Absenkungsbeschlüsse richtig fassen – Was Eigentümer wissen müssen


Der Fall: Umfangreiche Sanierungsplanung führt zum Streit
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft mit mehreren Gebäuden und Wohnungen beschloss in ihrer Versammlung vom Juli 2022 umfangreiche Sanierungsmaßnahmen. Dabei ging es um die Erneuerung von Fassaden, Balkonen, Fenstern und Dächern – ein Millionenprojekt mit geschätzten Kosten von über 14 Millionen Euro.
Besonders umstritten war ein sogenannter Absenkungsbeschluss: Die Eigentümer wollten sich die Möglichkeit schaffen, künftige Entscheidungen rund um die Sanierung per Umlaufverfahren – also ohne neue Versammlung – mit einfacher Mehrheit zu treffen.
Was ist ein Absenkungsbeschluss?
Ein Absenkungsbeschluss ist ein spezielles Instrument im Wohnungseigentumsrecht, das es Eigentümergemeinschaften ermöglicht, die normalerweise erforderliche Einstimmigkeit für bestimmte Entscheidungen auf eine einfache Mehrheit "abzusenken".
Die rechtliche Grundlage
§ 23 Abs. 3 Satz 2 WEG regelt dies folgendermaßen:
"Die Wohnungseigentümer können beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt."
Wie funktioniert das normalerweise?
Grundregel: Beschlüsse im Umlaufverfahren (also ohne Versammlung, nur schriftlich) erfordern nach § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG Einstimmigkeit aller Wohnungseigentümer.
Problem in der Praxis: Bei größeren Gemeinschaften ist Einstimmigkeit oft schwer zu erreichen - ein einziger Eigentümer kann jede Entscheidung blockieren.
Der Absenkungsbeschluss als Lösung
Mit einem Absenkungsbeschluss können die Eigentümer vorab in der Versammlung festlegen:
"Für die Entscheidung X können wir später per Umlaufverfahren mit einfacher Mehrheit beschließen - Einstimmigkeit ist nicht nötig."
Praktisches Beispiel
Ohne Absenkungsbeschluss:
- Eigentümerversammlung beschließt: "Wir sanieren das Dach"
- Später werden 3 Angebote eingeholt
- Für die Auftragsvergabe muss eine neue Versammlung einberufen werden
- ODER: Umlaufverfahren, aber alle müssen zustimmen
Mit Absenkungsbeschluss:
- Eigentümerversammlung beschließt: "Wir sanieren das Dach" + "Die spätere Auftragsvergabe kann per Umlaufverfahren mit einfacher Mehrheit erfolgen"
- Später werden 3 Angebote eingeholt
- Umlaufverfahren mit einfacher Mehrheit reicht aus
- Keine neue Versammlung nötig
Die strengen Voraussetzungen
Das Münchener Urteil macht deutlich: Absenkungsbeschlüsse haben enge Grenzen:
1. Nur für "einzelne Gegenstände"
❌ Falsch: "Alle künftigen Entscheidungen zur Sanierung" ✅ Richtig: "Die Vergabe des Dachdecker-Auftrags nach Vorlage der Angebote"
2. Konkret und bestimmbar
❌ Falsch: "Weitere erforderliche Maßnahmen"
✅ Richtig: "Auswahl zwischen den drei eingeholten Heizungsangeboten"
3. Formale Anforderungen
- Muss in der Tagesordnung angekündigt werden
- Gehört in die Beschlusssammlung
- Kann separat angefochten werden
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft wollte umfangreiche Sanierungsarbeiten durchführen lassen. In einer Eigentümerversammlung beschlossen die Eigentümer die Erneuerung aller Fassadenflächen, Balkone, Fenster und Dächer – ein Millionenprojekt. Doch die Beschlussfassung war mangelhaft vorbereitet und verstieß gegen wichtige Verfahrensregeln.
Die Eigentümer beauftragten ein Planungsbüro mit Leistungen im Wert von über 500.000 Euro, ohne Vergleichsangebote einzuholen. Zudem delegierten sie wichtige Entscheidungen an die Verwaltung und fassten einen sogenannten Absenkungsbeschluss, der künftige Entscheidungen im schriftlichen Umlaufverfahren ermöglichen sollte.
Zentrale Streitpunkte vor Gericht
Fehlende Vergleichsangebote bei Großaufträgen
Das Gericht stellte einen wichtigen Grundsatz auf:
"Die Vergabe eines Auftrags zur Durchführung von größeren Instandsetzungsarbeiten und Sanierungs- und/oder Modernisierungsmaßnahmen widerspricht ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn der Verwalter nicht mehrere Konkurrenzangebote eingeholt hat."
