Winterdienst: Wann haftet der Eigentümer bei Glatteisunfall?
Der Vorfall in der Fußgängerzone
An einem Januartag ereignete sich in einer Fußgängerzone im Saarland ein folgenreicher Sturz. Eine Passantin ging gegen Viertel vor zehn Uhr morgens mit wintergerechtem Schuhwerk durch die Innenstadt, als sie auf einer Ecke zu Fall kam. Sie behauptete, der Schnee sei weder geräumt noch Streusalz verteilt worden, obwohl in der Nacht zuvor erheblich Schnee gefallen sei. Die Folgen waren schmerzhaft: Die Frau zog sich Verletzungen am rechten Fußgelenk sowie eine Stauchung der Halswirbelsäule zu.
Die Betroffene machte daraufhin Schmerzensgeld und Schadensersatz gegen die Eigentümerin des angrenzenden Geschäftsgebäudes geltend. Diese betreibt eine Immobilienverwaltung und hatte einen Hausmeisterdienst mit der Schneeräumung und Salzstreuung beauftragt. Allerdings hatte sie kurz vor dem Unfall den Umfang dieser Beauftragung deutlich eingeschränkt.
Rechtsstreit um Verkehrssicherungspflicht
Die Argumentation der Geschädigten
Die gestürzte Frau berief sich auf die örtliche Straßenreinigungssatzung, die für die Eigentümerin eine Pflicht zur Räumung und Streuung am Unfallort vorsah. Sie argumentierte, es sei vorhersehbar gewesen, dass die Witterungslage ohne entsprechende Maßnahmen zu Schädigungen führen könne. Besonders problematisch erschien aus ihrer Sicht, dass die Eigentümerin die Beauftragung des Hausmeisterdienstes ausgesetzt hatte.
Die Verteidigung der Eigentümerin
Die Beklagte verteidigte sich mit dem Hinweis, dass trotz der Schneedecke keine Ursachen für Glatteis bestanden hätten. Sie betonte, der Hausmeisterdienst habe im relevanten Zeitraum den Winterdienst wie gewohnt ausgeführt. Konkret sei am Vortag des Unfalls zwischen sieben und zwölf Uhr mittags der Winterdienst erbracht worden, danach erneut zwei Tage später. Es sei sachgerecht geräumt worden. Zudem habe sie durch die Beauftragung des professionellen Dienstes ihre Verkehrssicherungspflicht ordnungsgemäß erfüllt.
Die gerichtliche Bewertung
Grundsätze der winterlichen Räum- und Streupflicht
Das Gericht stellte zunächst die rechtlichen Grundlagen klar. Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht richten sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Dabei sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen: die Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs, seine Gefährlichkeit sowie die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht nicht uneingeschränkt, sondern steht unter dem Vorbehalt des Zumutbaren.
Grundsätzlich muss sich der Straßenverkehr auch im Winter den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen. Der Sicherungspflichtige hat jedoch durch Schneeräumen und Bestreuen die Gefahren zu beseitigen, die infolge winterlicher Glätte für Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz Anwendung der erforderlichen Sorgfalt bestehen.
Voraussetzung: Konkrete Gefahrenlage
Ein entscheidender Punkt in der rechtlichen Würdigung war die Feststellung, dass die winterliche Räum- und Streupflicht eine konkrete Gefahrenlage voraussetzt. Das bedeutet, es muss eine tatsächliche Gefährdung durch Glättebildung oder Schneebelag bestehen. Grundvoraussetzung ist das Vorliegen einer allgemeinen Glätte oder erkennbarer Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr aufgrund vereinzelter Glättestellen. Das bloße Vorhandensein einzelner Glättestellen reicht nicht aus.
Die Beweisaufnahme und Entscheidung
Das Amtsgericht führte eine umfassende Beweisaufnahme durch und befragte den verantwortlichen Hausmeister als Zeugen. Dieser führte persönliche Notizen über die Durchführung des Winterdienstes, die dem Gericht vorlagen. Anhand der Zeugenaussage und eingereichten Lichtbilder konnte sich das Gericht davon überzeugen, dass vor den Geschäftsräumen der Eigentümerin auch noch am Abend des Unfalltages ordnungsgemäß geräumt war.
Die Sichtbarkeit der Räumarbeiten war der Knackpunkt: Dadurch, dass sogar noch am Abend des Unfalltags die vom Hausmeister vorgenommenen Winterdienstarbeiten erkennbar waren, wurde deutlich, dass trotz weiteren Schneefalls nach den Räumarbeiten am Vortag keine zusätzlichen Winterdienstmaßnahmen erforderlich waren. Die Tatsache, dass am Unfalltag selbst keine Räumung stattfand, war unter diesen Umständen unproblematisch.
Das Gericht ließ offen, ob die Eigentümerin durch die zeitweise Reduzierung der Beauftragung ihre Verkehrssicherungspflicht wieder selbst übernehmen musste. Denn selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte kein Verstoß gegen die Räum- und Streupflicht vorgelegen, da der Hausmeisterdienst faktisch die erforderlichen Maßnahmen vollumfänglich durchgeführt hatte.
