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Belegeinsicht bei Gewerberaummiete: Papier schlägt Digital

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Seit Januar 2025 dürfen Wohnraumvermieter Nebenkostenbelege digital bereitstellen. Für Gewerberaummieter gilt diese Erleichterung jedoch nicht. Das hat nun das Oberlandesgericht Schleswig klargestellt und damit eine Zweiklassengesellschaft im Mietrecht zementiert.
Eine Frau und ein Mann stöbern in einem modernen Büro Geschäftsunterlagen
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Digitalisierung bleibt auf halber Strecke stehen

Die Bundesregierung wollte mit dem Vierten Bürokratieentlastungsgesetz eigentlich für weniger Papierkram sorgen. Seit dem ersten Januar 2025 regelt der neue Paragraf 556 Absatz 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, dass Vermieter von Wohnraum ihren Mietern die Belege zur Nebenkostenabrechnung auch elektronisch zur Verfügung stellen dürfen. Das sollte beide Seiten entlasten und die längst überfällige Digitalisierung im Immobiliensektor voranbringen.

Doch diese Neuerung gilt ausschließlich für Wohnraummieter. Wer Gewerberäume vermietet oder mietet, schaut in die Röhre. Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, die neue Regelung auch auf gewerbliche Mietverhältnisse zu erstrecken. Das Oberlandesgericht Schleswig bestätigte diese Rechtslage in einer aktuellen Entscheidung und stellte klar: Eine Anwendung der neuen Vorschrift auf Gewerberaummiete kommt nicht in Betracht, auch nicht im Wege der Analogie.

Der Fall vor dem Oberlandesgericht Schleswig

Die Ausgangslage

Ein gewerblicher Mieter verlangte von seinem Vermieter Einsicht in die Belege zur Nebenkostenabrechnung. Der Vermieter hatte die ursprünglich in Papierform erhaltenen Rechnungen eingescannt und wollte dem Mieter nur die digitalen Kopien zur Verfügung stellen. Der Mieter bestand jedoch auf der Vorlage der Papier-Originale und berief sich darauf, dass er ein Recht auf Einsicht in die Originalbelege habe.

Der Streitpunkt

Die zentrale Frage lautete: Darf der Vermieter dem Mieter die Belege in eingescannter Form vorlegen, obwohl er sie selbst ursprünglich als Papier-Dokumente erhalten hat? Oder muss er die Papier-Originale bereithalten und vorlegen, auch wenn diese längst digitalisiert und die Originale vernichtet wurden?

Das Gericht entscheidet: Papier bleibt Papier

Das Oberlandesgericht Schleswig machte eine klare Ansage: Die neue Regelung zur digitalen Belegeinsicht gilt nicht für Gewerberaummiete. Dort bleibt es bei den bisherigen Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof bereits in einer Entscheidung vom Dezember 2021 aufgestellt hatte.

Die Kernaussage der Rechtsprechung

Der Vermieter muss die Belege grundsätzlich so vorlegen, wie er sie selbst erhalten hat. Hat er von seinem Stromlieferanten eine Rechnung als PDF per E-Mail bekommen, genügt die digitale Vorlage. Wurde ihm jedoch eine Rechnung in Papierform zugestellt, die er anschließend einscannte und das Original vernichtete, hat der Mieter Anspruch auf die Vorlage der Papier-Originale. Da diese nicht mehr existieren, wird die Sache kompliziert.

Die Begründung des Gerichts

Das Gericht argumentierte juristisch sauber, aber aus Sicht der Digitalisierung geradezu anachronistisch. Es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke, die eine analoge Anwendung der Wohnraum-Regelung rechtfertigen würde. Der Gesetzgeber habe bewusst einen Unterschied zwischen Wohnraum und Gewerberaum gemacht. Er wollte den Vertragsparteien bei gewerblichen Mietverträgen die Möglichkeit eigener vertraglicher Regelungen offenhalten.

Selbst wenn man eine Analogie annehmen würde, so das Gericht weiter, würde diese mangels Übergangsregelung nur für die Zukunft gelten und nicht für Sachverhalte vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes. Außerdem sei der Gewerberaummieter weniger schutzwürdig als der Wohnraummieter, da er in der Regel über mehr Verhandlungsmacht verfüge und professioneller agiere.

Was diese Entscheidung praktisch bedeutet

Für Vermieter von Gewerberäumen

Die Entscheidung schafft für Gewerbevermieter erhebliche praktische Probleme. Wer sein Büro digital organisiert hat und eingehende Rechnungen routinemäßig einscannt und die Papieroriginale vernichtet, riskiert Ärger mit seinen Mietern. Denn diese können sich auf den Standpunkt stellen, dass ihnen die Papier-Originale vorzulegen sind. Existieren diese nicht mehr, kann der Mieter die Zahlung der Nebenkostenabrechnung unter Umständen verweigern oder zumindest zurückbehalten.

