WEG: Gleiche Kostenanteile für alle Eigentümer rechtmäßig


Der Fall: Streit um faire Kostenaufteilung
In einer Wohnungseigentümergemeinschaft mit 22 Wohneinheiten entbrannte ein typischer Nachbarschaftsstreit um Geld. Die Eigentümer beschlossen in ihrer Versammlung eine fundamentale Änderung: Statt die Kosten für die Pflege der Außenanlagen nach den unterschiedlich großen Eigentumsanteilen zu verteilen, sollten künftig alle Eigentümer gleich viel zahlen.
Konkret bedeutete das: Egal ob jemand eine kleine Wohnung oder ein großes Haus besitzt – die Rechnung wird durch 22 geteilt. Ein Eigentümer sah sich dadurch massiv benachteiligt und klagte gegen den Beschluss. Er argumentierte, dass kleinere Wohnungsbesitzer nun 48 Prozent mehr Kosten tragen müssten als nach dem bisherigen System.
Rechtlicher Streitpunkt: Darf die Mehrheit so entscheiden?
Der Konflikt berührte eine grundsätzliche Frage des Wohnungseigentumsrechts: Wie weit reicht die Macht der Mehrheit bei Kostenentscheidungen?
Das alte System: Verteilung nach Eigentumsanteilen
Traditionell werden Kosten in Wohnungseigentümergemeinschaften nach den Miteigentumsanteilen verteilt. Diese richten sich meist nach der Wohnungsgröße: Wer eine größere Wohnung besitzt, zahlt entsprechend mehr für Gemeinschaftskosten.
Die neue Regelung: Kopfpauschale für alle
Mit dem Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG) von 2020 wurde § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG eingeführt. Diese Vorschrift ermöglicht es Eigentümergemeinschaften, für einzelne Kostenarten abweichende Verteilungsschlüssel zu beschließen – und das bereits mit einfacher Mehrheit.
Besondere Herausforderung: Komplexe Sondernutzungsrechte
Der vorliegende Fall war besonders verzwickt, weil die Wohnanlage verschiedene Sondernutzungsrechte aufwies. Während manche Eigentümer private Gartenflächen exklusiv nutzen dürfen, stehen andere Bereiche wie der Kinderspielplatz allen gemeinsam zur Verfügung.
Die Kostenfrage wurde dadurch komplex:
- Eigentümer mit Sondernutzungsrechten zahlen bereits allein für "ihre" Bereiche
- Gemeinschaftsflächen werden von allen genutzt
- Tiefgaragenstellplätze und Hobbykeller haben separate Abrechnungen
Das Gericht musste klären: Bezieht sich der Beschluss auf alle Außenanlagen oder nur auf die echten Gemeinschaftsbereiche?
Die Entscheidung: Gericht bestätigt neue Kostenverteilung
Das Landgericht München I wies die Klage ab und bestätigte die Rechtmäßigkeit des Beschlusses. Die Richter stellten mehrere wichtige Grundsätze auf:
Einfache Mehrheit genügt
§ 16 Abs. 2 Satz 2 WEG berechtigt Wohnungseigentümer, für bestimmte Kostenarten neue Verteilungsschlüssel zu beschließen. Das gilt selbst dann, wenn dadurch der Kreis der Zahlungspflichtigen verändert wird – also manche Eigentümer erstmals belastet oder ganz befreit werden.
Weiter Gestaltungsspielraum der Gemeinschaft
Den Eigentümern steht bei Kostenverteilungsentscheidungen ein weiter Ermessensspielraum zu. Sie dürfen jeden Maßstab wählen, der den Interessen der Gemeinschaft angemessen ist – solange keine ungerechtfertigte Benachteiligung entsteht.
Ordnungsmäßige Verwaltung gewährleistet
Das Gericht sah die ordnungsmäßige Verwaltung als gewahrt an. Bei der konkreten Kostenverteilung für Außenanlagen sprechen sachliche Gründe für eine Gleichverteilung:
Alle Eigentümer profitieren gleichermaßen von:
- Gepflegten Gehwegen zwischen den Gebäuden
- Dem Kinderspielplatz
- Sauberen Gemeinschaftsflächen
Die Größe der individual genutzten Wohnung hat keinen wesentlichen Einfluss auf den Erhaltungsaufwand dieser Bereiche.
