Zum Hauptinhalt springen

Rücktritt vom Mietvertrag trotz selbstverschuldetem Ungezieferbefall

Der beste Anwalt für Mietrecht
Auch wenn Mieter selbst Bettwanzen einschleppen, können sie dennoch wirksam vom Mietvertrag zurücktreten. Das entschied das OLG Düsseldorf in einem wegweisenden Urteil.
eine Hand hält eine Lupe auf ein Bettkissen, durch die Lupe ist eine Bettwanze zu sehen
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Fall: Bettwanzenbefall kurz vor Mietbeginn

In dem verhandelten Fall sollte ein Mietvertrag ab dem ersten August in Kraft treten. Bereits Ende Juli entdeckten die zukünftigen Mieter jedoch einen Bettwanzenbefall in der Wohnung. Der Vermieter reagierte sofort und beauftragte am 27. Juli einen Schädlingsbekämpfer mit der Behandlung der gesamten Wohnung. Verschiedene hochwirksame Insektizide kamen dabei zum Einsatz.

Trotz dieser schnellen Reaktion erklärten die Mieter nur vier Tage später per E-Mail ihren Rücktritt vom Mietvertrag. Sie begründeten ihre Entscheidung damit, dass sie nicht von einer erfolgreichen Beseitigung des Befalls ausgingen und die Wohnung für ihre Mitarbeiter nicht mehr nutzbar sei. Der Vermieter sah dies anders und klagte auf Zahlung der Miete für die Monate August bis Oktober sowie auf Erstattung der Kosten für die Schädlingsbekämpfung.

Rücktritt vor Vertragsbeginn: Wann ist das möglich?

Das Oberlandesgericht Düsseldorf stellte zunächst eine wichtige rechtliche Grundlage klar: Ein Rücktritt vom Mietvertrag ist auch vor dessen Beginn möglich, wenn objektiv und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden kann, dass eine Vertragsverletzung eintreten wird.

Diese Regelung greift bei sogenannten Dauerschuldverhältnissen wie Mietverträgen. Anders als bei einmaligen Kaufverträgen erstrecken sich Mietverhältnisse über längere Zeiträume. Daher muss es Mietern möglich sein, sich von einem Vertrag zu lösen, wenn bereits vor Beginn absehbar ist, dass der Vermieter seine Pflichten nicht erfüllen kann.

Die rechtliche Grundlage findet sich in § 323 Absatz 4 BGB. Diese Vorschrift erlaubt den Rücktritt bereits vor Fälligkeit der Leistung, wenn offensichtlich ist, dass die Rücktrittsvoraussetzungen eintreten werden. Entscheidend ist dabei eine Prognose zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung.

Bettwanzenbefall als erheblicher Wohnungsmangel

Das Gericht bewertete den Bettwanzenbefall eindeutig als Mangel der Mietsache nach § 536 BGB. Diese Einschätzung ist nicht überraschend, denn Bettwanzen sind blutsaugende Parasiten, deren Stiche zu erheblichen Beschwerden führen können:

Die Stiche verursachen blutunterlaufene Pusteln mit starkem Juckreiz. Bei empfindlichen Personen können schwere allergische Reaktionen auftreten. Häufig leiden Betroffene unter Schlafstörungen, und das Kratzen der Stichstellen kann zu gefährlichen Sekundärinfektionen führen.

Die Bekämpfung ist komplex und langwierig. Nach Angaben des Umweltbundesamtes werden bei einer Behandlung in der Regel nicht alle Tiere in ihren Verstecken erreicht. Die Eier der Bettwanzen sind besonders widerstandsfähig gegen äußere Einflüsse, weshalb mehrere Behandlungen durchgeführt werden müssen. Eine Bekämpfungsmaßnahme gilt erst nach einigen Wochen als abgeschlossen.

Unzumutbarkeit trotz Schädlingsbekämpfung

Besonders bemerkenswert ist die Bewertung des Gerichts zur Zumutbarkeit der Wohnungsnutzung nach der Schädlingsbekämpfung. Obwohl der Vermieter schnell reagiert und professionelle Hilfe geholt hatte, sah das Gericht die Nutzung für die Mieter als unzumutbar an.

