Gerichtsbeschluss in der WEG: Wann ist eine Änderung möglich?


Der Fall: Streit um Haustürschlüssel
In einer Wohnungseigentumsgemeinschaft kam es zu einem langwierigen Konflikt um einen simplen Haustürschlüssel. Die Eigentümergemeinschaft bestand aus zwei Häusern, wobei eine Eigentümerin die Wohnung im Nebenhaus bewohnte. Im Haupthaus befanden sich alle technischen Versorgungseinrichtungen wie Wasser- und Stromanschlüsse, die auch das Nebenhaus mit Energie versorgten. Der Zugang zu diesem technischen Raum war seit längerer Zeit zwischen den Parteien umstritten.
Die anderen Eigentümer warfen der Bewohnerin vor, zu Zeiten mit Zugang durch Manipulation der Leitungen unberechtigt Wasser und Strom entnommen zu haben, ohne diese Kosten zu tragen. Als Reaktion darauf wurde im Jahr 2022 der Schließzylinder am Haupthaus ausgetauscht. Die beschuldigte Eigentümerin erhielt keinen neuen Schlüssel und hatte somit keinen Zugang mehr zum Haupthaus und den dort befindlichen Versorgungsanschlüssen.
Erste gerichtliche Entscheidung
Die betroffene Eigentümerin wehrte sich gegen diese Maßnahme. Nachdem auf zwei Eigentümerversammlungen Beschlüsse gefasst wurden, die ihr die Aushändigung eines Schlüssels verweigerten, focht sie diese Beschlüsse an und erhob eine sogenannte Beschlussersetzungsklage. Mit dieser Klage kann ein Eigentümer erreichen, dass das Gericht einen Beschluss ersetzt, wenn die Eigentümergemeinschaft einen erforderlichen Beschluss nicht fasst oder einen rechtswidrigen Beschluss trifft.
Das Amtsgericht gab der Klägerin Recht und ersetzte rechtskräftig den Beschluss der Eigentümerversammlung. In dem gerichtlich ersetzten Beschluss hieß es, dass der betroffenen Eigentümerin ein Haustürschlüssel für das Haupthaus durch die Gemeinschaft auszuhändigen sei. Diese Entscheidung wurde rechtskräftig, das heißt, sie konnte nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden.
Erneuter Beschluss der Eigentümer
Doch die Mehrheit der Eigentümer wollte sich mit dieser Entscheidung nicht abfinden. In einer späteren Eigentümerversammlung fassten sie einen neuen Beschluss zu genau derselben Angelegenheit. Diesmal beschlossen sie erneut, dass die betroffene Eigentümerin keinen Schlüssel erhalten solle. Stattdessen sollte ihr der Zutritt zum Haupthaus ausschließlich in Begleitung des Verwalters oder eines anderen Eigentümers gestattet werden.
Die Eigentümerin focht auch diesen Beschluss an. Das Amtsgericht wies ihre Anfechtungsklage jedoch ab und vertrat die Auffassung, die Eigentümer dürften über dieselbe Angelegenheit erneut beschließen. Gegen diese Entscheidung legte die betroffene Eigentümerin Berufung beim Landgericht ein.
Die zentrale Rechtsfrage
Die entscheidende Frage in diesem Verfahren lautete: Dürfen Wohnungseigentümer einen Beschluss, der durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil ersetzt wurde, durch einen neuen Beschluss wieder abändern? Oder sind sie an die gerichtliche Entscheidung gebunden?
Das Landgericht Frankfurt stellte zunächst klar, dass Wohnungseigentümer grundsätzlich die Kompetenz haben, über Angelegenheiten, über die sie bereits beschlossen haben, erneut zu beschließen. Dies gilt auch für Beschlüsse, die durch ein Gericht im Wege der Beschlussersetzungsklage ersetzt wurden. Der neue Beschluss war also nicht von vornherein nichtig.
Rechtskraft und ihre Grenzen
Allerdings betonte das Gericht einen entscheidenden Punkt: Mit Rechtskraft eines Gestaltungsurteils erwächst die Feststellung in materielle Rechtskraft, dass das Gestaltungsrecht zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestand und die Gestaltungswirkung daher zu Recht eingetreten ist. Die materielle Rechtskraft bewirkt, dass Gerichte und Parteien in einem späteren Verfahren an das Ergebnis des ersten Prozesses gebunden sind.
Ein den ersetzten Beschluss abändernder Beschluss der Wohnungseigentümer entspricht daher grundsätzlich nicht ordnungsmäßiger Verwaltung. Die Wirkung der materiellen Rechtskraft ist allerdings an zeitliche Grenzen gebunden. Das Urteil berücksichtigt grundsätzlich nur die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eingetretenen Tatsachen.
Wann ist eine Abänderung möglich?
Die Rechtskraft eines Urteils hindert eine neue abweichende Entscheidung nicht, wenn diese durch eine nach Abschluss der letzten mündlichen Verhandlung erfolgte Änderung des Sachverhalts veranlasst ist. Eine auf tatsächliche Umstände gestützte Neuregelung durch einen erneuten Beschluss der Wohnungseigentümer kann nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, wenn sich die tatsächlichen Umstände nach Abschluss der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozess verändert haben.
Das Landgericht stellte klar, dass im vorliegenden Fall keine geänderte Sachlage vorlag. Die erneute Beschlussfassung selbst konnte nicht als geänderte Sachlage angesehen werden. Erforderlich ist vielmehr, dass sich die objektiven Umstände, die zu der ursprünglichen Beschlussfassung geführt haben, nach Rechtskraft verändert haben. Diese Umstände können nicht selbst durch einen Beschluss geändert werden, da dies auf einen Zirkelschluss hinausliefe.