Das Amtsgericht wies die Klage ab, und auch die Berufung vor dem Landgericht blieb erfolglos. Die Geschädigte konnte weder Schmerzensgeld noch Ersatz ihrer Behandlungskosten oder Anwaltskosten durchsetzen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Keine automatische Haftung bei Winterunfällen
Dieses Urteil verdeutlicht, dass ein Sturz bei winterlichen Verhältnissen nicht automatisch zu Schadensersatzansprüchen führt. Grundstückseigentümer und Hausverwaltungen müssen zwar ihrer Verkehrssicherungspflicht nachkommen, diese ist aber nicht grenzenlos. Es muss eine konkrete, nachweisbare Gefahrenlage bestehen.
Delegation an professionelle Dienstleister
Eigentümer können die Räum- und Streupflicht auf professionelle Winterdienste übertragen. Entscheidend ist, dass die beauftragten Unternehmen tatsächlich tätig werden und angemessene Maßnahmen ergreifen. Selbst wenn die vertragliche Beauftragung eingeschränkt wird, kann eine Haftung vermieden werden, wenn der Dienstleister faktisch weiterhin ordnungsgemäß tätig ist.
Beweislast und Dokumentation
Für Geschädigte ist es schwierig, eine Verletzung der Räum- und Streupflicht nachzuweisen, wenn der Verantwortliche dokumentieren kann, dass angemessene Maßnahmen ergriffen wurden. Im vorliegenden Fall halfen dem Hausmeister seine persönlichen Notizen und Lichtbilder, die noch am Abend des Unfalltags die ordnungsgemäße Räumung belegten.
Eigenverantwortung der Fußgänger
Das Urteil unterstreicht auch die Eigenverantwortung von Fußgängern. Bei winterlichen Verhältnissen müssen Passanten besondere Vorsicht walten lassen und sich den Straßenverhältnissen anpassen. Der Umstand, dass Schnee gefallen ist und eine Wetterwarnung vorlag, begründet allein noch keine Haftung des Grundstückseigentümers, wenn die erforderlichen Räummaßnahmen bereits am Vortag durchgeführt wurden.
Praktische Konsequenzen für Eigentümer
Hauseigentümer und Verwalter sollten Winterdienstmaßnahmen sorgfältig dokumentieren. Protokolle über durchgeführte Räumungen und Streuungen können im Streitfall entscheidend sein. Die Beauftragung eines zuverlässigen, professionellen Dienstes ist empfehlenswert. Wichtig ist jedoch, dass dieser auch tatsächlich tätig wird – die bloße vertragliche Vereinbarung reicht nicht aus.
Grundsätze des Urteils
- Winterliche Räum- und Streupflicht setzt konkrete Gefahrenlage durch Glättebildung oder Schneebelag voraus; bloßes Vorhandensein einzelner Glättestellen reicht nicht
- Umfang der Räumpflicht richtet sich nach Einzelfallumständen (Verkehrswegtyp, Gefährlichkeit, Verkehrsstärke) und steht unter Zumutbarkeitsvorbehalt
- Eigentümer können Winterdienst auf professionelle Dienstleister delegieren; entscheidend ist faktische ordnungsgemäße Durchführung
- Sturz bei winterlichen Verhältnissen begründet nicht automatisch Haftung; Geschädigte tragen Beweislast für Pflichtverletzung
- Dokumentation durchgeführter Räummaßnahmen (Protokolle, Fotos) kann im Streitfall haftungsbefreiend wirken
Quelle: Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 13.06.2024, Az. 13 S 96/23
Kontaktieren Sie uns!
Die Informationen auf unserer Website dienen ausschließlich zu Informationszwecken. Sie ersetzen keine rechtliche Beratung, die auf Ihre individuelle Situation zugeschnitten ist. Bitte beachten Sie auch, dass sich die Rechtslage durch neue Gesetze und Urteile jederzeit ändern kann.
Für detaillierte Fragen oder eine individuelle Beratung stehen Ihnen die Experten unserer Kanzlei für Mietrecht in Essen zur Verfügung. Wir helfen Ihnen, die beste Strategie für Ihr spezifisches Anliegen zu entwickeln.
Ihr Recht ist unsere Leidenschaft!
Sie sind ratlos im Streit mit Ihrem Mieter oder Vermieter? Sie stehen vor komplexen Vertragsverhandlungen oder es geht um den Erwerb, Veräußerung oder Vererbung von Immobilieneigentum. Wir haben uns auf das private und gewerbliche Mietrecht, Immobilienrecht und Maklerrecht spezialisiert. Vertrauen Sie uns. Zögern Sie also nicht länger und holen Sie sich die Unterstützung, die ein professionelles Vorgehen ermöglicht. Lassen Sie uns gemeinsam eine Strategie für die Umsetzung Ihres Vorhabens besprechen.
Unsere digitale Kanzlei
Bei uns geht Recht vollkommen digital. Für Sie entscheidend: Sie können alles bequem von überall aus organisieren. Besuchen Sie unsere Webseite und buchen Sie ein Video-Meeting mit einem Anwalt. Ihre Unterlagen können Sie einfach uploaden. Selbst erforderliche Unterschriften können Sie bei uns digital leisten.
kostenlose Ersteinschätzung
Lassen Sie uns bei einem unverbindlichen Kennenlerngespräch über Ihre spezifischen rechtlichen Anliegen sprechen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Unpünktliche Mietzahlung: Wann droht die Kündigung?
Vermieter haftet für defekten Kühlschrank in Einbauküche
Suizidale Mieter können Kündigungsschutz geltend machen
Winterdienst: Wann haftet der Eigentümer bei Glatteisunfall?