Die Richter argumentierten, dass nach der Behandlung mit hochwirksamen Insektiziden nicht sicher davon ausgegangen werden konnte, dass die Wohnung zum geplanten Mietbeginn am ersten August vollständig wanzenfrei sein würde. Die einmalige Behandlung nur wenige Tage vor Mietbeginn reichte nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht aus, um einen nachhaltigen Erfolg zu garantieren.

Zusätzlich bestand das Risiko von Kontakten mit den verwendeten Insektiziden. Selbst wenn sich diese nach einigen Stunden abgebaut hätten, wäre beim Bewohnen der Wohnung unweigerlich ein Kontakt mit behandelten Flächen und Möbeln erfolgt. Ungewiss blieb, wie einzelne Personen darauf reagiert hätten.

Das Gericht betonte, dass es von niemandem verlangt werden kann, sich als "Köder" für Bettwanzen in einem zuvor mit Insektiziden behandelten Raum aufzuhalten. Dies gelte insbesondere für Arbeitgeber, die ihre Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitern zu beachten haben.

Kein Verschulden bei normalem Nutzungsverhalten

Ein zentraler Streitpunkt war die Frage, wer für den Bettwanzenbefall verantwortlich war. Der Vermieter argumentierte, die Mieter hätten die Bettwanzen selbst eingeschleppt und könnten daher nicht vom Vertrag zurücktreten.

Das Gericht wies diese Argumentation zurück und stellte klar: Ein Bettwanzenbefall entsteht regelmäßig durch übliches und sozialadäquates Nutzungsverhalten. Selbst wenn die Mieter die Bettwanzen durch Gepäckstücke oder gebrauchte Gegenstände eingebracht hätten, läge darin kein Verschulden.

Nach Informationen des Umweltbundesamtes können Bettwanzen durch Gebrauchtgegenstände oder Reisegepäckstücke eingebracht werden. Ein einziges befruchtetes Weibchen im Reisegepäck kann ausreichen, um in einem Haushalt einen Befall zu verursachen. Es ist Mietern jedoch nicht verwehrt, gebrauchte Gegenstände oder Reisetaschen in eine Wohnung einzubringen, da dies zum verkehrsüblichen und vertragsgemäßen Gebrauch gehört.

Bettwanzen treten nicht nur in Privathaushalten auf. Sie finden sich auch an Orten mit hoher Personenfluktuation wie Hotels, Hostels, Wohnheimen oder anderen Gemeinschaftseinrichtungen. Sogar Gesundheitseinrichtungen und Transportmittel wie Flugzeuge und Bahnen können betroffen sein. Ein Zusammenhang zwischen einem Befall und mangelnder Hygiene besteht nicht.

Präventionsmaßnahmen, die von einem Mieter im Rahmen eines verkehrsüblichen Mietgebrauchs in zumutbarer Weise gefordert werden können, existieren praktisch nicht. Das Einbringen von Bettwanzen ist daher als schicksalhaft anzusehen.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Diese Entscheidung stärkt die Rechte von Mietern erheblich und schafft wichtige Klarstellungen für die Praxis:

Schnelles Handeln ist möglich. Mieter müssen nicht abwarten, bis sich herausstellt, ob eine Schädlingsbekämpfung erfolgreich war. Sie können bereits vor Mietbeginn vom Vertrag zurücktreten, wenn objektiv absehbar ist, dass ein Mangel vorliegt.

Keine Frist erforderlich. Anders als bei anderen Mängeln während eines laufenden Mietverhältnisses müssen Mieter dem Vermieter vor dem Rücktritt keine Frist zur Mangelbeseitigung setzen, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine ordnungsgemäße Gebrauchsüberlassung ausschließen.

Schutz vor unzumutbaren Wohnverhältnissen. Das Urteil verdeutlicht, dass Mieter nicht verpflichtet sind, Wohnungen zu nutzen, in denen gesundheitliche Risiken bestehen oder die mit problematischen Substanzen behandelt wurden.

Kein Verschulden bei normalem Verhalten. Selbst wenn Mieter durch ihr normales Nutzungsverhalten zu einem Problem beitragen, können sie ihre Rechte dennoch uneingeschränkt geltend machen. Dies gilt besonders für Probleme, die sich nicht vermeiden lassen und zum allgemeinen Lebensrisiko gehören.

