Schriftform bei Mietverträgen: Wann Nachträge gültig bleiben
Der Fall: Streit um Gewerberaummiete nach Eigentümerwechsel
Eine Bäckerei mietete seit 2021 Gewerberäume für die Produktion und den Verkauf von Backwaren. Der ursprüngliche Mietvertrag war bis Ende 2026 befristet und enthielt alle wesentlichen Bedingungen in schriftlicher Form. Als das Gebäude 2022 verkauft wurde, entstanden mehrere Nachträge zum ursprünglichen Mietvertrag.
Der neue Eigentümer übernahm das Mietverhältnis kraft Gesetzes. Im Oktober 2022 vereinbarten alle Beteiligten zunächst eine neue Bankverbindung für die Mietzahlungen. Später, im März 2023, einigten sich die Parteien auf eine Mietreduzierung um 250 Euro monatlich.
Der Mieter sah in diesen Nachträgen einen Verstoß gegen die gesetzliche Schriftform und kündigte im Juni 2023 das Mietverhältnis ordentlich zum Jahresende. Ab Januar 2024 stellte er die Mietzahlungen vollständig ein. Die Vermieter kündigten daraufhin ihrerseits fristlos wegen Zahlungsverzugs.
Die rechtlichen Streitpunkte im Detail
Schriftformerfordernis nach § 550 BGB
Das deutsche Mietrecht verlangt bei Mietverträgen über Grundstücke, die länger als ein Jahr laufen, grundsätzlich die Schriftform. Diese Regelung soll spätere Grundstückserwerber schützen, die kraft Gesetzes in bestehende Mietverträge eintreten.
Der Mieter argumentierte, dass die verschiedenen Nachträge diese Schriftform verletzten. Seiner Ansicht nach seien die Dokumente nicht ausreichend miteinander verbunden gewesen und es fehle eine klare Bezugnahme auf den ursprünglichen Vertrag.
Körperliche versus gedankliche Verbindung
Ein zentraler Punkt war die Frage, ob Vertragsergänzungen körperlich mit dem Hauptvertrag verbunden sein müssen. Die Rechtsprechung hat hier in den letzten Jahren eine "Auflockerung" vollzogen. Es genügt mittlerweile eine eindeutige gedankliche Verbindung zwischen den Dokumenten.
Der Nachtrag vom März 2023 verwies ausdrücklich auf den ursprünglichen Mietvertrag und stellte klar, dass alle anderen Vereinbarungen unverändert bleiben sollten. Das Gericht sah darin eine ausreichende Verknüpfung.
Das Urteil: Differenzierte Betrachtung der Nachträge
Vereinbarungen vom Oktober 2022 nicht schriftformbedürftig
Das Oberlandesgericht Dresden bewertete die verschiedenen Nachträge unterschiedlich. Die Vereinbarungen vom Oktober 2022 betrachtete es nicht als wesentliche Vertragsänderung, sondern lediglich als Mitteilung über die neue Zuständigkeit für Mietzahlungen.
Diese Regelung war nur als Übergangsbestimmung bis zur Grundbuchumschreibung gedacht. Da sie weniger als ein Jahr galt, unterlag sie nicht dem Schriftformerfordernis des § 550 BGB. Außerdem hatte sich diese Übergangsregelung zum Zeitpunkt der Kündigung bereits erledigt.
Nachtrag vom März 2023 formwirksam
Den Nachtrag zur Mietreduzierung vom März 2023 sah das Gericht als formwirksam an. Obwohl die neuen Eigentümer zu diesem Zeitpunkt noch nicht offiziell in den Mietvertrag eingetreten waren, wurde die Vereinbarung mit der späteren Grundbuchumschreibung wirksam.
Die Schriftform war gewahrt, weil der Nachtrag eindeutig auf den ursprünglichen Vertrag verwies und die Weitergeltung aller anderen Bestimmungen klarstellte. Eine körperliche Verbindung der Dokumente war nicht erforderlich.
Wichtige Rechtsgrundsätze für die Praxis
Zeitliche Begrenzung bei Schriftformerfordernis
Das Gericht stellte einen wichtigen Grundsatz klar: Vertragsänderungen sind nur dann schriftformbedürftig, wenn sie für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr gelten sollen. Vorübergehende Regelungen können daher auch mündlich oder durch schlüssiges Verhalten vereinbart werden.
