Hausordnung mit übertriebenen Einschränkungen ist unwirksam


Wenn die Hausordnung zu streng wird
Viele Mieter kennen das Problem: Der Nachbar über einem macht angeblich zu viel Lärm, besonders in den Ruhezeiten. Schnell wird dann auf die Hausordnung verwiesen, die oft strenge Regeln zur Nachtruhe enthält. Doch wie weit dürfen solche Bestimmungen gehen? Das Amtsgericht Hamburg hat in einem wegweisenden Urteil vom August 2024 klargestellt, dass "unbedingte Ruhe" in Hausordnungen unwirksam ist, wenn sie das normale Wohnen unmöglich macht.
Der Streitfall: Nachbarn im Clinch
In einem ehemaligen Hamburger Krankenhaus, das zu Eigentumswohnungen umgebaut wurde, eskalierte ein Nachbarschaftsstreit. Die Bewohner der unteren Wohnung fühlten sich durch ihre Nachbarin von oben gestört. Sie dokumentierten akribisch alle Geräusche: quietschende Dielen, Waschmaschinen-Geräusche mitten in der Nacht, Fernseh- und Radionutzung während der Ruhezeiten.
Die Hausordnung des Gebäudes war besonders streng formuliert. Sie verlangte "unbedingte Ruhe im Interesse aller Mieter und Nachbarn von 13 bis 15 Uhr und von 21 bis 7 Uhr". Außerdem sollten Fernseh- und Radiogeräte stets auf Zimmerlautstärke beschränkt bleiben. Zusätzlich durften Haushaltsgeräte nur an Werktagen zwischen 7 und 13 Uhr sowie 15 und 20 Uhr genutzt werden.
Die gestörten Mieter versuchten zunächst, das Problem außergerichtlich zu lösen. Bei einem gemeinsamen Ortstermin mit beiden Vermietern sollten Lösungen gefunden werden. Doch die Situation entspannte sich nicht. Schließlich verklagten sie ihre Nachbarin auf Unterlassung der Lärmbelästigungen und beriefen sich dabei auf die strenge Hausordnung.
Das Gericht stellt klar: Normale Wohnnutzung geht vor
Das Amtsgericht Hamburg wies die Klage vollständig ab und erklärte zentrale Teile der Hausordnung für unwirksam. Die Begründung des Gerichts ist bemerkenswert deutlich: Eine Regelung, die "unbedingte Ruhe" verlangt, geht viel zu weit und ist mit normalem Wohnen nicht vereinbar.
Die Richter erklärten, dass eine solche Bestimmung "eine erhebliche Beeinträchtigung darstellt, die mit dem Zweck einer Wohnung und eines vertragsgemäßen Wohnverhaltens nicht vereinbar ist". Unter strengster Auslegung würde "unbedingte Ruhe" bedeuten, dass sich Mieter je nach baulichem Zustand des Hauses "kaum bis gar nicht in ihrer Wohnung bewegen" dürften.
Das Gericht führte ein plastisches Beispiel an: Ein Mieter dürfte sich unter solchen Umständen "zugespitzt nicht einmal nachts von dem Schlafzimmer zur Toilette bewegen", da jede Laufbewegung oder das Öffnen von Türen mit Geräuschen verbunden sind.
Grundrechte schützen vor überzogenen Hausregeln
Die Hamburger Richter stellten fest, dass solche überzogenen Hausordnungsbestimmungen sogar verfassungsrechtlich bedenklich sind. Sie verletzen das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht und die allgemeine Handlungsfreiheit der Mieter. Eine Wohnung soll schließlich "einen Lebensmittelpunkt zur freien Entfaltung" bieten.
Das Gericht betonte: "Dem Bewohner eines Mehrfamilienhauses ist erlaubt, im Rahmen des Sozialadäquaten in der von ihm bewohnten Wohnung auch solche Geräusche zu verursachen, die andere Hausmitbewohner als ruhestörend empfinden mögen."
Selbst wenn normales Laufen zur Nachtzeit aufgrund quietschender Dielen Lärm verursacht, rechtfertigt dies keine Einschränkung. Die freie Bewegung in der Wohnung ist von zentraler Bedeutung und sozial angemessen.
Auch Haushaltsgeräte-Verbote sind zu streng
Ebenso unwirksam erklärte das Gericht die Hausordnungsregelung zu Haushaltsgeräten. Die Bestimmung, dass Waschmaschinen, Wäschetrockner und Geschirrspülmaschinen nur an Werktagen zu bestimmten Zeiten genutzt werden dürfen, geht zu weit. Solche Geräte gehören zum gewöhnlichen Wohngebrauch, und ihre Nutzung nur auf Werktage zu beschränken, stellt eine "ungerechtfertigte Beeinträchtigung der vertragsgemäßen Nutzung" dar.