Bei einem Planungsauftrag von über 500.000 Euro hätten mindestens drei Konkurrenzangebote vorliegen müssen. Weder die Bekanntheit des Planungsbüros noch angebliche Spezialkenntnisse rechtfertigten den Verzicht auf Vergleichsangebote.
Problematische Delegation an die Verwaltung
Die Eigentümer wollten die Auswahl eines Sicherheitskoordinators "in Abstimmung mit dem Planungsbüro" der Verwaltung überlassen. Solche unbestimmten Delegationsversuche widersprechen nach Ansicht des Gerichts den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung.
Absenkungsbeschlüsse richtig handhaben
Ein besonders wichtiger Punkt betraf den sogenannten Absenkungsbeschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG. Damit können Eigentümer beschließen, dass künftige Entscheidungen zu einem bestimmten Thema im schriftlichen Umlaufverfahren mit einfacher Mehrheit getroffen werden.
Das Gericht entschied:
"Aus der Einordnung als Sachbeschluss folgt, dass der Absenkungsbeschluss bei der Einberufung nach § 23 Abs. 2 WEG anzukündigen ist, dass er in die Beschluss-Sammlung nach § 24 Abs. 7 WEG aufzunehmen ist und dass er isoliert angefochten werden kann."
Gerichtsentscheidung: Klarer Sieg für die Kläger
Das Landgericht München I erklärte mehrere Beschlüsse für ungültig:
Planungsauftrag ohne Vergleichsangebote
Der Beschluss zur Beauftragung des Planungsbüros wurde für ungültig erklärt, weil keine Vergleichsangebote eingeholt wurden. Das Gericht betonte, dass auch die Berufung auf angebliche Spezialkenntnisse des Büros nicht ausreiche, um auf Konkurrenzangebote zu verzichten.
Unzulässiger Absenkungsbeschluss
Der Absenkungsbeschluss war zu weit gefasst und bezog sich auf "abstrakt unbekannte Gegenstände". Er erlaubte eine Vielzahl künftiger Mehrheitsbeschlüsse, ohne dass diese konkret benannt waren. Dies überschritt die Grenzen des § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG, der nur Beschlüsse für einen "einzelnen Gegenstand" zulässt.
Mangelnde Bestandsaufnahme
Auch die Sanierungsbeschlüsse selbst widersprachen ordnungsgemäßer Verwaltung, weil keine ausreichende Bestandsaufnahme der tatsächlichen Schäden vorgenommen wurde. Bei größeren Sanierungsmaßnahmen müssen Eigentümer zunächst den konkreten Sanierungsbedarf ermitteln.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Wohnungseigentümergemeinschaften:
- Vergleichsangebote einholen: Bei größeren Aufträgen sind mindestens drei Konkurrenzangebote Pflicht
- Bestandsaufnahme durchführen: Vor Sanierungsbeschlüssen muss der tatsächliche Bedarf ermittelt werden
- Absenkungsbeschlüsse konkret fassen: Diese dürfen sich nur auf einen "einzelnen Gegenstand" beziehen und müssen ordnungsgemäß angekündigt werden
- Keine unscharfen Delegationen: Entscheidungen können nicht einfach "in Abstimmung mit" anderen getroffen werden
Für Verwalter:
- Sorgfältige Vorbereitung: Beschlussvorlagen müssen alle notwendigen Informationen und Vergleichsangebote enthalten
- Korrekte Ankündigung: Absenkungsbeschlüsse müssen in der Tagesordnung angekündigt und in die Beschlusssammlung aufgenommen werden
- Nebenintervention möglich: Verwalter können als Nebenintervenienten an Rechtsstreitigkeiten teilnehmen
Praktische Tipps:
- Lassen Sie bei größeren Vorhaben immer mehrere Angebote erstellen
- Dokumentieren Sie bei Sanierungen den konkreten Bedarf durch Sachverständige
- Formulieren Sie Absenkungsbeschlüsse präzise und nur für konkrete Einzelfälle
- Delegieren Sie Entscheidungen nicht unbestimmt an Dritte
Fazit: Das Urteil stärkt die Rechte der Wohnungseigentümer und zeigt: Auch bei dringend erscheinenden Sanierungsmaßnahmen müssen die Verfahrensregeln eingehalten werden. Sorgfältige Vorbereitung und ordnungsgemäße Beschlussfassung sind unerlässlich – auch wenn sie Zeit kosten.
Quelle: Landgericht München I, Urteil vom 21.03.2024, Az. 36 S 3331/23 WEG
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