Kaution: BGH stärkt Vermieterrechte bei Schadensersatz


Der Fall aus der Praxis
Eine Mieterin war bis November 2019 Bewohnerin einer Wohnung in Erlangen. Nach dem Auszug forderte sie von dem neuen Vermieter, der als Erbe in das Mietverhältnis eingetreten war, die Rückzahlung ihrer Barkaution zurück. Der Vermieter rechnete jedoch erst im Mai 2020 über die Kaution ab - also mehr als sechs Monate nach Ende des Mietverhältnisses.
Bei seiner Abrechnung zog der Vermieter Schadensersatzforderungen wegen angeblicher Beschädigungen der Wohnung von der Kaution ab. Die Mieterin widersprach und berief sich auf die Verjährung dieser Ansprüche. Nach deutschem Recht verjähren Schadensersatzansprüche wegen Wohnungsschäden nämlich bereits nach sechs Monaten.
Die rechtliche Problematik
Das zentrale Problem lag in der Verjährung von Schadensersatzansprüchen. Nach Paragraf 548 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verjähren Ansprüche wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache bereits sechs Monate nach Rückgabe der Wohnung. Diese kurze Frist soll eine schnelle Klärung streitiger Punkte zwischen Mietern und Vermietern gewährleisten.
Zusätzlich bestand ein weiteres rechtliches Hindernis: Schadensersatzansprüche sind zunächst auf Naturalrestitution gerichtet - der Mieter soll also die Schäden eigentlich selbst reparieren. Erst wenn der Vermieter seine sogenannte "Ersetzungsbefugnis" ausübt, wandelt sich dieser Anspruch in eine Geldforderung um. Für eine Aufrechnung gegen die Kaution müssen jedoch beide Forderungen gleichartig sein - also beide Geldansprüche.
Die Instanzengerichte waren unterschiedlicher Ansicht
Das Amtsgericht Erlangen gab der Mieterin recht und verurteilte den Vermieter zur Rückzahlung der Kaution. Das Landgericht Nürnberg-Fürth bestätigte diese Entscheidung in der Berufung.
Die Begründung der Vorinstanzen: Da die Schadensersatzansprüche bereits verjährt waren und der Vermieter seine Ersetzungsbefugnis nicht rechtzeitig ausgeübt hatte, konnte er nicht mehr wirksam gegen die Kaution aufrechnen. Eine Aufrechnung mit verjährten Forderungen ist grundsätzlich unwirksam.
BGH kehrt die Entscheidung um
Der Bundesgerichtshof sah dies völlig anders und gab dem Vermieter recht. Die Karlsruher Richter entwickelten eine neue Sichtweise auf Kautionsabreden im Wohnraummietrecht.
Auslegung von Kautionsvereinbarungen
Der BGH betonte: Barkautionsabreden in Mietverträgen sind typischerweise so auszulegen, dass Vermieter sich auch nach sechs Monaten noch durch Aufrechnung aus der Kaution befriedigen können. Die fehlende Ausübung der Ersetzungsbefugnis innerhalb der Verjährungsfrist soll diesem Recht nicht entgegenstehen.
Diese Auslegung beruht auf dem Sinn und Zweck der Mietkaution: Sie dient gerade dazu, dem Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses eine einfache Befriedigung seiner Ansprüche durch Aufrechnung zu ermöglichen.
Interessenabwägung zwischen Mietern und Vermietern
Das Gericht führte eine umfassende Interessenabwägung durch:
Vermieterinteressen: Vermieter sollen sich nach Mietende unkompliziert aus der Kaution befriedigen können. Sie haben oft erst bei der Kautionsabrechnung einen vollständigen Überblick über alle Schäden. Eine angemessene Prüfungsfrist muss ihnen zugestehen werden.
Mieterinteressen: Mieter können nicht darauf vertrauen, nach sechs Monaten vollständig von Schadensersatzansprüchen befreit zu sein, solange der Vermieter noch keine Kautionsabrechnung erstellt hat.