Keine relevanten Veränderungen
Im konkreten Fall hatte sich an der Sachlage nichts geändert. Auch die beklagte Eigentümergemeinschaft räumte ein, dass der vorgeworfene unberechtigte Zutritt und die Manipulation der Leitungen bereits vor der Entscheidung des Amtsgerichts im ersten Verfahren erfolgt waren. Diese Vorwürfe waren dem Gericht also bekannt und konnten bei der Beschlussersetzung berücksichtigt werden.
Die Weigerung der betroffenen Eigentümerin, zu erklären, künftige Manipulationen zu unterlassen, stellte ebenfalls keine neue Sachlage dar. Diese Weigerung war bereits im ersten Verfahren erfolgt und bei Abschluss des Beschlussersetzungsverfahrens bekannt. Selbst eine wiederholte Weigerung änderte daran nichts. Andernfalls hätten es die Eigentümer in der Hand, durch das Verlangen von Erklärungen Änderungen der Sachlage herbeizuführen, die sie berechtigten, gerichtlich ersetzte Beschlüsse abzuändern.
Die richtige Vorgehensweise
Das Landgericht machte deutlich, dass im ersten Beschlussersetzungsverfahren auch Zutrittsbeschränkungen hätten ausgesprochen werden können. Das Gericht ist bei der Beschlussersetzungsklage nicht an die Anträge der Parteien gebunden. Es wäre möglich gewesen, einen Beschluss dahingehend zu ersetzen, dass ein Zutritt nur in Begleitung des Verwalters oder eines anderen Eigentümers erfolgen darf.
Nachdem die gerichtliche Beschlussersetzung aber rechtskräftig geworden war, konnte nicht mehr geltend gemacht werden, dass die vorangegangene Entscheidung nicht richtig sei oder der gefasste Beschluss nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche. Hierfür stehen bei einer gerichtlichen Beschlussersetzung alleine die Rechtsmittel zur Verfügung. Vermeintliche Fehler der Entscheidung hätten also durch Berufung oder Revision im Rechtsmittelverfahren geprüft werden müssen.
Wann läge eine neue Sachlage vor?
Eine Änderung der Sachlage läge nur dann vor, wenn die betroffene Eigentümerin nach dem rechtskräftigen Urteil erneut Manipulationen an den Versorgungsanschlüssen vorgenommen hätte. Dabei würde bereits die Ankündigung solcher Manipulationen ausreichen, um eine veränderte Sachlage zu begründen.
Ebenso wie die Abänderung eines rechtskräftigen Urteils durch ein Gericht im Regelfall nur dann erfolgen kann, wenn sich nachträglich die der Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachen geändert haben, gilt dies nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch für die Wohnungseigentümer im Rahmen einer erneuten Beschlussfassung über dieselbe Angelegenheit. Der Rechtskraft ist der Vorrang einzuräumen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Dieses Urteil hat erhebliche praktische Bedeutung für alle Wohnungseigentümergemeinschaften. Es zeigt, dass gerichtliche Entscheidungen im Wohnungseigentumsrecht nicht beliebig durch neue Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft umgangen werden können. Die Rechtskraft eines Urteils ist ein hohes Gut und schützt die unterlegene Partei davor, dass immer wieder über dieselbe Angelegenheit neu entschieden wird.
Für Eigentümergemeinschaften bedeutet dies: Wenn ein Gericht einen Beschluss ersetzt hat und dieses Urteil rechtskräftig geworden ist, müssen sie diese Entscheidung akzeptieren. Eine erneute Beschlussfassung mit abweichendem Inhalt ist nur zulässig, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse nach dem Urteil wesentlich geändert haben. Bloße Unzufriedenheit mit der gerichtlichen Entscheidung oder der Wunsch nach einer anderen Regelung reichen nicht aus.
Für einzelne Wohnungseigentümer, die einen Rechtsstreit gewonnen haben, bietet das Urteil wichtigen Schutz. Sie können darauf vertrauen, dass die zu ihren Gunsten ergangene gerichtliche Entscheidung nicht einfach durch einen neuen Mehrheitsbeschluss wieder rückgängig gemacht werden kann. Dies stärkt ihre Rechtsposition erheblich.
Wichtig ist für alle Beteiligten: Wenn man mit einer gerichtlichen Beschlussersetzung nicht einverstanden ist, muss man rechtzeitig Rechtsmittel einlegen. Nach Eintritt der Rechtskraft sind die Möglichkeiten einer Korrektur stark eingeschränkt. Die Eigentümerversammlung kann dann nur noch bei wesentlichen Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse neu über die Angelegenheit beschließen.
In der Praxis sollten Eigentümergemeinschaften sorgfältig überlegen, ob sie gegen gerichtliche Entscheidungen vorgehen wollen. Wenn ein Urteil einmal rechtskräftig ist, bleibt meist nur noch die Möglichkeit, die Entscheidung umzusetzen und mit der neuen Situation zu arbeiten. Eine konstruktive Lösung im Rahmen der gerichtlichen Vorgaben ist oft besser als der Versuch, die Entscheidung durch neue Beschlüsse zu unterlaufen.
Quelle: Landgericht Frankfurt/Main, Urteil vom 28.08.2025, Az. 2-13 S 37/24
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