Zum Hauptinhalt springen

Eigentümerhaftung: BGH stärkt Rechte von Sturzopfern

Der beste Anwalt für Mietrecht
Wenn im Winter Fußgänger auf vereisten Gehwegen stürzen, stellt sich oft die Frage nach der Haftung des Grundstückseigentümers. Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs zeigt: Gerichte dürfen nicht zu hohe Hürden für den Nachweis einer Streupflichtverletzung aufstellen.
Siedlungsstraße im Winter, eine Frau geht auf dem verschneiten Bürgersteig
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Unfall einer 80-Jährigen

Die Geschichte begann an einem kalten Februartag 2021. Eine 80-jährige Frau war in Hessen unterwegs, als sie gegen 15:15 Uhr auf dem Bürgersteig vor einem Privatgrundstück stürzte. Die Außentemperatur lag um den Gefrierpunkt bei etwa null Grad Celsius. Der Bürgersteig war nach Angaben der Frau durchweg spiegelglatt und vereist.

Die Unfallschilderung war dramatisch: Eine dicke, nicht von Schnee bedeckte Eisschicht hatte sich gebildet. Ein Zeuge schätzte, dass seit mehreren Tagen nicht mehr gestreut worden war. Die Dame bemerkte die gefährliche Glätte noch rechtzeitig und wollte sofort die Straßenseite wechseln. Doch in genau diesem Moment rutschte sie aus und verletzte sich schwer.

Auch ihr Begleiter stürzte auf der gleichen Stelle, blieb aber weitgehend unverletzt. Der Grundstückseigentümer hingegen behauptete, er habe am Morgen des Unfalltags ordnungsgemäß geräumt und gestreut.

Niederlage vor den Vorinstanzen

Die verletzte Frau klagte auf Schadensersatz - zunächst ohne Erfolg. Das Landgericht wies ihre Klage ab. Auch das Oberlandesgericht Frankfurt gab ihr nicht recht. Die Begründung war hart: Die Klägerin habe nicht ausreichend dargelegt, dass überhaupt eine Streupflicht bestanden habe.

Das Berufungsgericht kritisierte insbesondere: Bei einer Temperatur von nur null Grad entstehe noch keine automatische Streupflicht. Die Klägerin habe nicht erklärt, warum von einer "allgemeinen Eisglätte" auszugehen sei. Auch habe sie zu spät zusätzliche Angaben zur Wetterlage gemacht.

Noch schwerer wog der Vorwurf des Mitverschuldens. Das Gericht sah die Klägerin als alleinverantwortlich für ihren Sturz an. Sie habe die Gefahr erkennen können und müssen, da auf der anderen Straßenseite offenbar gestreut worden war. Wer sich "sehenden Auges" einer erkennbaren Gefahr aussetze, müsse die Folgen selbst tragen.

BGH korrigiert die Vorinstanzen

Der Bundesgerichtshof sah die Sache völlig anders und gab der Klägerin recht. Die Revision wurde zwar nicht zugelassen, doch die Nichtzulassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das Urteil des Oberlandesgerichts wurde aufgehoben und der Fall zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.

Verletzung des rechtlichen Gehörs

Der Hauptkritikpunkt des BGH: Das Berufungsgericht hatte überhöhte Anforderungen an die Darlegung einer Streupflichtverletzung gestellt. Dies verletzte das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör, einen fundamentalen Verfahrensgrundsatz.

Die Klägerin hatte bereits vor der ersten mündlichen Verhandlung vorgetragen: Bei null Grad Celsius herrschte Glättebildung vor. Sie bot sogar ein meteorologisches Sachverständigengutachten als Beweis an. Zudem behauptete sie, der Bürgersteig sei "durchweg spiegelglatt" gewesen, während benachbarte Gehwege gestreut waren.

Diese Angaben reichen grundsätzlich aus, so der BGH. Für eine schlüssige Klage müsse nicht jede Einzelheit der Wetterlage detailliert geschildert werden. Die Gerichte dürften die Substantiierungsanforderungen nicht überspannen.

