Das Ende des Nebenkostenprivilegs


Rechtliche Grundlagen des ehemaligen Nebenkostenprivilegs
Das Nebenkostenprivileg basierte auf der Betriebskostenverordnung in Verbindung mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Diese Regelung gestattete es Vermietern, die laufenden Kosten für Kabelanschlüsse als umlagefähige Betriebskosten zu behandeln. Anders als bei anderen Nebenkosten mussten Mieter diese Kosten auch dann tragen, wenn sie den Kabelanschluss gar nicht nutzten.
Die rechtliche Konstruktion funktionierte über Sammelverträge zwischen Vermietern und Kabelnetzbetreibern. Mieter hatten während der gesamten Mietdauer kein Kündigungsrecht und waren an den vom Vermieter gewählten Anbieter gebunden. Diese Regelung wurde international als ungewöhnlich kritisiert, da sie die freie Anbieterwahl der Verbraucher erheblich einschränkte.
Der Gesetzgeber hatte das Privileg ursprünglich eingeführt, um den Kabelfernsehausbau zu beschleunigen und eine kostengünstige Versorgung durch Sammelverträge zu ermöglichen. In den 1980er Jahren war dies ein wichtiges infrastrukturpolitisches Instrument, als Deutschland noch auf wenige analoge Fernsehprogramme beschränkt war.
Zentrale Gerichtsentscheidungen zum Nebenkostenprivileg
Die wichtigste Entscheidung zum Nebenkostenprivileg erging vom Bundesgerichtshof am 18. November 2021. In diesem Grundsatzurteil bestätigte der BGH die Rechtmäßigkeit des Nebenkostenprivilegs bis zu seiner gesetzlichen Abschaffung am 30. Juni 2024.
Der Sachverhalt betraf die Vivawest GmbH mit etwa 120.000 Wohnungen. Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs hatte argumentiert, dass die Umlagefähigkeit von Kabelgebühren ohne Kündigungsrecht für Mieter gegen das Telekommunikationsgesetz verstoße. Der BGH wies diese Klage jedoch ab und stellte fest, dass Vermieter Mieter für die gesamte Mietvertragsdauer an Kabelanschlüsse binden durften.
Die Richter argumentierten, dass eine Marktregulierungsregelung vorliege. Vermieter seien zwar "Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten", jedoch gelte für Wohnraummietverträge auf unbestimmte Zeit keine Kündigungspflicht nach 24 Monaten.
Weitere relevante BGH-Entscheidungen betrafen die formellen Anforderungen an Betriebskostenabrechnungen. So entschied der BGH, dass ein Verweis auf die Betriebskostenverordnung im Mietvertrag ausreichend sei und dass keine pauschalen Sicherheitszuschläge bei Betriebskostenvorauszahlungen zulässig seien.
Die Abschaffung 2024 und gesetzliche Neuregelungen
Mit dem Telekommunikationsmodernisierungsgesetz, das am 1. Dezember 2021 in Kraft trat, leitete der Gesetzgeber das Ende des Nebenkostenprivilegs ein. Nach einer Übergangsfrist von zweieinhalb Jahren wurde die Umlagefähigkeit von Kabelanschlusskosten zum 1. Juli 2024 vollständig abgeschafft.
Die Übergangsregelung sah vor, dass für Altanlagen vor dem 1. Dezember 2021 nur noch Betriebsstrom und Prüfungskosten umlagefähig blieben, während Nutzungsentgelte und Kabelgebühren bereits zum 30. Juni 2024 wegfielen. Für Neuanlagen ab dem 1. Dezember 2021 entfiel das Nebenkostenprivileg von Anfang an vollständig.
Vermieter erhielten ein gesetzliches Sonderkündigungsrecht für ihre Sammelverträge zum 1. Juli 2024. Dies sollte einen geordneten Übergang zu individuellen Vertragsbeziehungen ermöglichen.
Als Kompensation führte der Gesetzgeber neue Umlagemöglichkeiten für Glasfaserbereitstellungsentgelte ein. Vermieter können nun maximal 60 Euro pro Jahr und Wohnung für Glasfaseranschlüsse umlegen, begrenzt auf einen Zeitraum von fünf bis neun Jahren.
Praktische Auswirkungen für Mieter und Vermieter
Die Abschaffung des Nebenkostenprivilegs hat unterschiedliche Auswirkungen für die beiden Vertragsparteien. Mieter erhalten erstmals freie Wahlmöglichkeiten bei ihrer Fernseh- und Internetversorgung, müssen aber auch höhere Kosten und mehr Verwaltungsaufwand in Kauf nehmen.
Für Mieter entstehen folgende Vorteile: Sie können frei zwischen verschiedenen Anbietern und Empfangsarten wählen (Kabel, Satellit, Internet-TV, DVB-T2), erhalten vollständige Kostentransparenz und müssen nicht mehr für ungenutzte Kabelanschlüsse zahlen. Nachteile sind hingegen: Einzelverträge sind oft teurer als die bisherigen Sammelverträge (um etwa 8-10 Euro pro Monat), es entsteht Verwaltungsaufwand, und Bürgergeld-Empfänger müssen die Kosten nun aus dem Regelsatz statt aus den Kosten der Unterkunft finanzieren.