Vermieter müssen also entweder alle Papierbelege physisch aufbewahren oder sich vertraglich absichern. Letzteres ist durch eine Klausel im Mietvertrag möglich, die regelt, dass Belege auch digital zur Verfügung gestellt werden dürfen. Solche Klauseln sind bei gewerblichen Mietverträgen in der Regel wirksam, da die strengen Vorgaben für Allgemeine Geschäftsbedingungen im Wohnraummietrecht hier nicht gelten.

Für Mieter von Gewerberäumen

Gewerbliche Mieter haben nach wie vor das Recht, Einsicht in die Originalbelege zu verlangen. Sie müssen dieses Recht aber aktiv geltend machen, indem sie beim Vermieter die Belegeinsicht anfordern. Eine automatische Übersendung der Belege zusammen mit der Abrechnung ist nicht vorgeschrieben.

Der Mieter kann grundsätzlich auf der Vorlage der Originalbelege bestehen und muss dafür kein besonderes Interesse darlegen. Allerdings gilt: Wenn der Vermieter die Belege ausschließlich in digitaler Form erhalten hat, etwa als PDF vom Energieversorger, dann sind diese digitalen Dokumente die Originale. In diesem Fall kann der Mieter keine Papierversion verlangen.

Die Krux mit den gescannten Dokumenten

Besonders problematisch wird es bei gescannten Dokumenten, deren Papier-Original nicht mehr existiert. Hier bewegt sich das Recht in einer Grauzone. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom Dezember 2021 offengelassen, ob die Vernichtung der Originale zur Unmöglichkeit der Vorlage führt.

Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben kann es jedoch Ausnahmefälle geben, in denen der Vermieter nur Kopien oder Scan-Produkte vorlegen muss. Dies könnte beispielsweise dann gelten, wenn der Vermieter nachweislich und systematisch ein papierloses Büro führt und dies einer Verkehrssitte entspricht. Allerdings trägt der Vermieter das Risiko der korrekten Übertragung vom Original auf das Scan-Dokument.

Rechtsfolgen bei verweigerter Belegeinsicht

Verweigert der Vermieter die Belegeinsicht, hat der Mieter ein Zurückbehaltungsrecht. Er kann die Zahlung der Nebenkostennachforderung verweigern, solange ihm die Überprüfung der Abrechnung nicht ermöglicht wird. Dieses Zurückbehaltungsrecht gilt auch gegenüber laufenden Vorauszahlungen und gegenüber Ansprüchen auf Zahlung erhöhter Vorschüsse.

Zudem kann der Mieter seinen Anspruch auf Vorlage der Belege gerichtlich durchsetzen. Eine Zahlungsklage des Vermieters wäre in diesem Fall unbegründet, da die Rechtsausübung gegen Treu und Glauben verstoßen würde.

Praktische Hinweise für den Alltag

Die Vor-Ort-Einsichtnahme als Regelfall

Grundsätzlich gilt das Prinzip der Vor-Ort-Einsichtnahme. Der Mieter hat keinen Anspruch auf Übersendung von Kopien, sondern muss die Belege in den Geschäftsräumen des Vermieters oder Verwalters einsehen. Eine Ausnahme besteht nur, wenn die dortige Einsichtnahme dem Mieter nicht zumutbar ist, etwa bei großer räumlicher Entfernung.

Bei der Vor-Ort-Einsicht darf der Mieter die Belege mit technischen Hilfsmitteln fotografieren oder einscannen, solange keine Gefahr der Beschädigung besteht. Die Anfertigung von Kopien muss der Vermieter nach Treu und Glauben ermöglichen.

Digitale Datenräume als moderne Lösung

Der Zugang zu einem entsprechend strukturierten digitalen Datenraum erfüllt die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belegeinsicht, sofern die digitale Vorlage überhaupt zulässig ist. Webbasierte Lösungen, bei denen der Mieter per Zugangscode die Belege auf einer Internetseite abrufen kann, sind grundsätzlich zulässig.

Allerdings bleibt auch hier das Risiko bestehen, dass der Mieter bei ursprünglich in Papier erhaltenen Belegen auf der Vorlage der Papier-Originale beharren kann. Dieses Risiko lässt sich nur durch vertragliche Regelungen ausschließen.