Anwendung von Paragraf 215 BGB
Der BGH wendete Paragraf 215 des Bürgerlichen Gesetzbuchs an. Diese Vorschrift erlaubt unter bestimmten Umständen die Aufrechnung auch mit verjährten Forderungen. Voraussetzung ist, dass in unverjährter Zeit bereits eine Aufrechnungslage bestanden haben könnte.
Das Gericht argumentierte: Auch wenn der Vermieter seine Ersetzungsbefugnis erst bei der Kautionsabrechnung ausübte, hätte er dies theoretisch schon früher tun können. Die konkludente Ausübung bei der Abrechnung sei ausreichend.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Vermieter: Erweiterte Rechtssicherheit
Das Urteil stärkt die Position von Vermietern erheblich. Sie können auch nach Ablauf der sechsmonatigen Verjährungsfrist noch Schäden von der Kaution abziehen, wenn sie eine angemessene Prüfungs- und Abrechnungsfrist einhalten.
Trotzdem sollten Vermieter weiterhin zügig handeln. Eine zeitnahe Dokumentation von Schäden und eine möglichst zeitnahe Kautionsabrechnung bleiben empfehlenswert. Je länger sie warten, desto schwieriger wird es, Schäden nachzuweisen und durchzusetzen.
Praktische Empfehlungen für Vermieter:
- Dokumentieren Sie Wohnungsschäden sofort nach dem Auszug durch Fotos und Kostenvoranschläge
- Rechnen Sie die Kaution innerhalb weniger Monate ab
- Führen Sie gemeinsame Übergabetermine mit dem Mieter durch
- Bewahren Sie alle Belege und Nachweise sorgfältig auf
Für Mieter: Längere Unsicherheit
Mieter können sich nach diesem Urteil nicht mehr darauf verlassen, nach sechs Monaten vollständig von Schadensersatzansprüchen befreit zu sein. Solange keine Kautionsabrechnung erfolgt ist, können Vermieter theoretisch noch Forderungen geltend machen.
Praktische Empfehlungen für Mieter:
- Bestehen Sie auf eine zeitnahe Kautionsabrechnung nach dem Auszug
- Dokumentieren Sie den Zustand der Wohnung bei der Übergabe durch eigene Fotos
- Fordern Sie bei erkennbaren Schäden sofort Kostenvoranschläge oder Rechnungen an
- Lassen Sie sich Vereinbarungen über den Wohnungszustand schriftlich bestätigen
Auswirkungen auf die Rechtspraxis
Das Urteil wird die Praxis der Kautionsabrechnung verändern. Vermieter haben nun mehr Zeit für die Abrechnung, müssen aber weiterhin eine angemessene Prüfungsfrist einhalten. Was "angemessen" ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und kann durchaus mehrere Monate betragen.
Mieter sollten aktiv auf eine zügige Abrechnung drängen und nicht passiv warten. Eine frühzeitige Klärung liegt im Interesse beider Parteien.
Bedeutung für die Zukunft
Dieses BGH-Urteil schafft wichtige Rechtssicherheit in einem häufig streitigen Bereich des Mietrechts. Es zeigt, dass der Zweck der Mietkaution als Sicherungsinstrument des Vermieters ernst genommen wird.
Gleichzeitig bleibt die Interessenabwägung zwischen Vermieter- und Mieterrechten ein zentrales Thema. Das Gericht hat deutlich gemacht, dass eine pauschale Anwendung von Verjährungsfristen den praktischen Bedürfnissen des Wohnungsmarkts nicht gerecht wird.
Für beide Seiten gilt: Transparenz und zügige Kommunikation bleiben der beste Weg, Streitigkeiten zu vermeiden. Das Urteil ändert nichts daran, dass eine faire und zeitnahe Abwicklung der Kautionsabrechnung im Interesse aller Beteiligten liegt.
Quelle: BGH, Urteil vom 10.07.2024, Az. VIII ZR 184/23
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