Nachträgliche Konkretisierungen sind zulässig

Das Oberlandesgericht hatte auch die späteren, detaillierteren Angaben der Klägerin zur Wetterlage zurückgewiesen. Diese seien "neu" und daher nach den Verfahrensregeln nicht mehr zu berücksichtigen.

Auch hier widersprach der BGH: Wenn eine Partei ihr bereits schlüssiges Vorbringen aus erster Instanz nur konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert, liegt kein "neues" Vorbringen vor. Die Klägerin hatte lediglich ihre ursprünglichen Angaben zur örtlichen Glätte um Informationen zur hessenweiten Wetterlage ergänzt.

Sie schilderte, dass die Temperaturen hessenweit unter dem Gefrierpunkt lagen und seit Tagen Glatteisbildung herrschte. Dies führte sogar zu Schulausfällen, Stillstand des öffentlichen Verkehrs und chaotischen Zuständen im Straßenverkehr. Diese Angaben standen nicht im Widerspruch zu ihren ursprünglichen Aussagen und hätten berücksichtigt werden müssen.

Neue Maßstäbe beim Mitverschulden

Besonders scharf kritisierte der BGH die Beurteilung des angeblichen Mitverschuldens. Das Oberlandesgericht hatte die bewährten Rechtsgrundsätze zur Haftungsverteilung bei Glätteunfällen grundlegend verkannt.

Verkehrssicherungspflichtiger trägt Hauptverantwortung

Die Grundregel lautet: Wer seine Räum- und Streupflicht verletzt, setzt durch diese Pflichtverletzung die maßgebliche Ursache für einen Unfall. Der Verkehrssicherungspflichtige trägt daher grundsätzlich die Hauptverantwortung für die Folgen.

Ein haftungsausschließendes Mitverschulden des Geschädigten kommt nur in Extremfällen in Betracht. Das Handeln des Verunglückten muss von einer "ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit" geprägt sein.

Bloße Erkennbarkeit reicht nicht

Das Berufungsgericht war fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die bloße Erkennbarkeit der Eisglätte für ein Alleinverschulden der Klägerin genüge. Dies ist rechtlich falsch.

Mindestvoraussetzung für eine schlechthin unverständliche Sorglosigkeit ist, dass sich der Geschädigte einer von ihm erkannten erheblichen Gefahr bewusst aussetzt. Nach der Schilderung der Klägerin erkannte sie die Glätte aber erst in dem Moment, als sie bereits auf der Eisfläche stand und stürzte.

Beweislast liegt beim Schädiger

Zudem hatte das Gericht die Beweislastverteilung verkannt. Für ein Mitverschulden ist grundsätzlich derjenige darlegungs- und beweispflichtig, der die Verkehrssicherungspflicht verletzt hat - also der Grundstückseigentümer.

Die Klägerin musste daher nicht näher darlegen, warum die Gefahrstelle angeblich nicht erkennbar gewesen sei. Vielmehr hätte der Beklagte beweisen müssen, dass die Klägerin die Gefahr erkannt und sich ihr dennoch bewusst ausgesetzt hatte.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Für Unfallopfer

Das Urteil stärkt die Position von Sturzopfern erheblich. Sie müssen nicht jedes meteorologische Detail der Unfallsituation beweisen. Es genügt, wenn Sie schlüssig vortragen:

  • Dass zum Unfallzeitpunkt winterliche Verhältnisse herrschten
  • Dass der Unfallort vereist oder verschneit war
  • Dass andere Bereiche gestreut waren, der Unfallort aber nicht

Wenn Sie später zusätzliche Informationen zur Wetterlage erhalten, können Sie diese auch noch nachträglich vorbringen, solange sie Ihre ursprünglichen Angaben nur konkretisieren.

Für Grundstückseigentümer

Eigentümer und andere Verkehrssicherungspflichtige sollten ihre Streupflichten sehr ernst nehmen. Die Rechtsprechung geht grundsätzlich von ihrer Verantwortung aus, wenn sich bei nicht gestreuten Wegen Unfälle ereignen.

