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Ist Hühner- und Bienenhaltung im städtischen Wohngebiet erlaubt?

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Ein Nachbarschaftsstreit um krähende Hähne und tausende Bienen zeigt die Grenzen der Tierhaltung in städtischen Wohngebieten auf. Das Gericht musste klären, wann Immissionen unzumutbar werden.
Mutter mit Kleinkind füttert Hühner
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Ausgangspunkt: Streit über die Grundstücksgrenze hinweg

In einem Wohngebiet eskalierte ein Nachbarschaftskonflikt zwischen den Bewohnern zweier Einfamilienhäuser. Die betroffenen Anwohner fühlten sich durch die Tierhaltung ihres Nachbarn erheblich gestört. Dieser hatte auf seinem Grundstück mehrere Hähne gehalten und betrieb zudem Imkerei mit mehreren Bienenvölkern. Die Nachbarn sahen ihre Lebensqualität massiv beeinträchtigt und klagten auf Unterlassung der Tierhaltung. Der Tierhalter wehrte sich gegen die Vorwürfe und argumentierte, seine Tierhaltung sei ortsüblich und zumutbar. Gleichzeitig erhob er selbst Ansprüche gegen seine Nachbarn wegen zu nah an der Grenze stehender Bäume.

Das Amtsgericht gab den gestörten Nachbarn zunächst weitgehend Recht und untersagte die Haltung von Hähnen und Bienen. Gegen dieses Urteil legte der Tierhalter Berufung ein. Das Landgericht musste nun abschließend entscheiden, ob die Tierhaltung tatsächlich eine unzumutbare Beeinträchtigung darstellt oder ob die Nachbarn diese dulden müssen.

Das Problem mit den krähenden Hähnen

Die Richter befassten sich zunächst intensiv mit der Lärmbelästigung durch die Hähne. Das Gericht stellte fest, dass das Krähen der Hähne eine wesentliche Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks darstellte. Dabei spielte nicht nur die Lautstärke eine Rolle. Entscheidend war vor allem die Unvorhersehbarkeit der Geräusche. Hähne krähen zu völlig unterschiedlichen, nicht vorhersehbaren Tages- und Nachtzeiten. Diese kurzfristigen Lärmimpulse werden als wesentlich lästiger empfunden als ein gleichmäßiges Dauergeräusch.

Das Gericht stützte seine Überzeugung auf ein Lärmprotokoll der betroffenen Nachbarn sowie auf ein Videoaufnahme. In diesem Video krähten zwei Hähne innerhalb von nur 33 Sekunden mindestens fünfmal laut und deutlich. Die Richter betonten, dass nicht nur die aktuellen Lärmeinwirkungen störend seien, sondern auch das ständige Bewusstsein, dass die Ruhe jederzeit durch erneutes Krähen beendet werden könne. Dieser Zustand der permanenten Lärmerwartung stelle eine eigenständige Beeinträchtigung dar.

Der Tierhalter argumentierte, er halte die Hähne in einer schalldichten Voliere und lasse sie erst nach neun Uhr morgens wieder heraus. Dieses Vorbringen überzeugte das Gericht nicht, da keine konkreten Nachweise für diese Behauptungen vorgelegt wurden. Zudem hatte der Tierhalter selbst nicht bestritten, dass von den Tieren Lautäußerungen ausgehen.

Bienenhaltung als Beeinträchtigung der Nachbarn

Auch die Bienenhaltung wurde vom Gericht als unzumutbare Beeinträchtigung eingestuft. Der Tierhalter betrieb zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Verhandlung Imkerei mit drei Kleinstvölkern, was einer Gesamtzahl von etwa sechstausend bis neuntausend Bienen entsprach. Bei der Berufungsverhandlung gab er an, aktuell noch zwei Bienenvölker zu halten. Die Beeinträchtigung lag nicht nur im Flug zahlreicher Bienen über das Nachbargrundstück, sondern auch in deren Anwesenheit, ihren Ausscheidungen und dem Versterben vieler Bienen auf dem Grundstück.

Die betroffenen Nachbarn berichteten glaubhaft, dass täglich Bienen in und an ihrem Pool waren, dort verstarben und den Filter verstopften. Lichtbilder zeigten den durch Bienenausscheidungen verunreinigten Pool. Der Tierhalter hatte die Bienenstöcke zudem so ausgerichtet, dass die Bienen beim direkten Flug nach Nordosten den Bereich des Poolendes der Nachbarn überflogen. Auch die Nähe der Bienenstöcke zum Nachbargrundstück spielte eine wichtige Rolle bei der gerichtlichen Bewertung.

Der Tierhalter versuchte mit einem selbst eingeholten Gutachten eines Bienensachverständigen nachzuweisen, dass die Belastung üblich und hinnehmbar sei. Das Gericht folgte dieser Einschätzung jedoch nicht. Entscheidend war, dass der Tierhalter nach der gesetzlichen Regelung nachweisen musste, dass die Immissionen die Benutzung des Nachbargrundstücks nicht oder nur unwesentlich behindern. Dieser Nachweis gelang ihm nicht.

Keine Ortsüblichkeit im städtischen Wohngebiet

Ein zentraler Punkt der gerichtlichen Entscheidung war die Frage der Ortsüblichkeit. Nach dem Gesetz müssen Grundstückseigentümer bestimmte Einwirkungen von Nachbargrundstücken dulden, wenn diese durch eine ortsübliche Benutzung entstehen. Der Tierhalter argumentierte, in der Umgebung gebe es einen ländlichen Charakter und weitere Bienenstöcke sowie Tierhaltung, weshalb seine Nutzung ortsüblich sei.

