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Eigenbedarfskündigung: BGH definiert Familienbegriff im Mietrecht

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem wegweisenden Urteil vom 10. Juli 2024 (VIII ZR 276/23) den Begriff der "Familie" im Mietrecht klar definiert. Die Richter stellten fest: Cousins gehören nicht zur selben Familie im mietrechtlichen Sinne – selbst wenn sie persönlich eng verbunden sind. Diese Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen für Vermieter und Mieter bei Eigenbedarfskündigungen.
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Die zentrale Frage: Wer gehört zur "Familie"?

Im Mittelpunkt des Urteils steht die Frage, wie der Begriff "Familie" im Mietrecht auszulegen ist. Diese Frage ist besonders relevant, wenn es um Eigenbedarfskündigungen durch Gesellschaften geht.

Der konkrete Fall: Die Beklagten waren seit 2009 Mieter einer Wohnung in Berlin. Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) erwarb 2013 das Gebäude. Zum Zeitpunkt des Kaufs hatte die GbR zwei Gesellschafter, die Cousins waren. Nach dem Tod eines Gesellschafters wurden dessen drei Kinder als Erben ebenfalls Gesellschafter der GbR.

Im August 2021 kündigte die GbR das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Einer der neuen Gesellschafter wollte die Wohnung für sich und seine Ehefrau nutzen. Die Mieter weigerten sich auszuziehen, woraufhin die GbR Räumungsklage erhob.

Der Streitpunkt: Die Kündigungssperrfrist

Nach § 577a Abs. 1a BGB gibt es eine Kündigungssperrfrist, wenn eine Wohnung nach der Vermietung an eine Personengesellschaft (wie eine GbR) veräußert wird. In Berlin beträgt diese Sperrfrist durch eine spezielle Verordnung sogar zehn Jahre.

Es gibt jedoch eine Ausnahme: Die Sperrfrist gilt nicht, wenn die Gesellschafter im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs derselben Familie angehörten (§ 577a Abs. 1a Satz 2 BGB).

Die entscheidende Frage war also: Gehören Cousins zur selben "Familie" im Sinne dieser Ausnahmeregelung?

Die klare Definition des Familienbegriffs durch den BGH

Der BGH traf eine richtungsweisende Entscheidung: Als "Familie" im mietrechtlichen Sinne gelten nur Personen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen nach § 383 ZPO oder § 52 StPO zusteht.

Zu diesem Personenkreis gehören:

  • Verlobte, Ehegatten und Lebenspartner
  • Verwandte in gerader Linie (Eltern, Kinder, Großeltern, Enkel)
  • Verwandte in der Seitenlinie bis zum dritten Grad (Geschwister, Onkel, Tanten, Neffen, Nichten)

Cousins sind jedoch in der Seitenlinie im vierten Grad miteinander verwandt und fallen daher nicht unter diese Definition – selbst wenn zwischen ihnen eine noch so enge persönliche Bindung besteht.

Warum der BGH den Familienbegriff eng auslegt

Die Begründung des BGH für die enge Definition des Familienbegriffs ist besonders aufschlussreich:

  1. Typisierende Betrachtungsweise: Der Gesetzgeber geht pauschal davon aus, dass innerhalb eines bestimmten Verwandtschaftskreises eine enge persönliche Bindung besteht. Diese Annahme gilt aber nur für den im Prozessrecht definierten Kreis der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen.
  2. Objektive statt subjektive Kriterien: Der BGH lehnt es bewusst ab, auf die tatsächlich vorhandene persönliche Bindung abzustellen. Bei entfernteren Verwandten wie Cousins reicht auch eine tatsächlich bestehende enge Beziehung nicht aus, um sie als "Familie" einzustufen.
  3. Rechtssicherheit und Planbarkeit: Das Gericht betont, dass die klare, objektive Definition des Familienbegriffs Rechtsstreitigkeiten über die subjektive Frage der persönlichen Nähebeziehung vermeidet. Eine einzelfallbezogene Prüfung der sozialen Nähe würde zu Rechtsunsicherheit führen.

"Als 'Familienangehörige' oder als 'Familie' im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB sind ausschließlich diejenigen Personen anzusehen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 383 ZPO, § 52 StPO zusteht."

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Die enge Definition des Familienbegriffs hat weitreichende praktische Konsequenzen:

Wer gilt als "Familie" im mietrechtlichen Sinne:

✓ Ehepartner und eingetragene Lebenspartner
✓ Verlobte
✓ Eltern, Kinder, Großeltern, Enkel (gerade Linie)
✓ Geschwister (Seitenlinie 2. Grades)
✓ Onkel, Tanten, Neffen, Nichten (Seitenlinie 3. Grades)

Wer gilt NICHT als "Familie":

✗ Cousins und Cousinen (Seitenlinie 4. Grades)
✗ Großcousins
✗ Unverheiratete Lebensgefährten
✗ Angeheiratete Verwandte (außer in den Grenzen des Schwägerschaftsgrads)
✗ Freunde, egal wie eng die Beziehung ist

Praktische Bedeutung für Vermieter:

  • Eine GbR kann grundsätzlich wegen Eigenbedarfs eines ihrer Gesellschafter kündigen.
  • Erwirbt eine GbR ein bereits vermietetes Objekt, gilt die Kündigungssperrfrist (in Berlin: zehn Jahre).
  • Die Ausnahme von der Sperrfrist greift nur, wenn die ursprünglichen Gesellschafter im oben definierten Sinne zur selben Familie gehören.
  • Eine persönliche oder wirtschaftliche Verbundenheit der Gesellschafter reicht für die Ausnahme nicht aus.

Praktische Bedeutung für Mieter:

  • Wenn Ihre Wohnung von einer GbR erworben wurde, deren Gesellschafter nur entfernt verwandt (z.B. Cousins) oder gar nicht verwandt sind, sind Sie durch die Kündigungssperrfrist geschützt.
  • Die Sperrfrist beginnt mit der Eintragung des neuen Eigentümers im Grundbuch.
  • Innerhalb dieser Frist kann auch wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters nicht wirksam gekündigt werden.

Fazit: Familie ist im Mietrecht klar definiert

Der BGH hat mit seiner Entscheidung für Klarheit gesorgt: Im Mietrecht gilt ein objektiv bestimmbarer, eng gefasster Familienbegriff. Die Definition orientiert sich am Zeugnisverweigerungsrecht und nicht an der tatsächlichen persönlichen Bindung zwischen den Beteiligten.

Diese enge Auslegung mag manchen persönlichen Lebensrealitäten nicht entsprechen. Schließlich können Cousins durchaus eng verbunden sein, während manche gesetzlich privilegierten Verwandten kaum Kontakt haben. Der BGH hat sich jedoch bewusst für eine klare, objektive Definition entschieden, die Rechtssicherheit schafft und Streitigkeiten vermeidet.

Für Mieter bedeutet das Urteil einen stärkeren Schutz: Bei Erwerb durch eine GbR, deren Gesellschafter nicht im engeren Sinne "Familie" sind, greift die Kündigungssperrfrist. Vermieter müssen bei der Planung von Eigenbedarfskündigungen sorgfältig prüfen, ob sie unter die eng definierte Ausnahme fallen.

Quelle: BGH, Urteil vom 10. Juli 2024, VIII ZR 276/23

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