Besonders absurd fand das Gericht, dass nach der Hausordnung Arbeiten wie Bohren oder Hämmern an Werktagen um 12 Uhr erlaubt, um 14 Uhr aber verboten sein sollten.
Wann sind Ruhestörungen wirklich unzulässig?
Das bedeutet aber nicht, dass Mieter völlig rücksichtslos sein dürfen. Das Gericht stellte klar, welche Maßstäbe gelten: Die allgemeine Rücksichtnahmepflicht zwischen Nachbarn besteht weiterhin. Bei der Bewertung, ob eine Ruhestörung vorliegt, sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen: die Lautstärke, der zeitliche Umfang, die Sozialadäquanz, mögliche Gegenmaßnahmen zur Lärmprävention und die baulichen Gegebenheiten.
Normale Wohngeräusche müssen hingenommen werden. Dazu gehören gelegentliche Störungen durch Unterhaltungen, Türenknallen, Fensterknallen, Trampeln, Musik- und Fernsehgeräusche, Hausarbeiten und sogar Kinderlärm, solange dieser den üblichen Umfang nicht überschreitet.
Die allgemein übliche Nachtzeit liegt zwischen 22 und 6 Uhr, wobei die Rücksichtnahmepflicht ab 22 Uhr erhöht und zwischen 0 und 6 Uhr deutlich erhöht ist. Für Sonntage und Feiertage kann eine erhöhte Rücksichtnahme gefordert werden.
Beweislast bei Ruhestörungen
Im konkreten Fall konnte das Gericht nicht feststellen, dass von der beklagten Nachbarin tatsächlich unzumutbare Störungen ausgingen. Trotz detaillierter Lärmprotokolle der Kläger blieben beim Gericht "erhebliche Zweifel", ob die behaupteten Umstände "die Schwelle einer relevanten Lärmbelästigung erreicht haben".
Das Gericht betonte, dass bei der Bewertung von Ruhestörungen objektive Maßstäbe gelten müssen. Die subjektive Beeinträchtigung der gestörten Mieter allein reicht nicht aus. Es muss eine objektiv erhebliche Beeinträchtigung vorliegen, die über das hinausgeht, was in einem Mehrfamilienhaus normalerweise hinzunehmen ist.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Mieter bedeutet dieses Urteil mehr Rechtssicherheit: Überzogene Hausordnungsbestimmungen, die das normale Wohnen einschränken, sind unwirksam. Sie dürfen sich in Ihrer Wohnung frei bewegen, auch nachts zur Toilette gehen und Ihre Haushaltsgeräte benutzen, ohne ständig Angst vor Abmahnungen haben zu müssen.
Vermieter und Hausverwaltungen sollten ihre Hausordnungen überprüfen. Formulierungen wie "unbedingte Ruhe" oder sehr restriktive Nutzungszeiten für Haushaltsgeräte können unwirksam sein. Stattdessen sollten sie sich an den gesetzlichen Vorgaben und der Rechtsprechung orientieren.
Bei Nachbarschaftsstreitigkeiten gilt: Zunächst sollte immer das Gespräch gesucht werden. Viele Probleme lassen sich durch gegenseitige Rücksichtnahme lösen. Wenn rechtliche Schritte erwogen werden, ist zu bedenken, dass normale Wohngeräusche hinzunehmen sind und nur erhebliche, objektive Beeinträchtigungen erfolgreich bekämpft werden können.
Wichtig für die Praxis: Auch wenn Hausordnungsbestimmungen unwirksam sind, bleibt die allgemeine Rücksichtnahmepflicht bestehen. Mieter sollten weiterhin aufeinander Rücksicht nehmen und während der Nachtruhe besonders leise sein. Das Urteil schützt vor überzogenen Forderungen, ermutigt aber nicht zu rücksichtslosem Verhalten.
Das Hamburger Urteil stärkt das Recht der Mieter auf normale Wohnnutzung und setzt der Willkür bei Hausordnungen Grenzen. Es zeigt, dass das Wohnen als Grundbedürfnis rechtlichen Schutz verdient und nicht durch überzogene Regeln eingeschränkt werden darf.
Quelle: Amtsgericht Hamburg, Urteil vom 02.08.2024, Az. 21 C 402/23
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