Auch Vermieter können Verbraucher sein


Der Fall aus Polen
Ein berufstätiges Ehepaar lebte in London und ging dort ganz normalen Jobs nach. Er arbeitete als Polizeibeamter, sie als Schulleiterin. Im Jahr 2008 fassten sie den Entschluss, eine Immobilie in Warschau zu kaufen und diese zu vermieten. Zur Finanzierung nahmen sie bei einer polnischen Bank einen Hypothekenkredit auf, der an den Schweizer Franken gekoppelt war.
Die Mieteinnahmen sollten in erster Linie dazu dienen, die monatlichen Kreditraten zu bezahlen. Das Paar vermietete keine weiteren Immobilien und betrieb auch sonst keine gewerbliche Tätigkeit im Immobilienbereich. Um den Kauf und die Vermietung abzuwickeln, beauftragten sie einen professionellen Immobilienverwalter in Polen.
Nach elf Jahren, im Jahr 2019, hatten sie den Kredit vollständig zurückgezahlt und verkauften die Wohnung. Doch dann erhoben sie Klage gegen die Bank: Sie warfen ihr vor, unfaire Klauseln in den Kreditvertrag eingebaut zu haben, und forderten die Rückzahlung aller geleisteten Raten.
Die zentrale Rechtsfrage
Die entscheidende Frage vor Gericht lautete: Gelten die beiden als Verbraucher oder als Gewerbetreibende? Diese Unterscheidung ist von enormer Bedeutung, denn nur Verbraucher genießen besonderen Schutz vor missbräuchlichen Vertragsklauseln.
Das polnische Gericht war sich unsicher: Einerseits dienten die beiden einem normalen Beruf nach und betrieben keine gewerbliche Immobilienverwaltung. Andererseits wollten sie mit der Vermietung Gewinn erzielen, was typisch für eine Geschäftstätigkeit ist.
Da es sich um EU-Recht handelte, legte das polnische Gericht die Frage dem Europäischen Gerichtshof vor.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs
Der EuGH entschied eindeutig zugunsten der beiden Kreditnehmer und stellte wichtige Grundsätze auf:
Weite Auslegung des Verbraucherbegriffs
"Eine natürliche Person, die einen Hypothekendarlehensvertrag abschließt, um den Kauf einer einzelnen Wohnimmobilie zu finanzieren, die zur entgeltlichen Vermietung bestimmt ist, ist als Verbraucher anzusehen, wenn sie zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann."
Der Gerichtshof betonte, dass der Verbraucherbegriff weit auszulegen ist, um möglichst vielen Menschen den Schutz vor unfairen Klauseln zu gewähren.
Entscheidend ist der Zweck des Handelns
Ob jemand als Verbraucher gilt, hängt davon ab, zu welchem Zweck er einen Vertrag abschließt. Entscheidend ist, ob das Handeln außerhalb der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit erfolgt.
In diesem Fall handelten die beiden nicht als Immobilienhändler oder professionelle Vermieter, sondern verfolgten private Investitionsziele. Der Kauf der Wohnung diente der Steigerung ihres Privatvermögens.
Gewinnerzielungsabsicht schadet nicht
Besonders wichtig: Der bloße Umstand, dass jemand mit einer Immobilie Einnahmen erzielen will, führt nicht dazu, dass er seinen Verbraucherstatus verliert.
Auch die Tatsache, dass die beiden einen professionellen Immobilienverwalter beauftragten, änderte nichts an ihrer Eigenschaft als Verbraucher.
Warum der Verbraucherstatus so wichtig ist
Der Unterschied zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem hat weitreichende Folgen:
Schutz vor unfairen Klauseln
Verbraucher sind besonders geschützt vor missbräuchlichen Vertragsklauseln. Banken können ihnen nicht beliebige Bedingungen aufzwingen. Unfaire Klauseln können unwirksam sein.
Schwächere Verhandlungsposition wird anerkannt
Das Gesetz erkennt an, dass Privatpersonen gegenüber Banken in einer schwächeren Position stehen. Sie haben weniger Fachwissen und geringere Verhandlungsmacht.
Besondere Informationspflichten
Banken müssen Verbraucher umfassender über Risiken und Kosten aufklären als bei Geschäftskunden.
