BGH kippt unfaire Kaufpreise beim Vorkaufsrecht


Der Fall aus der Praxis
Eine Mieterin wohnte seit mehreren Jahren in einer Berliner Wohnung. Als ihre Vermieterin das Mehrfamilienhaus in Eigentumswohnungen aufteilte und ihre Wohnung verkaufen wollte, nutzte die Mieterin ihr gesetzliches Vorkaufsrecht. Doch sie sollte deutlich mehr zahlen als die ursprünglich vorgesehene Käuferin.
Die Vermieterin hatte mit der Erstkäuferin einen raffinierten Kaufvertrag abgeschlossen. Dieser sah zwei verschiedene Kaufpreise vor: Sollte die Wohnung mit bestehendem Mietverhältnis verkauft werden, waren nur etwa 147.000 Euro zu zahlen. Falls das Mietverhältnis jedoch erlischt oder der Mieter sein Vorkaufsrecht ausübt, erhöhte sich der Preis auf über 163.000 Euro - eine Differenz von mehr als 16.000 Euro.
Die zentrale Frage war: Darf ein Mieter, der sein Vorkaufsrecht ausübt, einen höheren Kaufpreis zahlen müssen als ein fremder Käufer?
Was ist ein Vorkaufsrecht und wann steht es Mietern zu?
Das Vorkaufsrecht gibt Mietern in bestimmten Situationen die Möglichkeit, ihre Wohnung zu denselben Bedingungen zu kaufen, die zwischen dem Vermieter und einem Dritten vereinbart wurden. Dieses Recht greift insbesondere bei der erstmaligen Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen.
Der Gesetzgeber wollte damit Mieter vor Verdrängung schützen und ihnen die Chance geben, ihre gewohnte Umgebung zu behalten. Gleichzeitig sollten sie nicht benachteiligt werden, wenn sie von diesem Recht Gebrauch machen.
Die umstrittene Preisgestaltung
Im vorliegenden Fall hatte die Vermieterin eine sogenannte "differenzierte Preisabrede" getroffen. Diese funktionierte folgendermaßen:
Die Erstkäuferin sollte den vollen Kaufpreis nur dann zahlen, wenn das Mietverhältnis innerhalb eines Monats nach Vertragsabschluss beendet würde. Blieb die Wohnung vermietet, reduzierte sich ihr Kaufpreis um zehn Prozent.
Für den vorkaufsberechtigten Mieter galt dagegen immer der höhere Preis - unabhängig davon, dass das Mietverhältnis bei seinem Erwerb ohnehin automatisch erlischt.
Rechtliche Bewertung durch den BGH
Der Bundesgerichtshof sah in dieser Regelung einen klaren Verstoß gegen geltendes Recht. Die Richter stellten fest, dass solche Preisabreden unwirksam sind, soweit sie vorkaufsberechtigte Mieter benachteiligen.
Verstoß gegen Vorkaufsrecht
Nach dem Gesetz soll der Vorkaufsberechtigte dieselben Vertragsbedingungen erhalten wie der ursprünglich vorgesehene Käufer. Eine Abrede, die dem Mieter schlechtere Konditionen auferlegt, verstößt gegen diesen Grundsatz.
Das Gericht betonte: "Der Vorkaufsberechtigte soll nach dem Inhalt seines Kaufvertrags keine ungünstigeren Bedingungen treffen als diejenigen, die für den Erstkäufer gelten."
Verträge zu Lasten Dritter sind unzulässig
Die Richter sahen in der Preisabrede auch einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter. Ohne Zustimmung des Mieters durften Vermieter und Erstkäufer keine Regelungen treffen, die den Mieter bei Ausübung seines Vorkaufsrechts belasten.
Ein solcher Vertrag liegt vor, wenn durch ihn unmittelbar eine Rechtspflicht eines am Vertrag nicht beteiligten Dritten entstehen soll. Genau das war hier der Fall.
Häufige Argumente der Vermieter - und warum sie nicht greifen
Vermieter argumentieren oft, vermietete Wohnungen seien weniger wert als leerstehende. Daher sei es berechtigt, für den Fall des Erlöschens des Mietverhältnisses einen höheren Preis zu vereinbaren.
