Zum Hauptinhalt springen

Sonderklausel im Mietvertrag verhindert Eigenbedarfskündigung

Der beste Anwalt für Mietrecht
Vermieter können bei bestimmten Altverträgen nicht ohne weiteres wegen Eigenbedarfs kündigen. Das Landgericht Berlin stärkt den Bestandsschutz von Mietern, deren Verträge besondere Kündigungsschutzklauseln enthalten. Ein Vermieter in Berlin wollte eine vermietete Wohnung für sich und seine Familie nutzen. Die Mieterin lebt jedoch seit 1991 in der Wohnung und hat einen besonderen Schutz in ihrem Mietvertrag vereinbart. Das Landgericht Berlin entschied, dass der normale Wunsch nach einer gemeinsamen Familienwohnung nicht ausreicht, um ihr zu kündigen.
Familie mit zwei Kindern steht vor einer Haustür.
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Fall: Wenn der Eigentümer selbst einziehen möchte

Ein Mann hatte eine vermietete Wohnung in Berlin erworben. Die Mieterin bewohnt die Wohnung bereits seit September 1991 aufgrund eines Mietvertrages mit der damaligen Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg. Der neue Eigentümer kündigte der Mieterin Ende September 2023 wegen Eigenbedarfs. Er wollte dort mit seiner Verlobten, deren Tochter und der gemeinsamen weiteren Tochter als Familie zusammenleben.

Seine bisherige Wohnsituation stellte er als beengt dar. Die Familienzusammenführung in der gekündigten Wohnung erschien ihm als vernünftige und nachvollziehbare Lösung. Die Mieterin weigerte sich jedoch auszuziehen und verwies auf ihren besonderen Kündigungsschutz aus dem ursprünglichen Mietvertrag. Der Eigentümer klagte daraufhin vor dem Amtsgericht auf Räumung, verlor aber sowohl in erster als auch in zweiter Instanz vor dem Landgericht.

Besonderer Kündigungsschutz aus alten Verträgen

Der entscheidende Punkt in diesem Fall war eine besondere Klausel im Mietvertrag von 1991. Dieser enthielt in Paragraph 5 Absatz 3 eine Regelung, die in vielen Verträgen von Wohnungsbaugenossenschaften und städtischen Wohnungsgesellschaften aus dieser Zeit zu finden war. Danach reicht ein normales berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses nicht aus. Vielmehr müssen wichtige berechtigte Interessen vorliegen, die eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen.

Diese Formulierung verschärft die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Kündigung erheblich. Während nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch grundsätzlich bereits ein berechtigtes Interesse für eine Eigenbedarfskündigung genügt, verlangt die vertragliche Vereinbarung einen besonderen Ausnahmefall. Das Gericht spricht von der Formel Eigenbedarf plus X, um diesen erhöhten Maßstab zu verdeutlichen.

Der neue Eigentümer muss sich an die alten Vereinbarungen halten. Wenn er eine Wohnung mit solch einem Mietvertrag kauft, tritt er in alle Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag ein.

Die entscheidende Rechtsfrage: Was gilt nach dem Eigentümerwechsel?

Der Vermieter argumentierte, die besondere Kündigungsschutzklausel gelte nicht mehr für ihn. Schließlich sei er kein Wohnungsunternehmen wie die ursprüngliche Vermieterin, sondern eine Privatperson. Zudem sei durch eine spätere Modernisierungsvereinbarung aus dem Jahr 1998 der ursprüngliche Mietvertrag teilweise abgeändert worden. In dieser Vereinbarung hatte sich die damalige Vermieterin verpflichtet, zehn Jahre nach Abschluss der Baumaßnahmen keine Eigenbedarfskündigung auszusprechen. Nach Ablauf dieser Frist könne er nun wieder normal kündigen.

Das Landgericht wies diese Argumentation zurück. Nach Paragraph 566 des Bürgerlichen Gesetzbuches tritt der Erwerber einer vermieteten Wohnung in das bestehende Mietverhältnis mit allen Rechten und Pflichten ein. Die Rechte der Mieterin werden durch einen Eigentümerwechsel nicht geschmälert. Es spielt dabei keine Rolle, ob nun eine natürliche Person oder eine juristische Person wie eine Wohnungsbaugesellschaft Vermieterin ist.

Die Modernisierungsvereinbarung von 1998 hatte den ursprünglichen Mietvertrag auch nicht vollständig ersetzt, sondern nur in einzelnen Punkten abgeändert. Die Kündigungsschutzklausel blieb davon unberührt. Die zeitlich befristete Verpflichtung, zehn Jahre lang überhaupt keine Eigenbedarfskündigung auszusprechen, war eine zusätzliche Einschränkung. Nach Ablauf dieser Frist lebte der besondere Kündigungsschutz aus Paragraph 5 Absatz 3 des ursprünglichen Vertrages wieder auf.

