Mitarbeiterwohnungen: Wann liegt Gewerberaummiete vor?
Der Fall: Unternehmen mietet Wohnung für Pflegekraft
Ein Unternehmen aus dem Pflegebereich mietete im März 2021 eine Wohnung an. Der Zweck war eindeutig: Die Räumlichkeiten sollten an eine eigene Mitarbeiterin weitervermietet werden. Im Mietvertrag war ausdrücklich festgehalten, dass die Wohnung von einer namentlich genannten Arbeitnehmerin genutzt werden sollte. Das Unternehmen wollte sich durch dieses Angebot einen Vorteil im hart umkämpften Pflegemarkt verschaffen und qualifiziertes Personal an sich binden.
Die Situation änderte sich, als über die Immobilie eine Zwangsverwaltung angeordnet wurde. Der Zwangsverwalter kündigte das Mietverhältnis mit dem Unternehmen im September 2023 und forderte die Räumung der Wohnung. Das Unternehmen weigerte sich jedoch, die Wohnung herauszugeben, und verwies darauf, dass es sich um ein Wohnraummietverhältnis handle. Bei solchen Verträgen gelten besondere Schutzvorschriften und längere Kündigungsfristen.
Die entscheidende Rechtsfrage
Vor Gericht drehte sich alles um eine zentrale Frage: Handelt es sich bei dem Vertrag um ein Wohnraummietverhältnis oder um ein gewerbliches Mietverhältnis? Diese Unterscheidung ist von enormer praktischer Bedeutung. Wohnraummieter genießen einen besonderen gesetzlichen Schutz mit strengen Kündigungsregelungen. Bei gewerblichen Mietverhältnissen gelten dagegen liberalere Vorschriften.
Das Unternehmen argumentierte, dass die Wohnung ja tatsächlich zu Wohnzwecken genutzt werde, nämlich von der Mitarbeiterin. Deshalb müssten die Schutzvorschriften des Wohnraummietrechts greifen. Der Zwangsverwalter hingegen vertrat die Auffassung, dass allein der Nutzungszweck des Hauptmieters entscheidend sei. Und dieser habe die Wohnung nicht selbst bewohnen wollen, sondern geschäftlich zur Mitarbeiterbindung genutzt.
Die Entscheidung des Gerichts
Das Landgericht Wuppertal gab dem Zwangsverwalter recht und klassifizierte das Mietverhältnis als gewerblich. Die Richter begründeten dies ausführlich: Maßgeblich für die rechtliche Einordnung sei der Nutzungszweck, den der Hauptmieter mit der Anmietung verfolge. Wenn ein Unternehmen eine Wohnung anmiete, um sie an Mitarbeiter weiterzuvermieten, handle es nicht zu Wohnzwecken im rechtlichen Sinne.
Das Gericht stellte klar: Entscheidend ist nicht, dass die Endmieter die Räume zu Wohnzwecken nutzen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Hauptmieter selbst einen gewerblichen Zweck verfolgt. Das Unternehmen habe die Wohnung geschäftsmäßig, auf Dauer ausgerichtet und im eigenen wirtschaftlichen Interesse angemietet. Die Weitervermietung diente dazu, Mitarbeiter zu binden und sich Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmen in der angespannten Personalsituation der Pflegebranche zu verschaffen.
Diese mittelbare wirtschaftliche Förderung des eigenen Unternehmens reiche aus, um von einem gewerblichen Handeln zu sprechen. Eine unmittelbare Gewinnerzielungsabsicht durch die Weitervermietung selbst sei nicht erforderlich.
Folgen für die Kündigung
Da es sich um ein gewerbliches Mietverhältnis handelte, konnte der Zwangsverwalter das Verhältnis ordentlich kündigen. Bei Geschäftsraummiete gilt eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres. Der Vermieter muss die Kündigung spätestens am dritten Werktag eines Quartals aussprechen, damit sie zum Ende des folgenden Quartals wirksam wird.
Im vorliegenden Fall hatte der Zwangsverwalter die Kündigung im September 2023 ausgesprochen. Allerdings gab es eine Besonderheit: Die Vertragsparteien hatten eine Kündigungssperrfrist bis Januar 2024 vereinbart. Das Gericht urteilte, dass die vor Ablauf dieser Frist ausgesprochene Kündigung trotzdem wirksam sei. Sie entfalte ihre Wirkung einfach erst nach Ablauf der Sperrfrist zum nächstmöglichen Termin, also zum 30. Juni 2024.
