Auch Besitzer können nachbarrechtliche Ansprüche geltend machen


Der Sachverhalt: Wenn Baggerarbeiten Nachbarn schädigen
Ein Fall aus München zeigt, wie schnell Nachbarschaftsstreitigkeiten entstehen können. Eine Grundstückseigentümerin hatte einen Teil ihres Eigentums vermietet - einen überdachten Freisitz mit zugehöriger Grenzmauer. Die Mieter nutzten diesen Bereich als erweiterten Wohnraum und zahlten entsprechend Miete dafür.
Im Oktober 2019 beauftragte der Nachbar auf seinem angrenzenden Grundstück Abrissarbeiten an einem alten Gebäude. Dabei passierte das, was niemand wollte: Eine Baumaschine prallte gegen den vermieteten Freisitz und die Grenzmauer. Die Folge waren erhebliche Schäden, die die Standsicherheit des Freisitzes beeinträchtigten.
Die Mieter entdeckten den Schaden und konnten den Freisitz nicht mehr wie gewohnt nutzen. Daraufhin minderten sie verständlicherweise ihre Miete um monatlich 100 Euro. Ein Privatgutachter schätzte die Reparaturkosten auf mehrere tausend Euro. Der Schaden blieb über Jahre hinweg unbehoben.
Die rechtlichen Streitpunkte: Wer kann was von wem verlangen?
Der Fall warf mehrere komplexe Rechtsfragen auf, die für alle Grundstücksbesitzer von Bedeutung sind. Die zentrale Frage lautete: Kann auch jemand, der nicht Eigentümer ist, nachbarrechtliche Ansprüche geltend machen?
Die Vermieterin argumentierte, sie sei zwar möglicherweise nicht Eigentümerin des beschädigten Freisitzes, aber sie habe ihn rechtmäßig besessen und vermietet. Als Vermieterin sei sie verpflichtet, die Mietsache in gebrauchstauglichem Zustand zu erhalten. Durch den Schaden entstünden ihr sowohl Mietausfälle als auch Reparaturkosten.
Der beklagte Nachbar widersprach: Nur Eigentümer könnten solche Ansprüche stellen. Außerdem habe nicht er den Schaden verursacht, sondern ein Subunternehmer. Er sei daher nicht haftbar zu machen. Zudem behauptete er, der Freisitz sei ein Schwarzbau ohne Bestandsschutz.
Die Entscheidung des Gerichts: Besitzer haben Rechte
Das Oberlandesgericht München gab der Klägerin in allen wesentlichen Punkten recht und bestätigte dabei wichtige Grundsätze des Nachbarrechts.
Auch Besitzer können Ansprüche stellen
Das Gericht stellte klar: Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch steht nicht nur Eigentümern, sondern auch Besitzern zu. Diese Rechtsprechung beruht auf einer analogen Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Der Besitzer ist genauso schützenswert wie der Eigentümer, wenn sein rechtmäßiger Besitz durch nachbarliche Einwirkungen gestört wird.
Das Gericht begründete dies damit, dass der Ausgleichsanspruch als Kompensation dient, wenn man störende Einwirkungen nicht unterbinden kann. Da auch Besitzer grundsätzlich Abwehransprüche haben, müssen sie ebenfalls entschädigt werden können, wenn diese Ansprüche nicht durchsetzbar sind.
Haftung des Nachbarn trotz Fremdbeschädigung
Entscheidend war auch die Frage der Haftung. Der Nachbar haftet auch dann, wenn nicht er selbst, sondern von ihm beauftragte Unternehmen den Schaden verursachen. Das Gericht sah ihn als "Störer" an, weil er durch die Beauftragung von Abrissarbeiten eine Gefahrenquelle für Nachbargrundstücke geschaffen hatte.
Die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks ging "wenigstens mittelbar" auf seinen Willen zurück. Es reicht nicht aus, wenn sich der Auftraggeber darauf beruft, dass ein Subunternehmer den konkreten Schaden verursacht hat.
Besonderheiten für Vermieter: Doppelter Schutz
Für Vermieter enthält das Urteil besonders wichtige Aussagen. Vermieter können nicht nur Mietausfälle, sondern auch die vollständigen Reparaturkosten ersetzt verlangen.