Normaler Eigenbedarf reicht nicht aus

Das Gericht prüfte auch, ob die vom Vermieter geschilderte Situation einen solchen besonderen Ausnahmefall darstellte. Der Vermieter hatte nachvollziehbar dargelegt, dass er mit seiner Verlobten, deren Tochter und der gemeinsamen Tochter zusammenleben wolle. Diese Familienzusammenführung sei ein wichtiges Anliegen, das auch durch Artikel 6 des Grundgesetzes geschützt sei.

Das Landgericht erkannte zwar an, dass der Wunsch des Vermieters vernünftig und nachvollziehbar war. Es handele sich jedoch um einen typischen Fall von Eigenbedarf, wie er alltäglich vorkommt. Dass sich aufgrund einer neuen Partnerschaft oder der Geburt von Kindern ein erhöhter Wohnbedarf ergebe, entspreche dem Regelfall einer Eigenbedarfskündigung nach dem Gesetz. Für den besonderen Ausnahmefall, den die vertragliche Klausel verlange, reiche dies nicht aus.

Das Gericht stellte klar, dass der Vermieter durchaus die Möglichkeit habe, sein Familienleben zu verwirklichen. Er könne dies in seiner bisherigen Wohnung tun, in die Wohnung seiner Verlobten ziehen oder eine andere Wohnung anmieten. Er sei nicht darauf angewiesen, gerade diese vermietete Wohnung zu nutzen.

Die Unterscheidung zwischen normalem Eigenbedarf und einem besonderen Ausnahmefall obliegt dabei der Beurteilung des jeweiligen Gerichts im Einzelfall. Der Bundesgerichtshof hat in früheren Entscheidungen bereits klargestellt, dass diese Würdigung Sache des Tatrichters ist und nicht einheitlich für alle Fälle festgelegt werden kann.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil hat weitreichende Bedeutung sowohl für Mieter als auch für Vermieter und potenzielle Käufer vermieteter Wohnungen. Für Mieter mit älteren Mietverträgen aus der Zeit der Wohnungsbaugesellschaften ist es eine gute Nachricht. Sie genießen einen erhöhten Kündigungsschutz, der auch nach einem Eigentümerwechsel bestehen bleibt. Selbst wenn die Wohnung privatisiert wurde und an eine Einzelperson verkauft wurde, können sie sich auf die ursprünglich vereinbarten Schutzklauseln berufen.

Wer eine solche Klausel in seinem Mietvertrag findet, sollte wissen, dass eine Eigenbedarfskündigung nur in echten Ausnahmesituationen möglich ist. Der bloße Wunsch nach mehr Wohnraum oder eine Familienzusammenführung reichen dafür in der Regel nicht aus. Es müssten besondere Umstände hinzukommen, die eine Kündigung zwingend notwendig machen. Das Gericht hat bewusst offengelassen, welche konkreten Situationen dies sein könnten, da jeder Fall individuell zu bewerten ist.

Für Vermieter und Käufer vermieteter Wohnungen ist das Urteil eine wichtige Warnung. Wer eine vermietete Wohnung erwirbt, sollte den bestehenden Mietvertrag genau prüfen. Solche besonderen Kündigungsschutzklauseln finden sich in zahlreichen Verträgen aus den neunziger Jahren. Sie können die Nutzungsmöglichkeiten erheblich einschränken. Eine spätere Eigennutzung ist dann nur unter sehr erschwerten Bedingungen durchsetzbar.

Das Gericht machte auch deutlich, dass der Käufer die Möglichkeit hatte, vor dem Erwerb den Mietvertrag einzusehen und den erhöhten Kündigungsschutz zu erkennen. Er hat die Wohnung in Kenntnis dieser Einschränkung gekauft und muss sich daran festhalten lassen. Dies unterstreicht die Bedeutung einer gründlichen Prüfung aller Vertragsunterlagen vor dem Kauf einer vermieteten Immobilie.

Interessant ist auch die Aussage des Gerichts zum Zusammenspiel verschiedener Vereinbarungen. Die spätere Modernisierungsvereinbarung hatte lediglich ein zeitlich begrenztes absolutes Kündigungsverbot geschaffen. Nach dessen Ablauf lebte der ursprüngliche erhöhte Kündigungsschutz wieder auf. Vermieter können also nicht darauf hoffen, dass spätere Vertragsänderungen die ursprünglichen Schutzklauseln automatisch beseitigen.

Die Entscheidung zeigt, dass Gerichte das Eigentumsrecht des Vermieters und den Bestandsschutz des Mieters sorgfältig abwägen. Das Grundgesetz schützt zwar einerseits das Recht des Eigentümers, über seine Wohnung zu verfügen und sie selbst zu nutzen. Andererseits dürfen auch vertragliche Vereinbarungen, die einen besonderen Mieterschutz vorsehen, nicht einfach übergangen werden. Wer sich vertraglich gebunden hat oder in bestehende Verträge eintritt, muss diese Bindungen respektieren.