Ein Mitverschulden des Geschädigten können sie nur schwer nachweisen. Es genügt nicht, dass die Glätte erkennbar war. Sie müssten beweisen, dass sich der Geschädigte bewusst einer erkannten Gefahr ausgesetzt hat - und dies in völlig unverständlicher Weise.

Praktische Konsequenzen

Das Urteil dürfte zu einer höheren Erfolgsquote bei Schadensersatzklagen nach Glätteunfällen führen. Gleichzeitig werden Grundstückseigentümer ihre Streupflichten noch gewissenhafter erfüllen müssen.

Wichtig für die Praxis: Dokumentieren Sie nach einem Sturz möglichst genau die Wetter- und Straßenverhältnisse. Machen Sie Fotos der Unfallstelle und lassen Sie sich Zeugen benennen. Je besser Sie die Situation beschreiben können, desto größer sind Ihre Erfolgsaussichten.

Das BGH-Urteil macht deutlich: Verkehrssicherungspflichten sind keine Schönwetterveranstaltung. Wer im Winter Gehwege nicht ordnungsgemäß räumt und streut, muss mit erheblichen Haftungsrisiken rechnen.

Quelle: BGH, Beschluss vom 01.07.2025 - VI ZR 357/24

Kontaktieren Sie uns!

Für detaillierte Fragen oder eine individuelle Beratung stehen Ihnen die Experten unserer Kanzlei für Mietrecht in Essen zur Verfügung. Wir helfen Ihnen, die beste Strategie für Ihr spezifisches Anliegen zu entwickeln.


Ihr Recht ist unsere Leidenschaft!

Portrait der besten Anwälte von Essen

Sie sind ratlos im Streit mit Ihrem Mieter oder Vermieter? Sie stehen vor komplexen Vertragsverhandlungen oder es geht um den Erwerb, Veräußerung oder Vererbung von Immobilieneigentum. Wir haben uns auf das private und gewerbliche Mietrecht, Immobilienrecht und Maklerrecht spezialisiert. Vertrauen Sie uns. Zögern Sie also nicht länger und holen Sie sich die Unterstützung, die ein professionelles Vorgehen ermöglicht. Lassen Sie uns gemeinsam eine Strategie für die Umsetzung Ihres Vorhabens besprechen.


Unsere digitale Kanzlei

Kind sitzt im Chefsessel und bedient ein Mobiltelefon

Bei uns geht Recht vollkommen digital. Für Sie entscheidend: Sie können alles bequem von überall aus organisieren. Besuchen Sie unsere Webseite und buchen Sie ein Video-Meeting mit einem Anwalt. Ihre Unterlagen können Sie einfach uploaden. Selbst erforderliche Unterschriften können Sie bei uns digital leisten.

Erfahrungen & Bewertungen zu JURiAL® Rechtsanwaltskanzlei

kostenlose Ersteinschätzung

Wartebereich der JURiAL® Rechtsanwaltskanzlei

Lassen Sie uns bei einem unverbindlichen Kennenlerngespräch über Ihre spezifischen rechtlichen Anliegen sprechen.


Das könnte Sie auch interessieren:

30. August 2025
Die deutsche Mietpreisbremse ist seit zehn Jahren in Kraft – doch viele Mieter wissen nicht, wie sie funktioniert oder dass sie bis 2029 verlängert...
07. September 2025
Ein Telefonat kann vor der Kündigung schützen: Das Amtsgericht Hamburg entschied zugunsten eines Langzeitmieters, der trotz Mietrückständen seine W...
09. September 2025
Vermieter können nicht unbemerkt in Räumungsklagen kündigen. Das Gericht fordert klare Erkennbarkeit bei elektronischen Kündigungen nach der neuen ...
27. August 2025
Mieter haben auch bei der Umwandlung ihrer Wohnung in Teileigentum ein Vorkaufsrecht. Doch Vorsicht bei den Fristen - sie sind strenger als viele d...
29. März 2025
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer aktuellen Entscheidung vom 6. März 2025 wichtige Klarstellungen zum Begriff des "Einfamilienhauses" im Mak...