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Wer zahlt für anfängliche Baumängel in der Wohnungseigentümergemeinschaft?

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Müssen Wohnungseigentümer auch für ursprüngliche Baufehler an ihren Fenstern aufkommen? Der Bundesgerichtshof hat diese wichtige Frage nun eindeutig beantwortet.
eingerüstete Hausfassade eines Mehrfamilienhauses
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Fall: Mangelhafte Fenster sorgen für Streit

In einer Wohnungseigentümergemeinschaft führten anfängliche Baumängel zu einem teuren Rechtsstreit. Die Anlage war von Beginn an mangelhaft errichtet worden, besonders die Fenster wiesen erhebliche Mängel auf. Diese ursprünglichen Baufehler sollten nun endlich behoben werden.

Die Gemeinschaftsordnung aus dem Jahr 2004 enthielt eine besondere Regelung zur Kostentragung. Demnach sollte jeder Wohnungseigentümer die Kosten für die Instandhaltung und Instandsetzung bestimmter Gebäudeteile selbst tragen. Dies galt ausdrücklich für Fensterstöcke, Fensterrahmen und Fensterscheiben - unabhängig davon, ob diese zum Sonder- oder Gemeinschaftseigentum gehörten.

Als die Sanierung der mangelhaften Fenster anstand, stellte sich die entscheidende Frage: Wer muss für die Beseitigung der ursprünglichen Baufehler zahlen?

Die umstrittene Sonderumlage

Im Juli 2021 beschloss die Eigentümerversammlung, die bereits seit Errichtung vorhandenen Mängel am Gemeinschaftseigentum zu beseitigen. Dazu gehörten unter anderem die defekten Fenster. Zur Finanzierung dieser umfangreichen Sanierungsmaßnahmen sollte eine Sonderumlage erhoben werden.

Die Höhe der geplanten Sonderumlage war beträchtlich: Insgesamt sollten alle Eigentümer zusammen eine Summe aufbringen. Diese Kosten sollten nach den üblichen Miteigentumsanteilen verteilt werden - also nicht nach der besonderen Regelung der Gemeinschaftsordnung für bestimmte Gebäudeteile.

Eine Wohnungseigentümerin widersprach diesem Vorgehen entschieden. Ihrer Ansicht nach griff hier die besondere Kostenregelung der Gemeinschaftsordnung. Danach müsste jeder Eigentümer die Sanierungskosten für "seine" Fenster selbst tragen, statt dass alle gemeinsam zahlen.

Rechtliche Streitpunkte: Zwei verschiedene Ansichten

Die rechtliche Auseinandersetzung drehte sich um die Auslegung der Gemeinschaftsordnung. Dabei standen sich zwei grundsätzlich verschiedene Auffassungen gegenüber.

Die erste Ansicht besagte, dass Vereinbarungen über Instandhaltung und Instandsetzung nur laufende Reparaturen und später auftretende Schäden umfassen. Anfängliche Baumängel seien davon nicht erfasst, da diese bereits bei der Errichtung vorhanden waren. Bei solchen ursprünglichen Fehlern hätten die Wohnungseigentümer keine Einflussmöglichkeit gehabt.

Die Gegenansicht argumentierte, dass der Begriff "Instandsetzung" auch die erstmalige ordnungsgemäße Herstellung umfasse. Eine Unterscheidung zwischen ursprünglichen und später entstandenen Mängeln würde zu erheblichen praktischen Problemen führen.

Der Instanzenzug: Wechselnde Entscheidungen

Das Amtsgericht gab zunächst der Wohnungseigentümergemeinschaft recht und wies die Klage der Eigentümerin ab. Die Richter sahen die Sonderumlage nach Miteigentumsanteilen als rechtmäßig an.

Das Landgericht sah die Sache jedoch völlig anders. In der Berufungsinstanz gaben die Richter der klagenden Eigentümerin recht. Sie argumentierten, dass die besondere Kostenregelung der Gemeinschaftsordnung auch für anfängliche Baumängel gelte. Die Erhebung der Sonderumlage nach Miteigentumsanteilen verstoße daher gegen die ordnungsgemäße Verwaltung.

Die BGH-Entscheidung: Klarheit für die Praxis

Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil des Landgerichts und wies die Revision der Wohnungseigentümergemeinschaft zurück. Die Karlsruher Richter schufen damit wichtige Rechtssicherheit für ähnliche Fälle.

Das Gericht stellte eine klare Regel auf: Eine Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung über die Kostentragung für Instandhaltung und Instandsetzung umfasst im Zweifel auch die Kosten für die Beseitigung anfänglicher Mängel.

