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Was heißt "Dach komplett erneuert"?

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Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Formulierung "Dach komplett erneuert" nicht automatisch nur die oberste Dachschicht meint. Ein wichtiges Urteil für alle Immobilienkäufer, die sich auf Angaben in Verkaufsexposés verlassen.
Paar steht vor einem Einfamilienhaus, die Frau deutet mit dem Zeigefinger auf das Dach
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Fall: Enttäuschung nach dem Hauskauf

Ein Ehepaar erwarb Anfang 2021 ein Einfamilienhaus aus dem Jahr 1974. Im Verkaufsexposé des Maklers wurde das Objekt als renovierungsbedürftig, aber in sehr gutem Zustand beschrieben. Besonders hervorgehoben wurde, dass das Dach im Jahr 2009 komplett erneuert worden sei. Weitere Modernisierungen umfassten eine Außendämmung und Neuverputz von 2016 sowie eine moderne Gasheizung aus dem Jahr 2018.

Die Käufer vertrauten auf diese Angaben und unterzeichneten den notariellen Kaufvertrag. Wie im Immobilienhandel üblich, schloss dieser Vertrag die Haftung für Sachmängel aus. Solche Klauseln sind bei privaten Immobilienverkäufen Standard und sollen den Verkäufer vor späteren Gewährleistungsansprüchen schützen.

Nach dem Kauf stellte sich jedoch heraus, dass die Dacherneuerung von 2009 weit weniger umfangreich war als erwartet. Tatsächlich hatte die Verkäuferin damals lediglich neue Bitumenbahnen auf das bestehende Dach aufbringen lassen. Diese wurden verklebt und verschweißt, bildeten also eine neue Abdichtungsschicht. Die darunter liegenden Schichten wie Dämmung und Unterkonstruktion stammten jedoch noch aus dem Baujahr 1974 und entsprachen nicht den aktuellen energetischen Anforderungen.

Worum wurde gestritten?

Die Käufer fühlten sich getäuscht und verlangten von der Verkäuferin Schadensersatz. Sie forderten die Kosten für eine vollständige Dacherneuerung sowie die Feststellung, dass die Verkäuferin auch für künftige Schäden aufkommen müsse. Außerdem sollte die Verkäuferin die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten tragen.

Die zentrale Rechtsfrage lautete: Was darf ein Käufer erwarten, wenn im Verkaufsexposé steht, das Dach sei in einem bestimmten Jahr komplett erneuert worden? Umfasst diese Formulierung nur die sichtbare Außenschicht oder das gesamte Dach einschließlich Dämmung und Unterkonstruktion?

Die Verkäuferin argumentierte, sie habe der Maklerin nur mitgeteilt, dass 2009 auf der gesamten Dachfläche neue Bitumenbahnen verschweißt und verklebt worden seien. Die Formulierung "komplett erneuert" sei eine eigenmächtige Interpretation der Maklerin gewesen. Außerdem müsse jedem Käufer klar sein, dass mit "Dach" im allgemeinen Sprachgebrauch nur die oberste Schicht gemeint sei.

Der Weg durch die Instanzen

Das Landgericht Leipzig gab den Käufern zunächst recht und sprach ihnen den Schadensersatz weitgehend zu. Das Gericht befand, die Angabe im Exposé sei irreführend gewesen und die Käufer durften eine umfassendere Erneuerung erwarten.

Das Oberlandesgericht Dresden kam jedoch zu einem anderen Ergebnis und wies die Klage vollständig ab. Die Richter argumentierten mit dem allgemeinen Sprachgebrauch. Nach diesem verstehe man unter "Dach" nur den Abschluss eines Gebäudes, also die mit Ziegeln, Bitumen oder anderem Material gedeckte Konstruktion. Dies schließe Dämmung und Unterkonstruktion nicht ein. Die Formulierung "komplett erneuert" bedeute lediglich, dass die oberste Dachschicht vollständig ausgebessert worden sei. Damit habe die Verkäuferin nichts Falsches versprochen, denn sie habe ja tatsächlich auf der gesamten Dachfläche neue Bitumenbahnen anbringen lassen.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verwies die Sache zurück nach Dresden. Die obersten Zivilrichter stellten klar: Es gibt keinen allgemeinen Sprachgebrauch, nach dem "Dach komplett erneuert" immer nur die Erneuerung der obersten Schicht bedeutet.

Der BGH erklärte zunächst, dass der allgemeine Sprachgebrauch als sogenannter Erfahrungssatz revisionsrechtlich vollständig überprüfbar sei. Das bedeutet, dass auch das höchste deutsche Zivilgericht prüfen darf, ob ein bestimmter Sprachgebrauch tatsächlich existiert.

Die Richter analysierten die Argumentation des Oberlandesgerichts genau. Dieses hatte sich auf Wörterbuch-Definitionen gestützt und behauptet, nach allgemeinem Verständnis meine "Dach" nur die äußere Schicht. Der BGH widersprach: Im Duden werde ein Dach nur sehr allgemein beschrieben, ohne zwischen verschiedenen Dachtypen zu unterscheiden oder die möglichen Schichten eines Dachaufbaus zu nennen. Daraus lasse sich nicht ableiten, dass mit "Dach" im allgemeinen Sprachgebrauch immer nur die äußere Schicht gemeint sei.

