ein Umzug unmöglich sein sollte. Ein Pflegegrad kann aus völlig unterschiedlichen Gründen zugesprochen werden, von psychischen Beeinträchtigungen bis hin zu körperlichen Einschränkungen.
Entscheidend ist: Bei psychischen Erkrankungen kann ein Umzug tatsächlich eine Verschlechterung bewirken, wenn sich die betroffene Person in einem neuen Umfeld nicht zurechtfindet. Bei rein körperlichen Behinderungen ist ein Umzug mit entsprechender Hilfe dagegen meist durchaus möglich.
Mangelnde ärztliche Substantiierung
Das vorgelegte Attest sprach nur allgemein von einer "gesundheitlichen Situation" und leitete daraus ohne weitere Begründung die Unzumutbarkeit eines Umzugs ab. Das Gericht erwartete stattdessen ausführliche fachärztliche Atteste mit konkreter Beschreibung der Erkrankungen, einer Darstellung der spezifischen Auswirkungen eines Umzugs und einer Begründung, warum eine Verschlechterung droht.
Auch psychische Erkrankungen unzureichend belegt
Die Mutter hatte eine Angst- und posttraumatische Belastungsstörung vorgetragen, die täglich mit einem Medikament behandelt wurde. Auch hier fehlten dem Gericht konkrete Angaben über die Auswirkungen im Alltag und warum ein Umzug unmöglich sein sollte.
Trotz richterlicher Hinweise konnten die Mieter nur vorbringen, dass ein Erstgespräch bei einem Arzt stattgefunden hatte und sie nun auf einer Warteliste stünden. Ein fachärztliches Zeugnis über die Medikamentenverschreibung oder detaillierte Informationen über die Erkrankung lagen nicht vor.
Erfolglose Suche nach Ersatzwohnraum
Die Mieter hatten auch vorgetragen, keinen geeigneten Ersatzwohnraum zu finden. Sie legten eine handschriftliche Liste mit Wohnungsbewerbungen vor. Das Gericht wertete diese jedoch als unzureichend, da die Liste zu oberflächlich war, kein Nachweis durch E-Mails oder Schriftverkehr vorlag und der Vortrag erst verspätet in der mündlichen Verhandlung erfolgte.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Mieter: Härtegründe professionell dokumentieren
Wenn Sie einer Eigenbedarfskündigung widersprechen wollen, reichen allgemeine Hinweise auf Krankheiten oder Behinderungen nicht aus. Sie benötigen eine umfassende ärztliche Dokumentation mit fachärztlichen Attesten einschließlich konkreter Diagnosen, einer detaillierten Beschreibung der gesundheitlichen Einschränkungen und einer Begründung, warum ein Umzug zu einer Verschlechterung führen würde. Bloße Pauschalaussagen genügen nicht.
Zusätzlich sollten Sie Ihre Wohnungssuche dokumentieren durch Nachweise über Bewerbungen wie E-Mails und Schriftverkehr, konkrete Absagen mit Begründungen und eine zeitnahe Vorlage, nicht erst in der Gerichtsverhandlung.
Für Vermieter: Eigenbedarf konkret darlegen
Das Urteil bestätigt, dass Vermieter bei ernsthaftem Eigenbedarf gute Chancen haben. Erfolgsfaktoren sind eine glaubhafte Darlegung der Nutzungsabsicht, nachvollziehbare Gründe für den Wohnbedarf, die Bereitschaft zur Zeugenaussage der zukünftigen Mitbewohner und das Wissen, dass keine Verpflichtung besteht, zweitbeste Alternativen zu akzeptieren.
Der Amtsleitsatz als Richtschnur
Das Gericht stellte klar: "Der Mieter, der sich auf einen Härtegrund nach § 574 BGB beruft, muss seine Krankheit oder Behinderung durch ein fachärztliches Attest substantiiert darlegen. Der bloße Verweis auf einen Behindertenausweis genügt ohne weitere Anhaltspunkte nicht."
Diese Rechtsprechung dürfte auch andere Gerichte beeinflussen und zeigt, dass die Anforderungen an Härtegründe steigen.
Praktische Konsequenzen für beide Seiten
Zeitplanung beachten
Das Gericht gewährte eine Räumungsfrist bis Ende Februar 2025, obwohl die Kündigung bereits im Dezember 2023 erfolgt war. Bei gesundheitlichen Problemen werden angemessene Übergangszeiten eingeräumt, auch wenn der Widerspruch erfolglos bleibt.
Frühzeitige rechtliche Beratung
Sowohl Mieter als auch Vermieter sollten sich rechtzeitig anwaltlich beraten lassen. Die rechtlichen Anforderungen sind komplex und eine unzureichende Vorbereitung führt schnell zum Misserfolg.
Das Flensburger Urteil macht deutlich: Wer sich auf Härtegründe berufen will, muss diese professionell dokumentieren und konkret belegen. Pauschale Verweise reichen in der heutigen Rechtsprechung nicht mehr aus.
Quelle: AG Flensburg, Urteil vom 04.12.2024 – 61 C 55/24
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