Begründung des höchsten Zivilgerichts

Die BGH-Richter begründeten ihre Entscheidung mit mehreren überzeugenden Argumenten. Zunächst sei der Wortlaut der Gemeinschaftsordnung eindeutig. Der Begriff "Instandsetzung" umfasse nach gefestigter Rechtsprechung auch die Behebung ursprünglicher Baufehler.

Besonders wichtig war für das Gericht der Sinn und Zweck der Kostenregelung. Die Vereinbarung solle eine klare Kostentrennung schaffen. Der jeweilige Wohnungseigentümer profitiere von bestimmten Gebäudeteilen und solle deshalb auch die Kosten dafür tragen.

Eine andere Auslegung würde zu erheblichen praktischen Problemen führen. Bei jeder Sanierung müsste zunächst aufwändig untersucht werden, ob die Ursache des Mangels von Anfang an bestand oder erst später entstanden ist. Dies würde zu Zeitverzögerungen und kostspieligen Abgrenzungsschwierigkeiten führen.

Praktische Erwägungen sprechen für diese Lösung

Das Gericht verwies auch auf die praktischen Schwierigkeiten bei der Ursachenermittlung. Viele Baumängel haben ihre Ursache in Fehlern bei der ursprünglichen Errichtung. Treten Schäden erst Jahre später auf, ist oft unklar, ob die Ursache von Anfang an bestand.

Zudem können sich auch ursprüngliche Mängel durch die Art der Nutzung verstärken oder überhaupt erst so erheblich werden, dass eine Sanierung notwendig wird. Eine genaue Abgrenzung zwischen verschiedenen Ursachen wäre meist unmöglich oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu leisten.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Diese Entscheidung hat weitreichende Auswirkungen für alle Wohnungseigentümergemeinschaften. Wenn Ihre Gemeinschaftsordnung eine ähnliche Kostenregelung enthält, sollten Sie folgende Punkte beachten:

Prüfen Sie Ihre Gemeinschaftsordnung genau. Enthält sie Regelungen, wonach bestimmte Eigentümer die Kosten für bestimmte Gebäudeteile tragen müssen? Dies kann Fenster, Balkone, Terrassen oder andere Bauteile betreffen, die räumlich dem jeweiligen Sondereigentum zugeordnet sind.

Berücksichtigen Sie anfängliche Mängel bei der Kostenplanung. Nach dieser Rechtsprechung müssen auch ursprüngliche Baufehler vom jeweiligen Eigentümer getragen werden, wenn die Gemeinschaftsordnung eine entsprechende Kostenregelung vorsieht.

Beachten Sie die Konsequenzen beim Immobilienkauf. Kaufinteressenten sollten die Gemeinschaftsordnung vor dem Erwerb einer Eigentumswohnung sorgfältig prüfen. Solche Kostenregelungen können erhebliche finanzielle Auswirkungen haben, besonders bei älteren Gebäuden mit möglichen Baumängeln.

Dokumentieren Sie den Zustand der Anlage. Eine genaue Dokumentation des Gebäudezustands kann helfen, spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Dies ist besonders wichtig bei Neubauten oder nach größeren Sanierungen.

Ausblick: Mehr Rechtssicherheit für Eigentümergemeinschaften

Das BGH-Urteil schafft wichtige Rechtssicherheit in einer bisher umstrittenen Frage. Wohnungseigentümergemeinschaften können nun besser planen und müssen nicht mehr befürchten, dass Kostenregelungen in der Gemeinschaftsordnung unwirksam sind.

Die Entscheidung macht deutlich, dass Vereinbarungen in der Gemeinschaftsordnung grundsätzlich weitreichend ausgelegt werden. Dies gilt besonders dann, wenn eine klare Kostentrennung angestrebt wird und praktische Abgrenzungsschwierigkeiten vermieden werden sollen.

Für die Praxis bedeutet dies: Wohnungseigentümergemeinschaften sollten ihre Beschlüsse über Sonderumlagen sorgfältig an der jeweiligen Gemeinschaftsordnung ausrichten. Eine falsche Anwendung des Kostenverteilungsschlüssels kann zur Unwirksamkeit des gesamten Beschlusses führen.

Die Rechtsprechung zeigt auch, wie wichtig eine durchdachte Gestaltung der Gemeinschaftsordnung ist. Bei der Errichtung neuer Wohnungseigentümergemeinschaften sollten die Kostenregelungen präzise und praktikabel formuliert werden.


Quelle: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. Mai 2025, Aktenzeichen V ZR 36/24

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