Zum Hauptinhalt springen

Grundschuldbrief verschwunden: Was tun?

Der beste Anwalt für Mietrecht
Eine Erbin konnte einen alten Grundschuldbrief nicht finden, den ihre Eltern einst für ein Darlehen bestellt hatten. Das Oberlandesgericht Bamberg entschied nun: Auch ohne eigene Erinnerungen kann sie die Kraftloserklärung durchsetzen.
Frau schaut durch eine Lupe auf ein kleines Modellhaus
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Fall: Ein Brief aus vergangenen Zeiten

Eine Frau erbte von ihrer verstorbenen Mutter ein Grundstück in Bayern. Ihre Mutter hatte es zuvor vom Vater geerbt. Auf dem Grundstück lastete noch eine alte Grundschuld aus den siebziger Jahren, die damals zur Absicherung eines Darlehens eingetragen worden war. Die Erbin wollte diese längst abbezahlte Grundschuld nun endlich aus dem Grundbuch löschen lassen. Doch dafür benötigte sie den Grundschuldbrief, ein wichtiges Dokument, das die Rechte an der Grundschuld verbrieft.

Das Problem: Der Grundschuldbrief war nirgends zu finden. Die Erbin durchsuchte alle Unterlagen, doch der Brief blieb verschwunden. Also wandte sie sich an die Bank, die damals das Darlehen vergeben hatte. Diese bestätigte ihr schriftlich, dass sie bereits im Jahr 1976 sowohl den Grundschuldbrief als auch eine Löschungsbewilligung an den Vater zurückgeschickt hatte. Das Darlehen war längst getilgt, die Sache eigentlich erledigt. Doch ohne den Brief konnte die Grundschuld nicht aus dem Grundbuch entfernt werden.

Der Weg vor Gericht: Aufgebotsverfahren als Lösung

Die Erbin beantragte deshalb beim Amtsgericht die Durchführung eines Aufgebotsverfahrens. Dieses besondere Verfahren dient dazu, abhanden gekommene Urkunden wie Grundschuldbriefe für kraftlos zu erklären. Ist der Brief einmal für kraftlos erklärt, kann die Grundschuld auch ohne das Original aus dem Grundbuch gelöscht werden. Das Verfahren gibt allen potenziell betroffenen Personen die Möglichkeit, sich zu melden, falls sie Rechte an dem Brief haben sollten.

Das Amtsgericht lehnte den Antrag jedoch ab. Die Begründung: Die Erbin könne nicht glaubhaft machen, dass der Brief wirklich abhandengekommen sei. Sie habe den Brief schließlich nie selbst in den Händen gehalten und könne daher nicht bezeugen, was ihre Eltern damit gemacht hätten. Vielleicht hatten diese die Grundschuld ja doch an jemand anderen abgetreten, ohne dass die Tochter davon wusste. Nach Ansicht des Amtsgerichts fehle es der Erbin an eigenen Wahrnehmungen zu den Vorgängen vor dem Erbfall.

Die zentrale Rechtsfrage: Wie viel Gewissheit ist nötig?

Im Kern ging es um die Frage, welche Anforderungen an die sogenannte Glaubhaftmachung zu stellen sind. Glaubhaftmachung bedeutet im juristischen Sinne, dass eine Tatsache überwiegend wahrscheinlich sein muss, nicht jedoch mit absoluter Sicherheit bewiesen werden muss. Anders als bei einem normalen Beweis genügt hier also eine hohe Wahrscheinlichkeit.

Das Amtsgericht hatte strenge Maßstäbe angelegt und argumentiert, dass bei einem Briefgrundpfandrecht besondere Vorsicht geboten sei. Denn solche Grundschulden können durch bloße Abtretung und Übergabe des Briefs übertragen werden, ganz ohne notarielle Beurkundung oder Eintragung ins Grundbuch. Es entspreche zudem der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Ehepartner oder Eltern nicht immer alle Informationen über ihre Geschäfte weitergeben würden.

