Musizieren daheim: Die Rechte von Musikern und Nachbarn


Wenn Nachbarn um Hausmusik streiten
Musikinstrumente im eigenen Zuhause zu spielen gehört für viele Menschen zum alltäglichen Leben dazu. Doch was passiert, wenn sich die Nachbarn durch die Töne gestört fühlen? Mit einer grundlegenden Entscheidung hat der Bundesgerichtshof nun die Rechte von Musikern und ihren Nachbarn klarer definiert und wichtige Leitlinien für das häusliche Musizieren aufgestellt.
Der Fall zeigt exemplarisch, wie schnell aus einer eigentlich harmlosen Freizeitbeschäftigung ein ernster Nachbarschaftsstreit entstehen kann. Entscheidend ist dabei nicht nur die Lautstärke der Musik, sondern vor allem die Frage nach einem angemessenen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten.
Der Streitfall: Trompetenklänge sorgen für Ärger
Die Ausgangslage war typisch für viele Nachbarschaftsstreitigkeiten: Ein professioneller Trompeter übte regelmäßig in seinem Reihenhaus, sowohl im Erdgeschoss als auch in einem Probenraum im Dachgeschoss. Nach eigenen Angaben spielte er maximal drei Stunden am Tag und beachtete dabei grundsätzlich die Mittags- und Nachtruhe. Zusätzlich erteilte er wöchentlich Musikunterricht an externe Schüler.
Die direkten Nachbarn fühlten sich jedoch erheblich gestört. Sie konnten die Trompetenklänge in ihrem eigenen Haus wahrnehmen und wollten erreichen, dass das Musizieren vollständig unterbunden wird. Ihr Ziel war es, dass auf ihrem Grundstück überhaupt keine Geräusche von Musikinstrumenten mehr zu hören sein sollten.
Das Amtsgericht gab den Klägern zunächst recht und untersagte das Musizieren weitgehend. Das Landgericht schränkte seine Entscheidung ein und erlaubte dem Trompeter nur noch sehr begrenzte Übungszeiten ausschließlich im Dachgeschoss.
Die zentralen Streitpunkte vor Gericht
Ist häusliches Musizieren überhaupt erlaubt?
Die Grundfrage lautete, ob Musikinstrumente in Wohngebieten grundsätzlich gespielt werden dürfen oder ob dies als unzumutbare Störung der Nachbarn zu bewerten ist. Dabei ging es um die rechtliche Einordnung des Musizierens als normale Wohnungsnutzung.
Haben Berufsmusiker andere Rechte als Hobbymusiker?
Ein wichtiger Streitpunkt war die Frage, ob ein professioneller Musiker, der auf das Üben angewiesen ist, mehr Rechte hat als jemand, der nur zum Vergnügen spielt. Die Nachbarn argumentierten, dass berufliches Musizieren strengeren Beschränkungen unterliegen müsse.
Welche Rolle spielen vorhandene Nebenräume?
Da der Trompeter sowohl im Dachgeschoss als auch im Erdgeschoss übte, stellte sich die Frage, ob er verpflichtet werden kann, ausschließlich die leiseren Nebenräume zu nutzen und die Hauptwohnräume für das Musizieren zu meiden.
Müssen individuelle Lebensumstände berücksichtigt werden?
Die Nachbarn brachten vor, dass ein Familienmitglied als Gleisbauer hauptsächlich nachts arbeite und tagsüber seinen Schlaf benötige. Dies sollte bei der Beurteilung der Zumutbarkeit eine Rolle spielen.
Die wegweisende BGH-Entscheidung
Der Bundesgerichtshof korrigierte die Entscheidung der Vorinstanzen in wesentlichen Punkten und stellte klare Grundsätze für das häusliche Musizieren auf:
Häusliches Musizieren ist grundsätzlich erlaubt
Das Gericht betonte, dass das Spielen von Musikinstrumenten zu den sozialadäquaten und üblichen Formen der Freizeitbeschäftigung gehört. Die entstehenden Geräusche sind daher in gewissen Grenzen zumutbar und stellen keine wesentliche Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks dar. Völlige Stille kann nicht beansprucht werden, insbesondere bei geschlossener Bauweise und unzureichendem Schallschutz.
Berufs- und Hobbymusiker sind gleichgestellt
Ein zentraler Punkt der Entscheidung: Berufsmusiker haben beim häuslichen Musizieren nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte als Hobbymusiker. Es spielt keine Rolle, ob jemand professionell oder nur zum Vergnügen musiziert. Das Musizieren gehört zur grundrechtlich geschützten freien Entfaltung der Persönlichkeit und kann einen wesentlichen Teil des Lebensinhalts bilden.