Dies gilt besonders bei Eigentümerwechseln, wo oft Übergangsregelungen bis zur Grundbuchumschreibung notwendig sind. Solche praktischen Notwendigkeiten sollen nicht an übertriebenen Formalien scheitern.
Schutz des Grundstückserwerbers im Fokus
Die Schriftform nach § 550 BGB dient primär dem Schutz späterer Grundstückskäufer. Sie sollen sich über die Bedingungen bestehender Mietverträge informieren können. Bei bereits erledigten Vereinbarungen besteht dieser Schutzbedarf nicht mehr.
Das Gericht betonte, dass sich erledigte Abreden nicht mehr auf die Schriftformprüfung auswirken. Wer als neuer Eigentümer in einen Mietvertrag eintritt, muss nur die zum Erwerbszeitpunkt noch relevanten Bestimmungen aus schriftlichen Unterlagen ersehen können.
Nutzungsentschädigung trotz strittiger Beendigung
Anspruch auch bei behaupteter Kündigung
Selbst wenn man zugunsten des Mieters angenommen hätte, dass seine Kündigung wirksam gewesen wäre, hätte er dennoch Nutzungsentschädigung zahlen müssen. Wer nach Vertragsende die Mietsache nicht herausgibt, muss für die weitere Nutzung aufkommen.
Das Gericht verwies dabei sowohl auf § 546a BGB (Nutzungsentschädigung nach Mietende) als auch auf die allgemeinen Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung. Die Höhe entspricht typischerweise der zuletzt vereinbarten Miete.
Darlegungs- und Beweislast beim Mieter
Der Mieter konnte nicht erfolgreich vortragen, dass er die Räume nicht mehr nutze oder zurückgegeben habe. Für solche Einwendungen hätte er konkrete Beweise vorlegen müssen, was im Urkundenprozess nur begrenzt möglich ist.
Allgemeine Behauptungen oder Mutmaßungen reichen nicht aus. Wer sich auf besondere Umstände beruft, muss diese auch substantiiert darlegen können.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Vermieter: Sorgfältige Dokumentation bleibt wichtig
Auch wenn das Urteil zeigt, dass nicht jede Vertragsänderung schriftformbedürftig ist, sollten Vermieter weiterhin auf saubere Dokumentation achten. Wichtige Änderungen sollten schriftlich festgehalten und eindeutig auf den ursprünglichen Vertrag bezogen werden.
Bei Eigentümerwechseln empfiehlt es sich, Übergangsregelungen zeitlich zu begrenzen und deren vorläufigen Charakter deutlich zu machen. So lassen sich spätere Diskussionen über die Schriftform vermeiden.
Für Mieter: Vorsicht bei Kündigungen wegen Formfehlern
Das Urteil zeigt, dass Kündigungen wegen angeblicher Formfehler riskant sind. Nicht jeder Nachtrag oder jede Vertragsänderung führt automatisch zur Unwirksamkeit des gesamten Mietvertrags. Die Rechtsprechung prüft sehr genau, ob tatsächlich schriftformbedürftige Änderungen vorliegen.
Mieter sollten daher vor einer Kündigung wegen Formfehlern unbedingt rechtlichen Rat einholen. Selbst bei erfolgreicher Kündigung kann eine Nutzungsentschädigungspflicht bestehen, wenn die Räume nicht rechtzeitig geräumt werden.
Für Makler und Berater: Aufklärung über Übergangsregelungen
Bei Immobilienverkäufen mit bestehenden Mietverträgen sollten alle Beteiligten über die rechtlichen Besonderheiten aufgeklärt werden. Vorläufige Vereinbarungen sind zulässig, müssen aber als solche erkennbar sein.
Die Kommunikation mit den Mietern über den Eigentümerwechsel und die neuen Zahlungsmodalitäten sollte präzise erfolgen. Missverständnisse können zu unnötigen Rechtsstreitigkeiten führen.
Fazit: Das Urteil stärkt die Praxistauglichkeit des Mietrechts, ohne die Schutzzwecke der Schriftform aufzugeben. Vorübergehende und sich selbst erledigende Vereinbarungen müssen nicht in jedem Fall die strengen Formvorgaben erfüllen. Gleichzeitig bleibt der Schutz späterer Grundstückserwerber durch die Schriftformvorschriften gewährleistet.
Quelle: OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 05.06.2025 – 12 U 403/25
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