Belegeinsicht bei Betriebskostenabrechnung: ungeordnetes Konvolut reicht nicht aus


Der Streitfall aus Hamburg
Eine Vermieterin aus Hamburg wollte von ihrem Mieter eine Nebenkostennachzahlung von ursprünglich fast 1.200 Euro für das Jahr 2016 einklagen. Nach einer Korrekturabrechnung reduzierte sich der Betrag auf knapp 710 Euro. Der Mieter weigerte sich jedoch zu zahlen und berief sich auf sein Recht zur Belegeinsicht.
Das Mietverhältnis bestand bereits seit 2016. Der Mieter hatte seine Vorauszahlungen für Betriebskosten in Höhe von etwa 1.400 Euro und für Heizkosten von rund 390 Euro ordnungsgemäß geleistet. Die Vermieterin rechnete im Dezember 2017 ab und kam zu dem Ergebnis, dass der Mieter nachzahlen müsse.
Mieter fordert ordnungsgemäße Belegeinsicht
Der Mieter meldete über seinen Mieterverein Einwendungen an und forderte vollständige Belegeinsicht. Er verlangte nicht nur die Originalbelege, sondern auch die vertraglichen Grundlagen, Leistungsverzeichnisse und Tätigkeitsnachweise. Bis zur ordnungsgemäßen Vorlage aller Unterlagen machte er von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch.
Die Vermieterin behauptete, sie habe alle verlangten Belege bereits im Dezember 2020 vollständig zur Verfügung gestellt. Das Gericht sah dies jedoch anders und gab dem Mieter in allen Punkten recht.
Warum das Gericht der Vermieterin nicht folgte
Das Amtsgericht Hamburg stellte klar, dass der Zweck der Belegeinsicht darin liegt, dem Mieter eine Plausibilitätsprüfung der abgerechneten Kosten zu ermöglichen. Diesem Zweck wird nicht genügt, wenn der Vermieter nur Konvolute weitgehend unsortierter und aus sich heraus nicht verständlicher Unterlagen übergibt.
Die Vermieterin hatte zwar verschiedene Belege vorgelegt, aber diese waren größtenteils unkommentiert und unsortiert. Viele Dokumente bezogen sich auf falsche Zeiträume oder waren ohne weitere Erläuterungen nicht nachvollziehbar.
Konkrete Mängel bei den Kostenpositionen
Das Gericht prüfte jede einzelne Position der Nebenkostenabrechnung und fand durchgängig Mängel:
Wasserversorgung und Entwässerung: Die vorgelegten Belege bezogen sich teilweise auf das Jahr 2017 statt auf den streitgegenständlichen Zeitraum 2016. Eine nachvollziehbare Aufschlüsselung der Gesamtkosten fehlte völlig.
Wartung von Warmwasser und Heizung: Der vorgelegte Wartungsvertrag war bereits Ende 2015 abgelaufen und galt nicht für das Abrechnungsjahr 2016. Die abgerechneten Gesamtkosten ließen sich aus den Unterlagen nicht nachvollziehen.
Aufzugsanlagen: Die Vermieterin konnte nicht erklären, wie sich die umgelegten Gesamtkosten zusammensetzten. Außerdem enthielt der Wartungsvertrag Positionen für Instandsetzungsaufwendungen, die nicht auf Mieter umlegbar sind.
Besonders problematisch: Die Position "Stromkosten"
Besonders schwerwiegend bewertete das Gericht die Position "Stromkosten" in Höhe von knapp 102 Euro. Diese Abrechnung sei formell unwirksam, da es sich nicht um eine anerkannte Betriebskostenart nach der Betriebskostenverordnung handele.
Die Betriebskostenverordnung erlaubt nur die Umlage der "Kosten der Beleuchtung". Darunter fallen die Stromkosten für Außenbeleuchtung und die Beleuchtung gemeinsam genutzter Gebäudeteile wie Flure, Treppen oder Waschküchen.
Die unspezifische Bezeichnung "Stromkosten" ist für Mieter irreführend, da nicht erkennbar ist, welche konkreten Stromverbräuche dahinterstehen. Der Vermieter könnte theoretisch auch Stromkosten für die Heizungsanlage oder andere Anlagen darunter abrechnen.