Die Bedeutung vertraglicher Vereinbarungen

Gewerbliche Vermieter sollten vorsorglich eine Klausel in den Mietvertrag aufnehmen, die regelt, dass Belege auch in digitaler Form zur Verfügung gestellt werden dürfen. Eine solche Klausel könnte etwa lauten: "Der Vermieter ist berechtigt, die Belege zur Nebenkostenabrechnung in elektronischer Form bereitzustellen, insbesondere durch Zurverfügungstellung in einem passwortgeschützten Online-Bereich oder per E-Mail."

Solche Klauseln sind bei gewerblichen Mietverträgen in der Regel wirksam. Da die neue Vorschrift für Wohnraummiete nicht auf Gewerberaum anwendbar ist, kann sie auch kein Maßstab für eine Benachteiligungsprüfung nach den Regeln über Allgemeine Geschäftsbedingungen sein.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Für Gewerbevermieter

Als Vermieter von Gewerberäumen sollten Sie sich nicht darauf verlassen, dass Sie Belege einfach digital bereitstellen können. Ohne vertragliche Regelung bleiben Sie in der Pflicht, Papier-Originale vorzulegen, wenn Sie diese selbst in Papierform erhalten haben. Das bedeutet: Entweder Sie bewahren die Papierbelege auf, oder Sie sichern sich vertraglich ab.

Die vernünftigste Lösung ist eine klare Vertragsklausel, die die digitale Belegeinsicht regelt. Diese sollten Sie bereits bei Vertragsabschluss vereinbaren. Bei bestehenden Mietverträgen können Sie eine entsprechende Ergänzung mit dem Mieter aushandeln.

Für Gewerbemieter

Als Mieter sollten Sie Ihr Recht auf Belegeinsicht kennen und nutzen. Fordern Sie die Einsicht aktiv an, wenn Sie die Nebenkostenabrechnung überprüfen möchten. Sie haben grundsätzlich Anspruch auf Einsicht in die Originalbelege.

Beachten Sie aber: Wenn Sie die Möglichkeit zur Belegeinsicht hatten und diese nicht genutzt haben, können Sie später im Prozess nicht mehr pauschal die Richtigkeit der Abrechnung bestreiten. Ihre Einwendungen müssen dann konkret sein und sich auf die eingesehenen Belege stützen.

Die Kosten der Belegeinsicht

Hat der Mieter ausnahmsweise Anspruch auf Übersendung von Kopien, etwa wegen großer Entfernung, darf der Vermieter die Versendung von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig machen. Üblich sind Beträge, die sich an den Preisen von Kopierläden orientieren.

Bei gewerblichen Mietverträgen kann man diesen Streitpunkt von vornherein durch eine Vertragsklausel regeln, die pauschale Kopier- und Verwaltungskosten festlegt, wenn der Mieter die Zusendung der Belege wünscht.

Ausblick: Digitalisierung auf der Bremsspur

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig ist juristisch korrekt, wirkt aber wie aus der Zeit gefallen. Während der Gesetzgeber mit dem Bürokratieentlastungsgesetz eigentlich die Digitalisierung fördern wollte, hat er durch die halbherzige Umsetzung das Gegenteil erreicht. Gewerbliche Vermieter müssen weiterhin Papierberge aufbewahren oder riskieren Rechtsstreitigkeiten.

Besonders paradox erscheint diese Rechtslage vor dem Hintergrund, dass Gewerberaummieter oft professioneller agieren als Wohnraummieter und in der Regel selbst digital arbeiten. Gerade in diesem Bereich wäre eine digitale Abwicklung besonders sinnvoll und effizient.

Solange der Gesetzgeber hier nicht nachbessert, bleibt gewerblichen Vermietern nur der Weg über vertragliche Vereinbarungen. Wer ein papierloses Büro führen und dennoch rechtssicher agieren möchte, sollte von Anfang an klare vertragliche Regelungen zur digitalen Belegeinsicht treffen. Nur so lässt sich die Diskrepanz zwischen gelebter digitaler Praxis und dem weiterhin am Papier hängenden Recht überbrücken.


Quelle:

Neuhaus, Kai-Jochen: Nebenkosten-Belegeinsicht im gewerblichen Mietverhältnis. In: IMR (Immobilien- & Mietrecht) 2025, 1009 (nur online). Aufsatz veröffentlicht am 08.10.2025. Behandelt insbesondere die Entscheidung des OLG Schleswig vom 18.07.2025 (Az. 12 U 73/24, IMRRS 2025, 1216) sowie die Grundsatzentscheidung des BGH vom 15.12.2021 (Az. VIII ZR 66/20, IMRRS 2022, 0100).

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