Außerdem vermisste das Amtsgericht eine eidesstattliche Versicherung der Bank, dass die Grundschuld definitiv nicht an einen Dritten abgetreten oder verpfändet worden war. Ohne diese zusätzliche Absicherung könne man nicht ausschließen, dass irgendwo doch noch ein Berechtigter existiere.

Die Entscheidung: Praktische Wahrscheinlichkeit zählt

Das Oberlandesgericht Bamberg sah die Sache anders und gab der Erbin recht. Die Richter hoben den Beschluss des Amtsgerichts auf und wiesen dieses an, das Aufgebotsverfahren durchzuführen. In ihrer ausführlichen Begründung machten sie deutlich, dass die Anforderungen an die Glaubhaftmachung nicht überspannt werden dürfen.

Das Gericht stellte klar: Es ist zwar zutreffend, dass die Erbin selbst keine eigenen Erinnerungen an den Verbleib des Briefs haben kann. Dies führt jedoch nicht automatisch dazu, dass die Voraussetzungen für eine Kraftloserklärung nicht vorliegen.

Entscheidend sei vielmehr eine Gesamtschau aller Umstände. Die Bank hatte der Erbin bestätigt, bereits 1976 eine Löschungsbewilligung erteilt und den Brief zurückgesandt zu haben. Von einer Abtretung an einen Dritten war nie die Rede. Diese Bestätigung stellte nach Ansicht des Gerichts eine tragfähige Grundlage für die Annahme dar, dass keine Abtretung erfolgt war.

Rechtliche Hintergründe: Wie Grundschulden funktionieren

Um die Entscheidung zu verstehen, lohnt ein Blick auf die rechtlichen Mechanismen. Eine Grundschuld ist ein dingliches Recht an einem Grundstück, das zur Absicherung von Krediten dient. Anders als eine Hypothek bleibt die Grundschuld auch dann bestehen, wenn das gesicherte Darlehen längst abbezahlt ist. Man spricht von fehlender Akzessorietät.

Wenn der Darlehensnehmer seine Schuld getilgt hat, muss ihm die Bank die Grundschuld zurückgeben. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen: durch Abtretung der Grundschuld, durch deren Aufhebung oder durch Verzicht auf das dingliche Recht. In der Praxis ist es üblich, dass die Bank eine Löschungsbewilligung erteilt und den Grundschuldbrief zurückgibt. Mit diesen beiden Dokumenten kann der Grundstückseigentümer dann die Löschung der Grundschuld im Grundbuch beantragen.

Kommt es nicht zur Löschung im Grundbuch, bleibt die Bank formal Inhaberin der Grundschuld, auch wenn diese ihren Sicherungszweck verloren hat. Eine Abtretung der Grundschuld an den Eigentümer erfolgt in solchen Fällen typischerweise nicht. Vielmehr wird durch die Löschungsbewilligung die Aufhebung des Rechts nach Paragraf 875 Bürgerliches Gesetzbuch vorbereitet.

Warum eine Abtretung unwahrscheinlich war

Das Oberlandesgericht führte aus, dass die Eltern der Erbin rechtlich gar nicht berechtigt gewesen wären, über die Grundschuld zu verfügen. Da die Bank eine Löschungsbewilligung erteilt hatte, waren die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Grundschuld geschaffen worden. Die Bank blieb aber mangels Eintragung im Grundbuch Inhaberin des Rechts. Die Eltern hätten die Grundschuld also gar nicht rechtswirksam abtreten können.

Selbst wenn sie eine solche Abtretung dennoch vorgenommen hätten, wäre diese unwirksam gewesen. Ein gutgläubiger Erwerb durch einen Dritten hätte eine lückenlose Kette öffentlich beglaubigter Abtretungserklärungen erfordert, die bis zur eingetragenen Gläubigerin zurückreicht. Eine solche Kette existierte nicht.

Das Gericht betonte: Es handelt sich bei einer möglichen Abtretung durch die Eltern um eine rein theoretische Möglichkeit, für die es keinerlei greifbare Anhaltspunkte gibt.