Vermieter verlieren eine Einnahmequelle und müssen ihre Abrechnungssysteme anpassen. Gleichzeitig eröffnen sich neue Geschäftsmodelle wie Versorgungsvereinbarungen, separate Kabelverträge mit maximal 24 Monaten Laufzeit oder die Integration in die Grundmiete mit Zustimmung der Mieter.
Besondere Probleme entstehen in Eigentumswohnungen: Wenn Eigentümergemeinschaften ihre Sammelverträge nicht rechtzeitig gekündigt haben, laufen diese weiter. Die Eigentümer tragen die Kosten über das Hausgeld, dürfen sie aber nicht mehr auf Mieter umlegen – eine doppelte finanzielle Belastung.
Häufige Streitpunkte und praktische Probleme
In der Praxis zeigen sich bereits verschiedene Konfliktfelder. Bei den Betriebskostenabrechnungen für 2024 dürfen Kabelkosten nur für die ersten sechs Monate berechnet werden. Viele Vermieter und Hausverwaltungen haben dies noch nicht korrekt umgesetzt.
Typische Vermieter-Fehler umfassen die Fortsetzung der Umlage nach Juli 2024, automatische Vertragsfortsetzungen ohne gültige Mieter-Zustimmung und Vertragslaufzeiten über 24 Monate hinaus. Mieter machen hingegen häufig den Fehler, Schreiben zu ignorieren (was als Zustimmung gewertet werden kann), übereilte Einzelverträge ohne Preisvergleich abzuschließen oder Kündigungsfristen zu versäumen.
Rechtlich besonders problematisch ist die Situation der "Schwarznutzung": Wenn bestehende Kabelinfrastruktur ohne gültigen Vertrag genutzt wird, entstehen rechtliche Risiken für beide Seiten. Mieter sollten daher schnellstmöglich klare vertragliche Verhältnisse schaffen.
Was bedeutet das für Sie? Praktische Handlungsempfehlungen
Für Mieter bedeutet die Abschaffung des Nebenkostenprivilegs mehr Eigenverantwortung. Prüfen Sie zunächst Ihre Betriebskostenabrechnung 2024 sorgfältig – Kabelkosten dürfen nur bis zum 30. Juni 2024 abgerechnet werden. Fordern Sie ab Juli 2024 eine automatische Reduzierung der Vorauszahlungen.
Wenn Ihr Vermieter neue Vertragsmodelle anbietet, vergleichen Sie unbedingt die Preise mit anderen Anbietern am Markt. Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen und unterschreiben Sie nur schriftliche Vereinbarungen. Beachten Sie die maximale Vertragslaufzeit von 24 Monaten mit einmonatiger Kündigungsfrist.
Bei Inklusivmieten mit bereits integrierten Kabelkosten haben Sie nach 24 Monaten Mietdauer ein Kündigungsrecht mit einmonatiger Frist. Die Miete muss dann um die ursprünglich vereinbarten Kabelkosten reduziert werden.
Für Vermieter empfiehlt sich eine proaktive Kommunikationsstrategie. Informieren Sie Ihre Mieter rechtzeitig schriftlich über die Änderungen und bieten Sie verschiedene Optionen gleichwertig an. Entwickeln Sie rechtssichere Vertragsmodelle für Versorgungsvereinbarungen oder separate Kabelverträge.
Passen Sie Ihre Abrechnungssoftware für die neuen Regelungen an und dokumentieren Sie alle Kommunikation schriftlich. Bei Unsicherheiten sollten Sie anwaltliche Beratung einholen, um rechtliche Risiken zu vermeiden.
Beide Parteien sollten bei Streitigkeiten zunächst das Gespräch suchen. Mietervereine und Verbraucherzentralen bieten kostenlose Beratung. Als Alternative zu Kabel-TV sollten Sie auch moderne Lösungen wie Glasfaseranschlüsse oder Internet-TV in Betracht ziehen.
Die Abschaffung des Nebenkostenprivilegs markiert einen wichtigen Schritt zu mehr Verbraucherschutz und Wahlfreiheit im Mietrecht. Mit der richtigen Vorbereitung und Information können beide Seiten von den neuen Regelungen profitieren – Mieter durch mehr Flexibilität, Vermieter durch innovative Geschäftsmodelle jenseits der alten Zwangsstrukturen.
Quellen
- Bundesnetzagentur: Neuregelung Nebenkostenprivileg
- Deutscher Mieterbund: FAQ Ende des Nebenkostenprivilegs
- Verbraucherzentrale: Nebenkostenprivileg - Das bedeutet die Abschaffung für Ihr Kabel-TV
- Haufe Immobilien: BGH Vermieter darf Kabelanschluss-Kosten (noch) umlegen
- Wikipedia: Nebenkostenprivileg
- Jurawelt: Das Nebenkostenprivileg und seine Abschaffung
- TeleSpiegel: Nebenkostenprivileg BGH-Urteil
- Finanztip: Nebenkostenabrechnung Alle Infos, Pflichten & Fristen
- Connect: Kabelfernsehen Das müssen Mieter nach der Abschaffung wissen
- Matera: Nebenkostenprivileg Einfach erklärt + Neuerungen
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