Zwangsräumung bei Hochschwangeren: BVerfG stoppt Vollstreckung


Dramatischer Eilfall vor höchstem Gericht
Eine hochschwangere Frau und ihre Familie standen unmittelbar vor dem Verlust ihrer Wohnung. Die Zwangsräumung war für den 19. Mai 2025 angesetzt - nur vier Tage bevor sich die Frau einem geplanten Kaiserschnitt unterziehen sollte. Als Ersatzunterkunft bot die Gemeinde lediglich Container an. In letzter Minute wandte sich die Familie an das Bundesverfassungsgericht, das die Vollstreckung einstweilen stoppte.
Amtsgericht zweifelt an Schwangerschaft trotz Krankenhausbericht
Die Familie hatte zunächst beim zuständigen Amtsgericht Räumungsschutz beantragt. Sie legte einen Krankenhausbericht vor, der den bevorstehenden Kaiserschnitt bestätigte. Zusätzlich kritisierte sie die geplante Unterbringung in Containern als unzumutbar, da dort keine ausreichende medizinische und hygienische Versorgung für eine frisch entbundene Mutter und ihr Neugeborenes gewährleistet sei.
Das Amtsgericht zeigte sich jedoch wenig beeindruckt. Obwohl ein offizieller Krankenhausbericht vorlag, bezweifelte es zunächst die Schwangerschaft. In seinem Beschluss formulierte das Gericht, die Frau sei "erneut schwanger geworden sein soll" - eine Wortwahl, die bereits die Skepsis der Richter widerspiegelte.
"Geradezu fahrlässige" Schwangerschaft?
Noch schwerwiegender war die Begründung des Amtsgerichts: Die erneute Schwangerschaft sei angesichts der finanziellen Situation der Familie "geradezu fahrlässig". Deshalb könne sich die Familie nicht auf staatliche Schutzpflichten berufen. Eine sofortige Beschwerde der Familie gegen diese Entscheidung blieb erfolglos.
Verfassungsrichter greifen durch
Das Bundesverfassungsgericht sah die Sache völlig anders. In seinem Beschluss vom 18. Mai 2025 setzte es die Zwangsräumung vorläufig aus - zunächst für maximal sechs Monate. Die Karlsruher Richter kritisierten das Vorgehen des Amtsgerichts scharf und erinnerten an grundlegende verfassungsrechtliche Prinzipien.
Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit steht nicht zur Disposition. Wenn eine Zwangsräumung schwerwiegende Gesundheitsgefahren mit sich bringt, müssen die Gerichte diese Risiken sorgfältig prüfen. Das Amtsgericht hatte diese Prüfung versäumt.
Staatliche Schutzpflicht bei Gesundheitsgefahren
Die Verfassungsrichter betonten, dass aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit eine staatliche Schutzpflicht erwächst. Wenn Mieter substantiiert vortragen, dass eine Zwangsräumung ihre Gesundheit gefährdet, müssen die Vollstreckungsgerichte dies ernst nehmen und gründlich untersuchen.
Besonders problematisch: Das Amtsgericht hatte die erforderliche Interessenabwägung zwischen Vermieter und Mietern komplett unterlassen. Stattdessen verwies es pauschal darauf, dass bereits kein Härtefall vorliege.
Container-Unterkunft nicht geprüft
Ein weiterer Kritikpunkt des Bundesverfassungsgerichts: Das Amtsgericht hatte nicht geprüft, ob die angebotene Container-Unterkunft den Mindeststandards einer menschenwürdigen Unterbringung entspricht. Gerade für eine Frau, die sich einem Kaiserschnitt unterziehen muss, und ihr Neugeborenes sind besondere hygienische und medizinische Anforderungen zu erfüllen.
Das Gericht hatte sich stattdessen darauf zurückgezogen, dass die Ordnungsbehörden für den Schutz der Familie zuständig seien. Diese Haltung ist verfassungsrechtlich bedenklich, so die Karlsruher Richter. Die Vollstreckungsgerichte können sich nicht einfach auf die Zuständigkeit anderer Behörden berufen, ohne selbst die Verhältnismäßigkeit ihrer Maßnahmen zu prüfen.
Gesundheitsrisiken nicht nur während der Räumung
Das Bundesverfassungsgericht stellte klar, dass nicht nur die unmittelbaren Gefahren während des Räumungsvorgangs zu berücksichtigen sind. Auch die Lebens- und Gesundheitsgefahren nach der Zwangsräumung müssen in die Abwägung einbezogen werden.
Im konkreten Fall: Eine Zwangsräumung vier Tage vor einem geplanten Kaiserschnitt mit anschließender Unterbringung in einem Container stellt eine erhebliche Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit dar - sowohl für die Mutter als auch für das ungeborene Kind.
Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen
Die Verfassungsrichter führten eine sorgfältige Folgenabwägung durch. Auf der einen Seite standen die möglicherweise irreversiblen Gesundheitsschäden für Mutter und Kind. Auf der anderen Seite würde sich die Zwangsräumung für den Vermieter lediglich um einige Monate verzögern.
Das Ergebnis war eindeutig: Die der Familie drohenden Nachteile wiegen deutlich schwerer als die Nachteile für den Vermieter. Gesundheit und Leben haben Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen.
Nicht jede Schwangerschaft verhindert Räumung
Das Bundesverfassungsgericht betonte jedoch auch, dass nicht jede Schwangerschaft automatisch zu Räumungsschutz führt. Entscheidend ist immer die konkrete Situation im Einzelfall. Hier kam es auf die besondere Konstellation an: die unmittelbar bevorstehende Entbindung durch Kaiserschnitt, die unzureichende Ersatzunterkunft und die fehlende Aufklärung durch das Amtsgericht.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Mieter: Das Urteil stärkt die Rechte von Mietern, die sich in besonderen Notlagen befinden. Wenn eine Zwangsräumung schwerwiegende Gesundheitsgefahren mit sich bringt, müssen die Gerichte diese Risiken ernst nehmen und sorgfältig prüfen. Ein pauschaler Verweis auf die Eigenverantwortung oder die Zuständigkeit anderer Behörden reicht nicht.
Für Vermieter: Das Urteil bedeutet nicht, dass säumige Mieter nun beliebig Räumungsschutz erlangen können. Die Gerichte müssen aber eine faire Abwägung zwischen den Interessen beider Seiten vornehmen. Besondere Lebensumstände der Mieter können durchaus zu einer vorübergehenden Aussetzung der Zwangsvollstreckung führen.
Für die Rechtspraxis: Das Urteil mahnt alle Beteiligten zu größerer Sorgfalt. Vollstreckungsgerichte müssen bei Einwendungen gegen Zwangsräumungen eine gründliche Sachverhaltsaufklärung betreiben. Pauschale Ablehnungen ohne Prüfung der konkreten Umstände sind verfassungswidrig.
Die Entscheidung zeigt auch, dass der Schutz der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit nicht verhandelbar ist. Auch in Vollstreckungsverfahren müssen die Grundrechte der Betroffenen gewahrt bleiben.
Quelle: BVerfG, Beschluss vom 18.05.2025 - 2 BvQ 32/25
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