Vermieter müssen reagieren. Für Vermieter bedeutet das Urteil, dass sie bei Schädlingsbefall nicht nur schnell handeln, sondern auch sicherstellen müssen, dass die Wohnung tatsächlich nutzbar ist. Eine einmalige Behandlung kurz vor Mietbeginn reicht möglicherweise nicht aus.

Praktische Empfehlungen

Für Mieter empfiehlt es sich, bei der Wohnungsübergabe genau auf Anzeichen von Schädlingsbefall zu achten. Kotspuren, Häutungshüllen oder süßlicher Geruch können Hinweise auf Bettwanzen sein. Bei Verdacht sollten umgehend Fotos gemacht und der Vermieter informiert werden.

Vermieter sollten ihrerseits präventive Maßnahmen ergreifen und bei bekannten Problemen professionelle Schädlingsbekämpfer beauftragen. Wichtig ist dabei, ausreichend Zeit zwischen Behandlung und Neuvermietung einzuplanen.

Das Urteil des OLG Düsseldorf zeigt, dass Gerichte bereit sind, Mieter vor unzumutbaren Wohnverhältnissen zu schützen, auch wenn diese nicht vollständig vermeidbar sind. Es stärkt das Vertrauen in den Mieterschutz und verdeutlicht, dass gesundheitliche Aspekte bei der Bewertung von Wohnungsmängeln eine zentrale Rolle spielen.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.2025, Az. 24 U 227/23

Kontaktieren Sie uns!

Für detaillierte Fragen oder eine individuelle Beratung stehen Ihnen die Experten unserer Kanzlei für Mietrecht in Essen zur Verfügung. Wir helfen Ihnen, die beste Strategie für Ihr spezifisches Anliegen zu entwickeln.


Ihr Recht ist unsere Leidenschaft!

Portrait der besten Anwälte von Essen

Sie sind ratlos im Streit mit Ihrem Mieter oder Vermieter? Sie stehen vor komplexen Vertragsverhandlungen oder es geht um den Erwerb, Veräußerung oder Vererbung von Immobilieneigentum. Wir haben uns auf das private und gewerbliche Mietrecht, Immobilienrecht und Maklerrecht spezialisiert. Vertrauen Sie uns. Zögern Sie also nicht länger und holen Sie sich die Unterstützung, die ein professionelles Vorgehen ermöglicht. Lassen Sie uns gemeinsam eine Strategie für die Umsetzung Ihres Vorhabens besprechen.


Unsere digitale Kanzlei

Kind sitzt im Chefsessel und bedient ein Mobiltelefon

Bei uns geht Recht vollkommen digital. Für Sie entscheidend: Sie können alles bequem von überall aus organisieren. Besuchen Sie unsere Webseite und buchen Sie ein Video-Meeting mit einem Anwalt. Ihre Unterlagen können Sie einfach uploaden. Selbst erforderliche Unterschriften können Sie bei uns digital leisten.

Erfahrungen & Bewertungen zu JURiAL® Rechtsanwaltskanzlei

kostenlose Ersteinschätzung

Wartebereich der JURiAL® Rechtsanwaltskanzlei

Lassen Sie uns bei einem unverbindlichen Kennenlerngespräch über Ihre spezifischen rechtlichen Anliegen sprechen.


Das könnte Sie auch interessieren:

19. Mai 2024
Vermieter stehen manchmal vor der Herausforderung, dass sie berechtigte Gründe haben, ein Mietverhältnis zu beenden, und dennoch auf Hindernisse st...
01. April 2024
Die Kündigung eines Mietverhältnisses durch den Vermieter kann viele Gründe haben, doch einer der häufigsten und zugleich komplexesten ist die Eige...
18. Juli 2023
Fragen kostet nichts, außer beim Anwalt. Ein Anwalt ist teuer, ein guter Anwalt ist unbezahlbar. So jedenfalls die landläufige Meinung. Falsch! Anw...
03. Mai 2024
Die Kündigung eines Wohnungsmietvertrages ist ein Thema, das sowohl für Mieter als auch für Vermieter von großer Bedeutung ist. In diesem Artikel e...
30. Oktober 2023
Rechtsanwalt Alexander Liese nimmt Stellung zur Rechtslage in der WDR-Lokalzeit