Abgrenzung zur gewerblichen Tätigkeit
Der EuGH machte auch deutlich, wann jemand nicht als Verbraucher gilt:
Professionelle Immobilienhändler
Wer regelmäßig mit Immobilien handelt oder mehrere Objekte vermietet, überschreitet schnell die Grenze zur gewerblichen Tätigkeit.
Gewerbliche Immobilienverwaltung
Bei hauptberuflicher Tätigkeit als Immobilienverwalter oder -makler liegt eindeutig eine gewerbliche Tätigkeit vor.
Einzelfallprüfung erforderlich
Nationale Gerichte müssen alle Umstände des Einzelfalls prüfen, insbesondere:
- Art und Umfang der Immobilientätigkeit
- Verhältnis zur Haupttätigkeit
- Anzahl der verwalteten Objekte
- Professionalität des Vorgehens
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für künftige Immobilienkäufer
Gute Nachrichten: Auch wenn Sie eine Wohnung zur Vermietung kaufen, gelten Sie wahrscheinlich als Verbraucher, solange es sich um eine einzelne Immobilie handelt und Sie keine gewerbliche Immobilientätigkeit betreiben.
Das bedeutet:
- Besserer Schutz vor unfairen Kreditkonditionen
- Recht auf verständliche Aufklärung durch die Bank
- Möglichkeit, missbräuchliche Klauseln anzufechten
Für bestehende Kreditnehmer
Prüfung lohnt sich: Haben Sie bereits einen Immobilienkredit für eine Mietwohnung? Dann sollten Sie Ihren Vertrag auf unfaire Klauseln prüfen lassen. Das Urteil stärkt Ihre Position.
Besonders bei Fremdwährungskrediten, wie im verhandelten Fall, gibt es oft problematische Klauseln.
Für Banken
Klarstellung der Rechtslage: Banken müssen bei der Kreditvergabe für einzelne Mietobjekte die Verbraucherschutzregeln beachten. Die bisherige Praxis, solche Kunden automatisch als Gewerbetreibende zu behandeln, ist nicht haltbar.
Praktische Tipps
Bei der Kreditaufnahme
- Lassen Sie sich alle Kosten und Risiken ausführlich erklären
- Bestehen Sie auf verständliche Formulierungen
- Holen Sie sich bei komplexen Produkten (wie Fremdwährungskrediten) rechtlichen Rat
- Dokumentieren Sie, dass Sie keine gewerbliche Immobilientätigkeit betreiben
Bei bestehenden Verträgen
- Prüfen Sie Ihren Kreditvertrag auf unklare oder unfaire Klauseln
- Bei Problemen: Betonen Sie Ihren Verbraucherstatus
- Suchen Sie sich rechtlichen Beistand, wenn die Bank nicht kooperiert
Grenzen beachten
Das Urteil gilt nur für einzelne Immobilien zur privaten Vermögensbildung. Bei mehreren Objekten oder gewerblicher Tätigkeit kann die Bewertung anders ausfallen.
Europäische Dimension
Dieses Urteil hat Auswirkungen in allen EU-Mitgliedstaaten. Die Grundsätze gelten nicht nur in Polen, sondern überall dort, wo EU-Verbraucherschutzrecht anwendbar ist.
Besonders in Deutschland, wo viele Menschen in Immobilien als Altersvorsorge investieren, schafft das Urteil mehr Rechtssicherheit.
Fazit
Das EuGH-Urteil stärkt die Rechte von Privatpersonen, die Immobilien zur Vermietung erwerben. Der Verbraucherstatus geht nicht allein dadurch verloren, dass jemand mit einer Immobilie Einnahmen erzielen will.
Entscheidend ist, ob das Handeln außerhalb der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit erfolgt. Bei einzelnen Mietobjekten zur privaten Vermögensbildung ist das in der Regel der Fall.
Für Verbraucher bedeutet das besseren Schutz vor unfairen Bankpraktiken. Für Banken bedeutet es, dass sie bei der Kreditvergabe für Mietimmobilien die strengeren Verbraucherschutzregeln beachten müssen.
Bottom Line: Wer als Privatperson eine einzelne Wohnung zur Vermietung kauft, genießt Verbraucherschutz – auch wenn er damit Gewinn erzielen will.
Quelle: Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 24. Oktober 2024, Rs. C-347/23
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