Das Gericht wies dieses Argument zurück. Die Grundstücke befinden sich in einem städtischen Wohngebiet mit zahlreichen Ein- und Mehrfamilienhäusern. Ein prägender dörflich-ländlicher Charakter liegt nicht vor. Das nahegelegene Naherholungsgebiet wird durch eine Autobahn räumlich getrennt und auf dem angrenzenden Friedhof wird keine Landwirtschaft betrieben. Für eine Ortsüblichkeit muss derjenige, der die Beeinträchtigung verursacht, andere Grundstücke im Vergleichsbezirk benennen sowie Art, Intensität und Vergleichbarkeit der von ihnen ausgehenden Belastungen konkret darlegen. Dieser Darlegungslast kam der Tierhalter nicht nach.

Das Gericht betonte, dass für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung das Empfinden eines verständigen durchschnittlichen Benutzers des beeinträchtigten Grundstücks maßgeblich ist. Ein Einfamilienhaus dient Wohnzwecken und fungiert als Rückzugsort der Ruhe und Erholung. Ein solcher durchschnittlicher Nutzer wird durch das beschriebene Hahnenkrähen und die massive Bienenpräsenz in der Nutzung seines Grundstücks wesentlich beeinträchtigt.

Keine Gleichheit im Unrecht

Ein interessantes Detail des Falls war, dass auch die klagenden Nachbarn selbst Bäume hatten, die zu nah an der Grundstücksgrenze standen. Der Tierhalter erhob deshalb Widerklage und verlangte die Entfernung dieser Bäume. Das Gericht gab dieser Widerklage statt. Ein junger Kirschbaum, ein junger Kirsch-Pflaumenbaum, ein junger Ahornbaum sowie eine Buche hielten die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzabstände nicht ein und mussten deshalb entfernt werden.

Die betroffenen Nachbarn argumentierten, der Tierhalter habe selbst Bäume, die zu nah an der Grenze stünden und eine Verschattung verursachten. Das Gericht machte jedoch unmissverständlich klar, dass eine Gleichheit im Unrecht nicht existiert. Nur weil eine Partei selbst gegen Vorschriften verstößt, bedeutet dies nicht, dass sie Verstöße der Gegenseite dulden muss. Jeder Anspruchsberechtigte kann seine Rechte geltend machen, unabhängig davon, ob er selbst ähnliche Rechtsverstöße begeht. Dies ist ein wichtiger Grundsatz des Nachbarrechts.

Das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis, das in Ausnahmefällen zu besonderen Duldungspflichten führen kann, griff hier nicht ein. Die Höhe der Bäume war für die Abstandsregeln unerheblich. Auch der Umstand, dass die Nachbarn die Bäume zwischenzeitlich zurückgeschnitten hatten, änderte nichts an der Verpflichtung zur Entfernung.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Diese Entscheidung zeigt deutlich die Grenzen der Tierhaltung in Wohngebieten auf. Auch wenn Hühner- und Bienenhaltung im privaten Bereich grundsätzlich erlaubt sind, müssen Tierhalter die berechtigten Interessen ihrer Nachbarn berücksichtigen. In einem städtischen Wohngebiet gilt ein strengerer Maßstab als in ländlichen Gegenden. Wer in einem solchen Gebiet größere Tierhaltungen plant, sollte sich bewusst sein, dass die Nachbarn Anspruch auf Unterlassung haben können, wenn wesentliche Beeinträchtigungen entstehen.

Besonders wichtig ist die Verteilung der Beweislast. Wer Immissionen verursacht, muss im Streitfall nachweisen, dass diese nur unwesentlich sind. Es reicht nicht aus, einfach zu behaupten, die Belastung sei gering oder ortsüblich. Vielmehr müssen konkrete Vergleichsgrundstücke benannt und die Vergleichbarkeit der Situation dargelegt werden. Allgemeine Behauptungen über einen ländlichen Charakter oder einzelne andere Tierhalter in der weiteren Umgebung genügen nicht.

Für betroffene Nachbarn zeigt das Urteil, dass sie nicht jede Beeinträchtigung hinnehmen müssen. Dokumentationen wie Lärmprotokolle oder Videoaufnahmen können wichtige Beweismittel sein. Gleichzeitig müssen sie aber auch selbst darauf achten, dass sie keine eigenen Rechtsverstöße begehen, beispielsweise bei Grenzabständen von Pflanzen. Das Prinzip der Gleichheit im Unrecht gilt nicht, sodass eigene Verstöße im Streitfall geltend gemacht werden können.

Grundsätze des Urteils

  • Tierhaltung in städtischen Wohngebieten muss sich an strengeren Maßstäben messen lassen als in ländlichen Gegenden; unvorhersehbare Lärmimmissionen durch Hähne stellen eine wesentliche Beeinträchtigung dar
  • Wer Immissionen verursacht, trägt die Beweislast dafür, dass diese nur unwesentlich sind oder durch ortsübliche Benutzung gerechtfertigt werden
  • Für Ortsüblichkeit müssen konkret vergleichbare Grundstücke, Art und Intensität der Belastungen nachgewiesen werden; allgemeine Behauptungen genügen nicht
  • Das Prinzip der Gleichheit im Unrecht existiert nicht; jeder kann seine Rechte geltend machen, auch wenn er selbst ähnliche Rechtsverstöße begeht
  • Die permanente Erwartung von Lärmstörungen stellt eine eigenständige Beeinträchtigung dar

Quelle: Landgericht Köln, Urteil vom 21.05.2025, Az. 13 S 202/23, NZM 2025, 717

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