Das Urteil betont auch das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Familienleben. Das Gericht versagte dem Vermieter die Kündigung jedoch nicht grundsätzlich wegen fehlenden Eigenbedarfs. Es stellte vielmehr fest, dass die Möglichkeit besteht, das Familienleben anderweitig zu verwirklichen. Der Vermieter ist nicht existenziell auf gerade diese Wohnung angewiesen. Dies ist ein wichtiger Unterschied zu Fällen, in denen ein Vermieter nachweisen kann, dass nur die konkrete Wohnung seinen dringenden Bedarf decken kann.

Für die Praxis bedeutet dies, dass Mieter mit solchen Altverträgen gut beraten sind, ihre Rechte zu kennen und im Kündigungsfall auch geltend zu machen. Eine anwaltliche Beratung ist dabei empfehlenswert, da die Bewertung des Einzelfalls komplex sein kann. Vermieter und Käufer sollten sich bewusst sein, dass Eigenbedarfskündigungen bei solchen Verträgen einen sehr hohen Hürden unterliegen und häufig scheitern werden.

Grundsätze des Urteils

  • Erwerber vermieteter Wohnung tritt nach § 566 BGB in Mietverhältnis mit allen Rechten und Pflichten ein; besondere Kündigungsschutzklauseln bleiben wirksam
  • Vertragliche Klausel, die "wichtige berechtigte Interessen" statt bloß "berechtigtes Interesse" verlangt, verschärft gesetzliche Kündigungsvoraussetzungen ("Eigenbedarf plus X")
  • Typischer Eigenbedarf durch Familienzusammenführung oder Geburt von Kindern reicht bei verschärften Vertragsklauseln nicht aus
  • Spätere Vertragsänderungen ersetzen ursprünglichen Mietvertrag nicht vollständig; nicht geänderte Klauseln bleiben bestehen

Quelle: Landgericht Berlin II, 67. Zivilkammer, Urteil vom 20. Mai 2025, Aktenzeichen 67 S 221/24

Kontaktieren Sie uns!

Die Informationen auf unserer Website dienen ausschließlich zu Informationszwecken. Sie ersetzen keine rechtliche Beratung, die auf Ihre individuelle Situation zugeschnitten ist. Bitte beachten Sie auch, dass sich die Rechtslage durch neue Gesetze und Urteile jederzeit ändern kann.

Für detaillierte Fragen oder eine individuelle Beratung stehen Ihnen die Experten unserer Kanzlei für Mietrecht in Essen zur Verfügung. Wir helfen Ihnen, die beste Strategie für Ihr spezifisches Anliegen zu entwickeln.


Ihr Recht ist unsere Leidenschaft!

Portrait der besten Anwälte von Essen

Sie sind ratlos im Streit mit Ihrem Mieter oder Vermieter? Sie stehen vor komplexen Vertragsverhandlungen oder es geht um den Erwerb, Veräußerung oder Vererbung von Immobilieneigentum. Wir haben uns auf das private und gewerbliche Mietrecht, Immobilienrecht und Maklerrecht spezialisiert. Vertrauen Sie uns. Zögern Sie also nicht länger und holen Sie sich die Unterstützung, die ein professionelles Vorgehen ermöglicht. Lassen Sie uns gemeinsam eine Strategie für die Umsetzung Ihres Vorhabens besprechen.


Unsere digitale Kanzlei

Kind sitzt im Chefsessel und bedient ein Mobiltelefon

Bei uns geht Recht vollkommen digital. Für Sie entscheidend: Sie können alles bequem von überall aus organisieren. Besuchen Sie unsere Webseite und buchen Sie ein Video-Meeting mit einem Anwalt. Ihre Unterlagen können Sie einfach uploaden. Selbst erforderliche Unterschriften können Sie bei uns digital leisten.

Erfahrungen & Bewertungen zu JURiAL® Rechtsanwaltskanzlei

kostenlose Ersteinschätzung

Wartebereich der JURiAL® Rechtsanwaltskanzlei

Lassen Sie uns bei einem unverbindlichen Kennenlerngespräch über Ihre spezifischen rechtlichen Anliegen sprechen.


Das könnte Sie auch interessieren:

20. August 2025
Vermieter haften für Schäden durch beauftragte Handwerker - Beweislastumkehr bei Schäden aus dem Verantwortungsbereich.
30. Oktober 2025
Wer seine Eigentumswohnung verkaufen möchte, braucht oft die Zustimmung der Eigentümergemeinschaft. Doch reicht es aus, einfach zu versichern, dass...
17. Juli 2025
Wenn Balkone in einer Wohnungseigentümergemeinschaft saniert werden müssen, stellt sich oft die Kostenfrage. Das Amtsgericht Hamburg-Altona hat ent...
23. Oktober 2025
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft muss nicht zwingend drei Vergleichsangebote einholen, bevor sie Sanierungsarbeiten beschließt. Das entschied kü...
04. Juli 2025
Der Bundesgerichtshof hat die Rechte von Mietern bei der Untervermietung deutlich erweitert. Auch wer seine Wohnung nur noch als Nebenwohnsitz nutz...
01. Juni 2025
Der Einbau einer modernen Heizungsanlage ist ein klassischer Fall der energetischen Modernisierung. Doch nicht immer ist klar, unter welchen Beding...