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Wohnungseigentümergemeinschaft: Darf eine Kinderwagen-Garage auf Gemeinschaftseigentum aufgestellt werden?

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In Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) kommt es häufig zu Interessenkonflikten zwischen den einzelnen Eigentümern. Eine kürzlich gefällte Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg gibt Aufschluss darüber, unter welchen Bedingungen eine temporäre Aufstellung einer Kinderwagen-Garage auf Gemeinschaftseigentum zulässig ist.
Frau mit Kind auf dem Arm verlässt ein Mehrfamilienhaus. Im Vordergrund steht ein Kinderwagen.
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Fall: Streit um eine Kinderwagen-Garage

Ein Eigentümerehepaar mit Zwillingen beantragte in einer Eigentümerversammlung die Erlaubnis, eine Kinderwagen-Garage für ihren Doppelkinderwagen auf dem Gemeinschaftseigentum aufzustellen. Als Begründung gaben sie an, dass es sehr schwierig bis unmöglich sei, den Doppelkinderwagen die Treppen hinauf- und hinunterzubefördern.

Die Eigentümergemeinschaft genehmigte das Aufstellen der Kinderwagen-Garage für einen Zeitraum von etwa zwei Jahren. Der ausgewählte Standort befand sich an einer Außenwand des Gebäudes in einer Nische, vor einem Fenster, das zu einer im Kellergeschoss/Souterrain gelegenen Teileigentumseinheit gehörte. Diese Einheit wurde von den Klägern an Dritte verpachtet und teilweise als Restaurant genutzt.

Die Kläger fochten diesen Beschluss an und begründeten dies damit, dass die Kinderwagen-Garage ihre Gewerbefläche erheblich beeinträchtige. Sie argumentierten, die Garage blockiere den Zugang zu ihrer Einheit, verdunkle den Innenraum und erschwere die Belüftung.

Die rechtliche Einordnung: Bauliche Veränderung oder Nutzungsregelung?

Ein zentraler Punkt in der gerichtlichen Auseinandersetzung war die Frage, ob es sich bei der Aufstellung der Kinderwagen-Garage um eine bauliche Veränderung oder lediglich um eine Regelung der Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums handelt.

Das Gericht stellte klar:

Eine bauliche Veränderung setzt eine auf Dauer angelegte Maßnahme an realen Teilen des gemeinschaftlichen Eigentums voraus. Bleibt die bauliche Substanz des im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Gebäudes auf Dauer unangetastet, handelt es sich lediglich um eine des Gebrauchs.

Da die Kinderwagen-Garage nur temporär für einen Zeitraum von etwa zwei Jahren aufgestellt werden sollte und aufgrund ihrer eigenen Schwere auf dem Boden ruht, ohne dass ein Eingriff in die bauliche Substanz erforderlich ist, handelte es sich nach Ansicht des Gerichts um eine Nutzungsregelung und nicht um eine bauliche Veränderung.

Die "goldene Grundregel" bei Nutzungsentscheidungen

Bei der Beurteilung von Beschlüssen über die Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums betonte das Gericht den Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme:

Bei der Beschlussfassung über eine "Benutzung" ist eine umfassende Einzelfallbetrachtung vorzunehmen; die Regelung muss der "goldenen Grundregel" gegenseitiger Rücksichtnahme und sonstigem Recht entsprechen und die Interessen der Betroffenen und der Eigentümer im Übrigen zum schonenden Ausgleich bringen.

Das Gericht sah den Beschluss der Eigentümergemeinschaft als Ausdruck dieser Rücksichtnahme auf die berechtigten Belange der Eltern, die für ihre Kleinkinder einen barrierefreien Abstellplatz für den Doppelkinderwagen benötigten.

Die Abwägung der Interessen

Das Gericht nahm eine umfassende Abwägung der betroffenen Interessen vor:

  1. Interessen der Eltern: Sie benötigten einen barrierefreien Stellplatz für den Doppelkinderwagen ihrer zwei Kleinkinder.
  2. Alternative Standorte: Im Außenbereich standen keine vergleichbaren Flächen zur Verfügung, da auf der Straßenseite und im Gartenbereich Treppen überwunden werden müssten.
  3. Beeinträchtigung der Kläger: Die Auswirkungen auf die Interessen der Kläger wurden als "gerade noch hinnehmbar" bewertet. Die Garage sollte nur an der Wand zum Nachbargebäude stehen und nicht die gesamte Nische vor dem Fenster einnehmen.
  4. Zeitliche Begrenzung: Die Gestattung war auf etwa zwei Jahre befristet, was für das Gericht ein wichtiger Faktor war.
  5. Nutzung des betroffenen Raums: Der durch die mögliche "Verschattung" betroffene Raum war laut Aufteilungsplan als "Leergut-Raum" und nicht als Hauptverkaufs- oder Gastraum bezeichnet.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Amtsgericht Hamburg-St. Georg wies die Klage ab und bestätigte den Beschluss der Eigentümergemeinschaft. Es sah darin eine ausgewogene Lösung, die dem Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme entsprach.

Die temporäre Aufstellung einer Kinderwagen-Garage dient nach Ansicht des Gerichts dem geordneten Zusammenleben aller Wohnungseigentümer. Besonders die zeitliche Begrenzung und die Barrierefreiheit waren entscheidende Faktoren, die für die Zulässigkeit des Beschlusses sprachen.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Die Entscheidung zeigt wichtige Grundsätze für das Zusammenleben in Wohnungseigentümergemeinschaften:

  1. Unterscheidung von baulichen Veränderungen und Nutzungsregelungen: Temporäre Einrichtungen ohne Eingriff in die Bausubstanz sind in der Regel Nutzungsregelungen.
  2. Gegenseitige Rücksichtnahme: Bei Nutzungskonflikten ist eine umfassende Einzelfallbetrachtung erforderlich, die alle Interessen zum Ausgleich bringt.
  3. Bedeutung der zeitlichen Begrenzung: Eine zeitliche Befristung kann einen Eingriff in die Rechte anderer Eigentümer rechtfertigen, wenn dieser dadurch verhältnismäßig bleibt.
  4. Barrierefreiheit als legitimes Interesse: Die Bedürfnisse von Familien mit Kleinkindern können bei der Interessenabwägung besonderes Gewicht haben.
  5. Demokratische Mehrheitsentscheidungen: Gerichte respektieren den Entscheidungsspielraum der Eigentümergemeinschaft, solange die Lösung nach billigem Ermessen vertretbar ist.

Diese Grundsätze lassen sich auf viele ähnlich gelagerte Fälle übertragen, in denen es um die zeitlich begrenzte Nutzung von Gemeinschaftseigentum geht.

Quelle: AG Hamburg-St. Georg, Urteil vom 10.04.2025 - 980b C 16/24 WEG (nicht rechtskräftig)

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