Zudem sprach die Lebenserfahrung gegen eine Abtretung. Hätte tatsächlich ein Dritter Rechte aus der Grundschuld erworben, wäre spätestens nach dem zweiten Erbfall ein Anspruch gegen die Erbin geltend gemacht worden. Dies war jedoch nie geschehen.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Diese Entscheidung ist wichtig für alle Grundstückserben, die mit alten, nicht mehr auffindbaren Grundschuldbriefen konfrontiert sind. Sie müssen nicht verzweifeln, wenn sie selbst keine Erinnerungen an die Vorgänge haben, die zu Lebzeiten der Erblasser stattfanden.

Das Urteil macht deutlich, dass eine schematische Betrachtungsweise nicht angebracht ist. Gerichte müssen alle Umstände des Einzelfalls in freier Beweiswürdigung berücksichtigen. Entscheidend ist nicht, ob der Antragsteller persönlich Zeuge der Geschehnisse war, sondern ob nach der Gesamtschau der vorliegenden Beweismittel ein Abhandenkommen überwiegend wahrscheinlich ist.

Wenn Sie in einer ähnlichen Situation sind, sollten Sie zunächst die Bank kontaktieren, die damals das Darlehen vergeben hat. Eine schriftliche Bestätigung über die Rückgabe des Briefs und die Erteilung einer Löschungsbewilligung kann bereits ausreichen, um die erforderliche Glaubhaftmachung zu erreichen. Auch wenn die Bank keine detaillierten Unterlagen mehr besitzt, weil diese nach Jahrzehnten vernichtet wurden, kann eine entsprechende Auskunft hilfreich sein.

Das Fehlen objektiver Anhaltspunkte für eine Abtretung an Dritte spricht für Sie. Wenn keine Forderungen aus der Grundschuld gegen Sie geltend gemacht wurden und die Bank keine Abtretung erwähnt, stehen die Chancen gut, dass das Aufgebotsverfahren erfolgreich ist.

Praktische Tipps für Betroffene

Falls Sie einen alten Grundschuldbrief suchen und diesen nicht finden können, sollten Sie systematisch vorgehen. Durchsuchen Sie zunächst alle Unterlagen Ihrer Eltern oder früheren Eigentümer gründlich. Oft werden solche wichtigen Dokumente an besonderen Orten aufbewahrt, etwa in Bankschließfächern oder bei Notaren.

Wenden Sie sich dann an die im Grundbuch eingetragene Gläubigerin. Banken sind häufig fusioniert oder haben ihre Namen geändert. Mit etwas Recherche lässt sich aber meist herausfinden, welches Institut heute der Rechtsnachfolger ist. Bitten Sie um eine schriftliche Auskunft über den Verbleib des Briefs und eventuelle Löschungsbewilligungen.

Für das Aufgebotsverfahren benötigen Sie einen Notar, der den Antrag beim zuständigen Amtsgericht stellt. Legen Sie alle vorhandenen Unterlagen vor, insbesondere die Bestätigung der Bank. Auch wenn Sie selbst keine persönlichen Erinnerungen haben, kann die Gesamtheit der objektiven Umstände für Sie sprechen.

Das Verfahren dauert einige Monate, da öffentlich bekannt gemacht werden muss, dass der Brief für kraftlos erklärt werden soll. Potenzielle Berechtigte haben dann die Möglichkeit, ihre Ansprüche anzumelden. Meldet sich niemand, wird der Brief für kraftlos erklärt und Sie können die Grundschuld endlich aus dem Grundbuch löschen lassen.

Beachten Sie, dass das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, weil ein anderer Senat des gleichen Gerichts in einem vergleichbaren Fall anders entschieden hatte. Es bleibt also abzuwarten, ob der Bundesgerichtshof das letzte Wort in dieser Angelegenheit sprechen wird. Die Tendenz geht jedoch erkennbar dahin, Erben den Weg zur Bereinigung alter Grundbuchlasten zu erleichtern.