Das Gericht macht dem Vermieter klare Ansagen
Das Amtsgericht Hamburg stellte unmissverständlich klar, dass es nicht die Aufgabe des Gerichts ist, im Rahmen des Prozesses die Belegeinsicht vorzunehmen oder nachzuholen. Es ist vielmehr Aufgabe der Mieter, die Belege einzusehen und anschließend substantiierte Einwendungen zu erheben.
Nach solchen begründeten Einwendungen der Mieterseite ist es dann Aufgabe der Vermieterseite, die Zusammensetzung und den Anfall der umgelegten Kosten zu belegen und zu erläutern. Die bloße Vorlage von Anlagen kann den erforderlichen schriftlichen Vortrag nicht ersetzen.
Weitere gescheiterte Kostenpositionen
Auch bei anderen Positionen scheiterte die Vermieterin:
Hausreinigung: Der vorgelegte Rahmenvertrag begann erst 2017. Die nachgereichten Belege bezogen sich auf andere Objekte und falsche Zeiträume.
Versicherungen: Die Belege umfassten Zeiträume von 2015 bis 2017, ohne dass erklärt wurde, welcher Anteil auf 2016 entfällt.
Verschiedene Wartungskosten: Die Vermieterin konnte nicht darlegen, dass überhaupt eine Umlagevereinbarung mit dem Mieter existiert, die ihn zur Kostentragung verpflichtet.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Mieter: Ihre Rechte bei der Belegeinsicht
Als Mieter haben Sie das Recht auf umfassende Belegeinsicht bei Nebenkostenabrechnungen. Ihr Vermieter muss Ihnen nicht nur die Originalbelege vorlegen, sondern diese auch so aufbereiten und erläutern, dass Sie eine sinnvolle Plausibilitätsprüfung vornehmen können.
Unzureichend sind:
- Unsortierte Belegkonvolute ohne Erläuterung
- Belege für falsche Zeiträume
- Unkommentierte Sammlungen von Rechnungen
- Vage Kostenbezeichnungen wie "Stromkosten" oder "Allgemeinstrom"
Sie dürfen die Zahlung verweigern, bis Ihr Vermieter eine ordnungsgemäße Belegeinsicht gewährt hat. Nutzen Sie Ihr Zurückbehaltungsrecht und lassen Sie sich nicht mit unvollständigen Unterlagen abspeisen.
Für Vermieter: So vermeiden Sie rechtliche Probleme
Als Vermieter sollten Sie bei Nebenkostenabrechnungen und der anschließenden Belegeinsicht äußerste Sorgfalt walten lassen:
Verwenden Sie nur anerkannte Betriebskostenpositionen aus der Betriebskostenverordnung. Erfinden Sie keine eigenen Bezeichnungen wie "Allgemeinstrom" oder unspezifische "Stromkosten".
Bereiten Sie die Belegeinsicht professionell auf: Sortieren Sie alle Belege chronologisch und nach Kostenpositionen. Erstellen Sie eine nachvollziehbare Aufschlüsselung der Gesamtkosten und erläutern Sie die Verteilungsschlüssel.
Achten Sie auf die richtigen Zeiträume: Alle Belege müssen sich auf das Abrechnungsjahr beziehen. Vermischen Sie nicht verschiedene Jahre in einem Belegkonvolut.
Praktische Konsequenzen des Urteils
Dieses Urteil stärkt die Rechte der Mieter erheblich. Es zeigt, dass Gerichte sehr genau prüfen, ob Vermieter ihren Pflichten bei der Belegeinsicht nachkommen. Oberflächliche oder nachlässige Dokumentation führt dazu, dass Nachzahlungsforderungen vollständig scheitern können.
Für laufende Streitfälle bedeutet das: Mieter können sich auf dieses Urteil berufen, wenn ihr Vermieter ebenfalls nur unzureichende Belege vorgelegt hat. Vermieter hingegen sollten ihre Abrechnungspraxis schnellstens überprüfen und verbessern.
Das Hamburger Gericht hat deutlich gemacht, dass das Belegeinsichtsrecht kein Lippenbekenntnis ist, sondern ernst genommen werden muss. Vermieter, die ihre Mieter mit unsortierten Belegbergen abspeisen wollen, müssen mit empfindlichen Niederlagen vor Gericht rechnen.
Quelle: AG Hamburg, Urteil vom 05.04.2024 - 46 C 197/21
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