Haupträume dürfen nicht vollständig tabu sein
Das Gericht stellte klar, dass die Verfügbarkeit von Nebenräumen wie Dachgeschoss oder Keller nicht dazu führt, dass das Musizieren in den Hauptwohnräumen vollständig untersagt werden kann. Da häusliches Musizieren zum täglichen Leben gehört, kann es nicht vollständig aus den zentralen Räumen der Wohnung verbannt werden. Allerdings können Nebenräume engere zeitliche Grenzen für das Musizieren in Haupträumen rechtfertigen.
Klare Regeln für Ruhezeiten
Bei der Bestimmung der Ruhezeiten kommt es grundsätzlich nicht auf die individuellen Lebensumstände der Nachbarn an. Maßgeblich sind die üblichen Ruhestunden in der Mittags- und Nachtzeit. Der Umstand, dass jemand aufgrund seiner Berufstätigkeit zu ungewöhnlichen Zeiten schlafen muss, ändert daran nichts.
Richtwerte für angemessene Musikzeiten
Der BGH gab erstmals konkrete Richtwerte vor: Eine Beschränkung auf zwei bis drei Stunden an Werktagen und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen, jeweils unter Einhaltung üblicher Ruhezeiten, kann als grober Richtwert dienen. Die genaue Festlegung hängt jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere dem Ausmaß der Geräuscheinwirkung und den örtlichen Gegebenheiten.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für musizierende Nachbarn
Das Urteil stärkt die Rechte von Menschen, die zu Hause musizieren möchten. Sie dürfen ihre Instrumente grundsätzlich in allen Räumen ihrer Wohnung spielen und müssen sich nicht auf Nebenräume beschränken lassen. Wichtig ist jedoch, dass Sie die üblichen Ruhezeiten einhalten und eine angemessene tägliche Höchstdauer nicht überschreiten.
Falls Sie Musikunterricht erteilen, sollten Sie besonders aufmerksam sein. Je nach Geräuschentwicklung kann hier eine zusätzliche zeitliche Beschränkung nötig werden, besonders wenn mehrere Schüler gleichzeitig unterrichtet werden oder die Geräusche als besonders lästig empfunden werden.
Für betroffene Nachbarn
Als Nachbar können Sie nicht verlangen, dass jegliche Musikgeräusche vollständig unterbunden werden. Das Urteil macht deutlich, dass eine gewisse Geräuschkulisse durch Hausmusik zum normalen Wohnumfeld gehört. Sie haben jedoch das Recht, dass Ruhezeiten eingehalten werden und die Musikausübung zeitlich begrenzt bleibt.
Ihre individuellen Lebensumstände, wie etwa Schichtarbeit, werden bei der rechtlichen Bewertung grundsätzlich nicht berücksichtigt. In besonderen Härtefällen, etwa bei gesundheitlichen Problemen, kann jedoch zusätzliche Rücksichtnahme geboten sein.
Praktische Empfehlungen
Kommunikation ist der Schlüssel: Viele Nachbarschaftsstreitigkeiten lassen sich durch offene Gespräche vermeiden. Sprechen Sie rechtzeitig miteinander über Übungszeiten und gegenseitige Rücksichtnahme.
Schallschutz verbessert die Situation: Investitionen in Schallschutzmaßnahmen können dazu führen, dass länger oder uneingeschränkter musiziert werden darf. Der musizierende Nachbar ist jedoch nicht grundsätzlich dazu verpflichtet.
Dokumentation bei Problemen: Falls Gespräche nicht weiterhelfen, sollten Sie Übungszeiten und Lautstärke dokumentieren. Dies hilft bei einer späteren rechtlichen Klärung.
Flexibilität zeigen: Auch wenn das Recht auf Ihrer Seite steht, kann gegenseitiges Entgegenkommen das Nachbarschaftsverhältnis erheblich verbessern.
Ausblick: Neue Verhandlung erforderlich
Der BGH verwies den Fall zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurück. Die Richter müssen nun unter Beachtung der BGH-Grundsätze eine neue, angemessene zeitliche Regelung finden. Dabei sollen sie konkret prüfen, welche Geräuscheinwirkungen tatsächlich entstehen und wie eine faire Balance zwischen den Interessen aller Beteiligten aussehen kann.
Diese Entscheidung wird richtungsweisend für künftige Nachbarschaftsstreitigkeiten um häusliches Musizieren sein. Sie schafft Rechtssicherheit und zeigt, dass sowohl das Recht auf Ausübung von Musik als auch das Ruhebedürfnis der Nachbarn ihre Berechtigung haben.
Quelle: BGH, Urteil vom 26. Oktober 2018 - V ZR 143/17
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