Grundsätze des Urteils

  • Glaubhaftmachung des Abhandenkommens erfordert überwiegende Wahrscheinlichkeit, nicht absolute Gewissheit oder persönliche Wahrnehmung des Antragstellers
  • Gesamtschau aller objektiven Umstände entscheidend; fehlende eigene Erinnerungen des Erben schließen Glaubhaftmachung nicht aus
  • Bankbestätigung über Rückgabe des Grundschuldbriefs und Löschungsbewilligung stellt tragfähige Grundlage dar
  • Rein theoretische Möglichkeit einer Abtretung ohne greifbare Anhaltspunkte reicht nicht, um Aufgebotsverfahren abzulehnen
  • Fehlende Geltendmachung von Ansprüchen durch Dritte nach Erbfall spricht gegen tatsächliche Abtretung

Quelle: Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 29.08.2024, Az. 8 Wx 114/24, BeckRS 2025, 10484

Kontaktieren Sie uns!

Die Informationen auf unserer Website dienen ausschließlich zu Informationszwecken. Sie ersetzen keine rechtliche Beratung, die auf Ihre individuelle Situation zugeschnitten ist. Bitte beachten Sie auch, dass sich die Rechtslage durch neue Gesetze und Urteile jederzeit ändern kann.

Für detaillierte Fragen oder eine individuelle Beratung stehen Ihnen die Experten unserer Kanzlei für Mietrecht in Essen zur Verfügung. Wir helfen Ihnen, die beste Strategie für Ihr spezifisches Anliegen zu entwickeln.


Ihr Recht ist unsere Leidenschaft!

Portrait der besten Anwälte von Essen

Sie sind ratlos im Streit mit Ihrem Mieter oder Vermieter? Sie stehen vor komplexen Vertragsverhandlungen oder es geht um den Erwerb, Veräußerung oder Vererbung von Immobilieneigentum. Wir haben uns auf das private und gewerbliche Mietrecht, Immobilienrecht und Maklerrecht spezialisiert. Vertrauen Sie uns. Zögern Sie also nicht länger und holen Sie sich die Unterstützung, die ein professionelles Vorgehen ermöglicht. Lassen Sie uns gemeinsam eine Strategie für die Umsetzung Ihres Vorhabens besprechen.


Unsere digitale Kanzlei

Kind sitzt im Chefsessel und bedient ein Mobiltelefon

Bei uns geht Recht vollkommen digital. Für Sie entscheidend: Sie können alles bequem von überall aus organisieren. Besuchen Sie unsere Webseite und buchen Sie ein Video-Meeting mit einem Anwalt. Ihre Unterlagen können Sie einfach uploaden. Selbst erforderliche Unterschriften können Sie bei uns digital leisten.

Erfahrungen & Bewertungen zu JURiAL® Rechtsanwaltskanzlei

kostenlose Ersteinschätzung

Wartebereich der JURiAL® Rechtsanwaltskanzlei

Lassen Sie uns bei einem unverbindlichen Kennenlerngespräch über Ihre spezifischen rechtlichen Anliegen sprechen.


Das könnte Sie auch interessieren:

13. September 2025
Haustiere bereichern das Leben vieler Menschen, doch in Mietwohnungen führt die Tierhaltung häufig zu rechtlichen Konflikten zwischen Mietern und V...
18. April 2025
Beim Kauf eines Hauses kann eine nach dem Einzug bemerkte Geruchs- oder Schadstoffbelastung für Käufer zum bösen Erwachen führen. Doch wann haftet ...
15. Mai 2025
Viele Mietverträge enthalten Klauseln zu sogenannten "Schönheitsreparaturen". Doch was passiert, wenn ein Mieter die Wände in bunten Farben streich...
03. Juni 2025
Wenn Sie als Mieter ausziehen, stellt sich oft die Frage, in welchem Zustand die Wohnung zurückgegeben werden muss. Ein aktuelles Urteil des Landge...
27. Oktober 2025
Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals eine Zwangsvollstreckung wegen einer drohenden Verschlechterung einer Demenzerkrankung gestoppt und damit...
05. September 2025
Vermieter können bei unterbliebenen Schönheitsreparaturen nur dann Geld verlangen, wenn sie zuvor eine konkrete Frist gesetzt haben.
12. Dezember 2025
Wer seine Mietwohnung stark verschmutzen oder verwahrlosen lässt, riskiert die fristlose Kündigung. Das gilt auch dann, wenn noch keine Schäden ent...