Mietrechtliche Pflichten als Grundlage
Das Gericht argumentierte: Vermieter sind nach § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB verpflichtet, die Mietsache in vertragsgemäßem Zustand zu erhalten - unabhängig davon, ob sie Eigentümer sind oder nicht. Können sie dieser Pflicht aufgrund von Nachbarschaftsschäden nicht nachkommen, müssen sie Mietminderungen hinnehmen.
Daher können Vermieter alle Aufwendungen ersetzt verlangen, die erforderlich sind, um den Vermietungsbetrieb ungestört fortzuführen. Dazu gehören sowohl die laufenden Mietausfälle als auch die Kosten für die vollständige Reparatur der beschädigten Bereiche.
Schwarzbau-Einwand erfolglos
Der Einwand des Nachbarn, der Freisitz sei ein genehmigungswidriger Schwarzbau, verwarf das Gericht. Diese Behauptung war völlig unsubstanziiert vorgetragen worden. Außerdem kann ein überdachter Freisitz durchaus als genehmigungsfreie Terrassenüberdachung einzustufen sein, wenn bestimmte Größengrenzen eingehalten werden.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Diese Entscheidung stärkt die Rechte aller, die Grundstücke oder Grundstücksteile nutzen - auch ohne Eigentümer zu sein. Die wichtigsten Erkenntnisse für die Praxis:
Schutz für Mieter und Pächter
Auch als Mieter oder Pächter sind Sie nicht schutzlos, wenn Nachbarn Ihren Besitz beschädigen. Sie können direkt gegen den störenden Nachbarn vorgehen und müssen nicht den Umweg über Ihren Vermieter nehmen. Dies gilt insbesondere, wenn Sie ein Sondernutzungsrecht an bestimmten Bereichen haben.
Verstärkte Haftung für Bauherren
Wer Bauarbeiten in Auftrag gibt, muss besonders vorsichtig sein. Die Haftung beschränkt sich nicht auf selbst verursachte Schäden, sondern erstreckt sich auch auf Schäden durch beauftragte Unternehmen. Eine sorgfältige Auswahl der Baufirma und entsprechende Versicherungen sind daher unerlässlich.
Umfassender Schadensersatz möglich
Anders als bei manchen anderen Rechtsgrundlagen können Geschädigte hier nicht nur Nutzungsausfälle, sondern auch die vollständigen Reparaturkosten ersetzt verlangen. Dies gilt insbesondere, wenn der beschädigte Bereich vermietet wird und der Vermieter zur Instandhaltung verpflichtet ist.
Vorsicht bei pauschalen Schwarzbau-Vorwürfen
Der Fall zeigt auch: Pauschale Behauptungen, ein Bauwerk sei genehmigungswidrig erstellt, helfen nicht weiter. Solche Einwände müssen konkret und substantiiert vorgetragen werden. Viele bauliche Anlagen, die auf den ersten Blick problematisch erscheinen, können durchaus rechtmäßig sein.
Praktische Empfehlungen
Für Grundstücksnutzer ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen:
Als Geschädigter sollten Sie schnell handeln: Dokumentieren Sie Schäden umgehend und lassen Sie diese von einem Sachverständigen begutachten. Informieren Sie sowohl den Verursacher als auch dessen Versicherung schriftlich über die Schadensmeldung.
Als Bauherr sollten Sie vorsorgen: Prüfen Sie vor Baubeginn, welche Nachbargrundstücke betroffen sein könnten. Informieren Sie die Nachbarn über geplante Arbeiten und sorgen Sie für ausreichenden Versicherungsschutz. Eine Bauherrenhaftpflichtversicherung ist praktisch unverzichtbar.
Als Vermieter haben Sie besondere Rechte: Sie können auch dann umfassende Ansprüche geltend machen, wenn Sie nicht Eigentümer des beschädigten Bereichs sind. Ihre mietrechtlichen Pflichten geben Ihnen einen besonderen Schutz.
Dieses Urteil zeigt, dass das Nachbarrecht auch in komplexen Eigentumsverhältnissen praktikable Lösungen bietet. Der Besitzschutz wird damit erheblich gestärkt - ein wichtiger Baustein für ein konfliktfreies Miteinander in dicht besiedelten Gebieten.
Quelle: OLG München, Urteil vom 28.07.2025 - 19 U 2640/24
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