Abgrenzung zu früheren Urteilen
Interessant ist, dass dasselbe Gericht in einem anderen Fall eine pauschale Gleichverteilung aller Reparaturkosten als rechtswidrig eingestuft hatte. Der Unterschied:
Damals ging es um sämtliche Erhaltungskosten des Gebäudes. Bei Gebäudereparaturen ist der Aufwand sehr wohl von der Wohnungsgröße abhängig – größere Wohnungen bedeuten mehr Außenwände, mehr Fenster, mehr Dachfläche.
Im aktuellen Fall betraf der Beschluss nur die spezifischen Außenanlagen ohne Sondernutzungsrechte. Hier ist die Nutzungsintensität tatsächlich unabhängig von der Wohnungsgröße.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Mehr Flexibilität bei Kostenentscheidungen
Wohnungseigentümergemeinschaften haben künftig deutlich mehr Spielraum bei der Gestaltung von Kostenverteilungen. Mit einfacher Mehrheit können sie für spezifische Kostenbereiche abweichende Regelungen treffen.
Sachgerechte Begründung erforderlich
Allerdings müssen Kostenverteilungsänderungen sachlich nachvollziehbar sein. Reine Willkür oder das bloße Interesse einer Mehrheit, sich auf Kosten der Minderheit zu entlasten, reicht nicht aus.
Praxistipps für Eigentümergemeinschaften
Bei Beschlussfassungen sollten Sie beachten:
- Dokumentieren Sie die Sachgründe für eine abweichende Kostenverteilung
- Grenzen Sie den Anwendungsbereich präzise ab – welche Kosten sind betroffen?
- Berücksichtigen Sie Sondernutzungsrechte und bereits bestehende Sonderregelungen
- Prüfen Sie die Verhältnismäßigkeit – vermeiden Sie extreme Benachteiligungen
Rechtschutz für betroffene Eigentümer
Fühlen Sie sich durch einen Kostenverteilungsbeschluss ungerecht behandelt, haben Sie zwei Monate Zeit für eine Anfechtungsklage. Dabei müssen Sie nachweisen, dass:
- Der Beschluss gegen geltendes Recht verstößt
- Keine sachlichen Gründe für die neue Verteilung sprechen
- Eine ungerechtfertigte Benachteiligung vorliegt
Bedeutung für verschiedene Kostenarten
Das Urteil eröffnet neue Möglichkeiten für differenzierte Kostenabrechnungen:
Gleichverteilung kann sinnvoll sein bei:
- Außenanlagenpflege ohne Sondernutzungsrechte
- Gemeinschaftseinrichtungen (Spielplatz, Briefkasten)
- Versicherungsbeiträgen
- Verwaltungskosten
Verteilung nach Eigentumsanteilen bleibt sinnvoll bei:
- Gebäudereparaturen (Dach, Fassade, Fenster)
- Heizungsmodernisierung
- Aufzugswartung
- Größenabhängigen Verbrauchskosten
Fazit: Neue Flexibilität mit Grenzen
Das Münchner Urteil zeigt: Das moderne Wohnungseigentumsrecht wird flexibler. Eigentümergemeinschaften können Kostenverteilungen stärker an die konkreten Gegebenheiten ihrer Anlage anpassen.
Gleichzeitig macht das Gericht deutlich: Willkür hat keinen Platz. Jede Kostenverteilungsänderung muss sachlich begründbar sein und darf nicht zu ungerechtfertigten Härten führen.
Für die Praxis bedeutet das: Mehr Gestaltungsmöglichkeiten, aber auch mehr Verantwortung bei der Beschlussfassung. Eigentümergemeinschaften sollten Kostenverteilungsänderungen sorgfältig vorbereiten und dokumentieren.
Quelle: LG München I, Urteil vom 18.12.2024, Az. 1 S 13549/23 WEG
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