Die zentrale Erkenntnis lautet: Was genau mit einer kompletten Dacherneuerung gemeint ist, lässt sich nicht pauschal bestimmen. Es kommt vielmehr auf den jeweiligen Dachtyp und die einzelnen Bestandteile an. Auch die zum Zeitpunkt der Sanierung geltenden baurechtlichen Vorschriften können das Verständnis beeinflussen. So gab es 2009 bereits die Energieeinsparverordnung mit bestimmten Anforderungen an Dämmungen.

Der BGH betonte, dass die Formulierung "2009 wurde das Dach komplett erneuert" als einheitliche Aussage aus der objektiven Sicht eines durchschnittlichen Käufers auszulegen sei. Dabei müssten auch die anderen Angaben im Exposé berücksichtigt werden, mit denen das Haus insgesamt als in sehr gutem und weitgehend modernisiertem Zustand dargestellt wurde.

Ein interessantes Detail am Rande: Die Verkäuferin selbst war ursprünglich offenbar davon ausgegangen, dass "komplett erneuert" mehr bedeutet als nur neue Bitumenbahnen. In ihrer Klageerwiderung hatte sie nämlich argumentiert, sie habe der Maklerin nur die Tatsachen mitgeteilt, und diese habe die Angabe eigenmächtig so formuliert, als sei das Dach komplett erneuert worden.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil hat erhebliche praktische Bedeutung für Immobilienkäufer und -verkäufer. Es zeigt, dass Angaben in Verkaufsexposés ernst genommen werden und nicht einfach zu Lasten des Käufers ausgelegt werden dürfen.

Für Käufer bedeutet das Urteil: Sie dürfen sich grundsätzlich auf Angaben in Verkaufsexposés verlassen, auch wenn im Kaufvertrag die Gewährleistung ausgeschlossen ist. Solche Haftungsausschlüsse schützen den Verkäufer nur dann, wenn dieser nicht arglistig gehandelt hat. Wer bewusst falsche oder irreführende Angaben macht, kann sich nicht auf den Haftungsausschluss berufen.

Wenn im Exposé steht, dass bestimmte Bauteile erneuert wurden, dürfen Sie erwarten, dass diese Erneuerung den damals geltenden baurechtlichen Standards entspricht. Bei einer Dacherneuerung 2009 wäre also zu prüfen gewesen, ob die Energieeinsparverordnung eingehalten wurde. Eine bloße Erneuerung der Abdichtung ohne zeitgemäße Dämmung erfüllt diese Erwartung in der Regel nicht.

Allerdings müssen Käufer auch sorgfältig prüfen. Wer bei der Besichtigung hätte erkennen können, dass nur oberflächliche Arbeiten durchgeführt wurden, kann sich möglicherweise nicht auf eine Täuschung berufen. Die Grenze liegt bei grob fahrlässiger Unkenntnis, wobei allerdings gilt: Aus dem bloßen Erscheinungsbild des Dachs lässt sich meist nicht schließen, welche Schichten darunter erneuert wurden oder nicht.

Für Verkäufer bedeutet das Urteil: Seien Sie präzise bei Angaben zu durchgeführten Renovierungen. Die Formulierung "komplett erneuert" weckt beim Käufer die Erwartung einer umfassenden Sanierung. Wurden tatsächlich nur Teilarbeiten durchgeführt, sollten Sie dies klar kommunizieren, etwa "2009 neue Abdichtung mit Bitumenbahnen" statt "Dach komplett erneuert".

Auch wenn Sie die Immobilie über einen Makler verkaufen, bleiben Sie für dessen Angaben verantwortlich, sofern Sie den Inhalt des Exposés kannten oder kennen mussten. Prüfen Sie daher das Verkaufsexposé sorgfältig, bevor es veröffentlicht wird. Unklare oder übertriebene Formulierungen können später zu Schadensersatzforderungen führen.

Der BGH hat den Fall nun zurück an das Oberlandesgericht Dresden verwiesen. Dort muss nun geklärt werden, wie ein durchschnittlicher Käufer die Angabe im konkreten Fall verstehen durfte. Dabei sind alle Umstände einzubeziehen: die Art des Dachs, der Gesamtzusammenhang des Exposés und die damals geltenden baurechtlichen Anforderungen.

Das Urteil macht deutlich, dass Immobilienkäufe komplex sind und Formulierungen in Verkaufsunterlagen rechtliche Konsequenzen haben können. Im Zweifel sollten beide Seiten vor Vertragsschluss für klare Verhältnisse sorgen und bei Unklarheiten nachfragen oder nachbessern. Ein spezialisierter Rechtsanwalt kann helfen, Risiken zu minimieren und Streitigkeiten zu vermeiden.

Grundsätze des Urteils

  • Angaben in Verkaufsexposés sind aus objektiver Sicht eines durchschnittlichen Käufers auszulegen
  • Bedeutung von "komplett erneuert" hängt vom jeweiligen Dachtyp, Bestandteilen und geltenden baurechtlichen Vorschriften zum Sanierungszeitpunkt ab
  • Haftungsausschluss im Kaufvertrag schützt Verkäufer nicht bei arglistigem Handeln durch bewusst falsche oder irreführende Angaben
  • Auslegung erfolgt unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs aller Angaben im Exposé

Quelle: Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. Dezember 2024, Aktenzeichen V ZR 229/23

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