Nicht jede Vermietung mindert den Wert
Der BGH widersprach dieser pauschalen Annahme. Eine Vermietung führt nicht automatisch zu einem niedrigeren Verkaufspreis. Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab:
- Liegt die Miete unter dem Marktniveau, kann dies den Wert für Kapitalanleger mindern
- Will der Käufer die Wohnung selbst nutzen, stellt die Vermietung ein Hindernis dar
- Bei marktüblicher Miete kann eine vermietete Wohnung durchaus attraktiv sein
Gesetzliche Wertung beachten
Das Gesetz weist dem Mieter bewusst den Vorteil zu, der sich daraus ergeben kann, dass er die Wohnung zum Preis für eine vermietete Immobilie erwirbt. Diese gesetzgeberische Entscheidung dürfen Private nicht durch vertragliche Regelungen unterlaufen.
Der BGH stellte klar: "Diese dem Wesen des Mietervorkaufsrechts innewohnende Besonderheit hat den Gesetzgeber nicht dazu veranlasst, entsprechende Einschränkungen vorzusehen."
Praktische Auswirkungen der Entscheidung
Für Mieter: Schutz vor überhöhten Preisen
Mieter können sich darauf verlassen, dass sie bei Ausübung ihres Vorkaufsrechts nicht schlechter gestellt werden als andere Interessenten. Differenzierte Preisabreden, die sie benachteiligen, sind unwirksam.
Falls bereits ein höherer Kaufpreis gezahlt wurde, besteht ein Anspruch auf Rückzahlung der Differenz. Im entschiedenen Fall erhielt die Mieterin ihre über 16.000 Euro zurück.
Für Vermieter: Neue Vertragsgestaltung erforderlich
Vermieter müssen ihre Verkaufsstrategien überdenken. Wollen sie unterschiedliche Preise je nach Vermietungsstatus vereinbaren, müssen sie dies so gestalten, dass vorkaufsberechtigte Mieter nicht benachteiligt werden.
Eine Möglichkeit besteht darin, mit dem Erstkäufer einen höheren Preis für den Fall zu vereinbaren, dass das Mietverhältnis vor Eigentumsübergang durch Kündigung oder Aufhebung endet. Dies muss jedoch so formuliert werden, dass der Fall der Vorkaufsrechtsausübung davon nicht erfasst wird.
Für Erstkäufer: Klarheit über Kaufpreis
Auch Erstkäufer profitieren von der Rechtssicherheit. Sie wissen nun, dass komplizierte Preisregelungen, die das Vorkaufsrecht betreffen, unwirksam sein können.
Grenzen der Entscheidung
Das Urteil betrifft nur Preisabreden, die vorkaufsberechtigte Mieter schlechter stellen. Andere differenzierte Preisgestaltungen können weiterhin zulässig sein, solange sie das Vorkaufsrecht nicht beeinträchtigen.
Zudem bezieht sich die Entscheidung auf das gesetzliche Vorkaufsrecht bei der Umwandlung in Wohnungseigentum. Bei anderen Vorkaufsrechten können abweichende Regelungen gelten.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie Mieter sind: Lassen Sie sich nicht von differenzierten Preisabreden abschrecken, die für Sie höhere Kaufpreise vorsehen. Solche Klauseln sind unwirksam. Sie haben Anspruch auf dieselben Konditionen wie der ursprünglich vorgesehene Käufer.
Wenn Sie Vermieter sind: Überprüfen Sie Ihre Verkaufsverträge. Preisabreden, die vorkaufsberechtigte Mieter benachteiligen, können zur Rückzahlungspflicht führen. Lassen Sie sich rechtlich beraten, wie Sie Ihre Interessen wirksam durchsetzen können.
Wenn Sie Käufer sind: Achten Sie auf komplizierte Preisregelungen in Kaufverträgen. Diese können unwirksam sein und zu rechtlichen Problemen führen.
Fazit
Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung ein wichtiges Zeichen für den Mieterschutz gesetzt. Vorkaufsberechtigte Mieter dürfen nicht durch vertragliche Tricks benachteiligt werden. Das Vorkaufsrecht soll ihnen tatsächlich helfen, ihre Wohnung zu fairen Bedingungen zu erwerben.
Die Entscheidung stärkt die Position von Mietern erheblich und zwingt Vermieter zu faireren Verkaufspraktiken. Gleichzeitig schafft sie Rechtssicherheit für alle Beteiligten.
Quelle: BGH, Urteil vom 23. Februar 2022 - VIII ZR 305/20
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