Das Gericht betonte zudem einen wichtigen Grundsatz: Eine Kündigung ohne Angabe eines konkreten Beendigungstermins ist nicht unwirksam. Sie wirkt automatisch zum nächstzulässigen Termin. Dies gelte selbst dann, wenn der Kündigende sich auf mehrere Kündigungsgründe stützt, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten greifen würden. Der erkennbare Wille sei dann auf eine schnellstmögliche Beendigung gerichtet.
Rechtlicher Eintritt in das Untermietverhältnis
Eine weitere interessante Wendung ergab sich aus der Tatsache, dass zwischen dem Unternehmen und der Mitarbeiterin ein Untermietverhältnis bestand. Nach der Kündigung des Hauptmietvertrags trat der Vermieter automatisch in die Rechte und Pflichten dieses Untermietverhältnisses ein. Die Mitarbeiterin leitete ihren Besitz nun direkt vom Eigentümer ab, nicht mehr vom Unternehmen.
Dies hatte zur Folge, dass das Unternehmen die Wohnung gar nicht mehr herausgeben konnte. Die Herausgabe war unmöglich, da nicht das Unternehmen, sondern die Mitarbeiterin in der Wohnung lebte und diese nun ein direktes Mietverhältnis zum Vermieter hatte. Der Zwangsverwalter hätte gesondert gegenüber der Mitarbeiterin kündigen müssen, was er nicht getan hatte.
Deshalb wies das Gericht den Räumungsanspruch ab, stellte aber fest, dass das Hauptmietverhältnis wirksam beendet worden war.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Dieses Urteil hat erhebliche praktische Bedeutung für Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Wohnraum zur Verfügung stellen. Wer als Arbeitgeber Wohnungen anmietet, um Fachkräfte zu gewinnen oder zu halten, sollte sich bewusst sein: Ein solches Mietverhältnis wird rechtlich als gewerblich eingestuft.
Das bedeutet konkret: Es gelten nicht die strengen Schutzvorschriften des Wohnraummietrechts. Der Vermieter kann leichter und mit kürzeren Fristen kündigen. Der besondere Kündigungsschutz, den private Wohnraummieter genießen, greift nicht. Auch die Regelungen zur Mietpreisbremse oder zu Modernisierungsmieterhöhungen finden keine Anwendung.
Für Vermieter kann dies von Vorteil sein, wenn sie flexibler über ihre Immobilien verfügen möchten. Für Unternehmen hingegen bedeutet es eine geringere Planungssicherheit. Sie müssen damit rechnen, dass das Mietverhältnis mit verhältnismäßig kurzer Frist beendet werden kann. Dies kann die Personalbindungsstrategie beeinträchtigen, wenn plötzlich Wohnraum für zugesagte Mitarbeiterwohnungen fehlt.
Besonders wichtig ist die Erkenntnis, dass es nicht auf die tatsächliche Nutzung ankommt, sondern auf den Zweck, den der Hauptmieter verfolgt. Selbst wenn die Wohnung faktisch zu Wohnzwecken genutzt wird, kann der Vertrag gewerblich sein, wenn der Mieter damit geschäftliche Interessen verfolgt.
Unternehmen sollten daher bei der Anmietung von Mitarbeiterwohnungen genau prüfen, welche Vertragsgestaltung für sie am günstigsten ist. Möglicherweise ist es sinnvoller, den Mitarbeitern bei der Wohnungssuche zu helfen und diese die Verträge direkt als Privatpersonen abschließen zu lassen. Alternativ können klare vertragliche Regelungen getroffen werden, die auch bei einer gewerblichen Einstufung ausreichende Sicherheit bieten.
Für Vermieter wiederum ist wichtig zu wissen: Auch bei einer wirksamen Kündigung des Hauptmietvertrags können sie nicht automatisch die Räumung verlangen, wenn ein Untermietverhältnis besteht. In diesem Fall müssen sie auch gegenüber dem Untermieter die erforderlichen rechtlichen Schritte einleiten.
Quelle: Landgericht Wuppertal, Urteil vom 27.11.2024, Az. 8 S 24/24
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