WEG: Anwaltskosten ohne Mahnung nicht erstattungsfähig
Der Fall: Streit um vorgerichtliche Anwaltskosten
Ein Wohnungseigentümer in Hamburg zahlte über mehrere Monate hinweg zu wenig Hausgeld. Der Grund war ein Umlaufbeschluss über den neuen Wirtschaftsplan für das Jahr 2025, von dem er nach eigenen Angaben nichts wusste. Während er bislang monatlich knapp zweihundert Euro bezahlte, hätte er aufgrund des neuen Beschlusses mehr als das Doppelte zahlen müssen. Die Differenz summierte sich schnell auf mehrere hundert Euro.
Die Eigentümergemeinschaft wartete nicht ab, sondern schaltete direkt ihren Anwalt ein. Dieser forderte den säumigen Eigentümer nicht nur zur Zahlung der offenen Hausgelder auf, sondern verlangte auch die Erstattung der Anwaltskosten. Der Eigentümer zahlte daraufhin die fehlenden Hausgelder nach, weigerte sich aber, die Anwaltskosten zu übernehmen. Die Eigentümergemeinschaft klagte vor dem Amtsgericht Hamburg-St. Georg auf Erstattung dieser Kosten.
Die rechtliche Ausgangslage: Wann sind Anwaltskosten erstattungsfähig?
Grundsätzlich kann eine Wohnungseigentümergemeinschaft die Kosten für einen Rechtsanwalt als Verzugsschaden geltend machen, wenn ein Eigentümer mit der Zahlung des Hausgeldes in Verzug gerät. Voraussetzung ist allerdings, dass der Schuldner tatsächlich in Verzug ist. Dies kann entweder durch eine Mahnung oder durch den Ablauf einer kalendermäßig bestimmten Zahlungsfrist eintreten.
Bei Beschlüssen über Hausgeldzahlungen, die in einer regulären Eigentümerversammlung gefasst werden, ist die Rechtslage meist klar: Ab einem bestimmten Datum ist ein bestimmter Betrag fällig. Komplizierter wird es jedoch bei sogenannten Umlaufbeschlüssen mit abgesenkter Mehrheit. Hierbei wird zunächst in einer Versammlung beschlossen, dass über einen bestimmten Punkt im schriftlichen Verfahren abgestimmt werden soll, ohne dass eine weitere Versammlung stattfindet.
Die Besonderheiten des Umlaufverfahrens
Das Gericht stellte klar, dass bei einem Umlaufbeschluss mit abgesenkter Mehrheit besondere Regeln gelten. Ein solcher Beschluss kommt erst dann zustande, wenn die Verwaltung das Beschlussergebnis feststellt und dieses allen Wohnungseigentümern mitteilt. Dabei reicht es aus, wenn die Mitteilung den internen Geschäftsbereich der Verwaltung verlassen hat und nach den gewöhnlichen Umständen davon ausgegangen werden kann, dass die Eigentümer davon Kenntnis nehmen können.
Entscheidend ist jedoch: Es muss nicht bei jedem einzelnen Eigentümer tatsächlich angekommen sein. Die Verwaltung muss also nicht nachweisen, dass jeder Eigentümer das Schreiben erhalten hat. Allerdings gilt auch: Wenn ein Eigentümer glaubhaft macht, dass er das Schreiben nicht erhalten hat und auch sonst keine Kenntnis vom Beschluss hatte, kann er sich nicht automatisch in Verzug befinden.
Die Pflichten des Wohnungseigentümers
Die klagende Eigentümergemeinschaft argumentierte, der Eigentümer hätte sich selbst bei der Verwaltung erkundigen müssen, wann der neue Wirtschaftsplan beschlossen wird und welche Hausgelder ab Januar fällig sind. Schließlich habe er ja gewusst, dass in der Eigentümerversammlung im Oktober ein Absenkungsbeschluss gefasst wurde, der ein späteres Umlaufverfahren vorsah.
Das Gericht wies diese Argumentation zurück. Ein Wohnungseigentümer ist nicht verpflichtet, regelmäßig bei der Verwaltung nachzufragen, ob und wann ein Umlaufverfahren gestartet wurde oder wann mit einem Beschlussergebnis zu rechnen ist. Vielmehr darf er davon ausgehen, dass die bisherigen Hausgelder unverändert fortgelten, solange er keine anderslautende Information erhält.
Das Wesen eines Umlaufbeschlusses mit abgesenkter Mehrheit bringt es mit sich, dass die Eigentümer nach der Versammlung zwar einen weiteren Beschluss fassen können, aber nicht müssen. Auch steht nicht fest, wann die Verwaltung das Umlaufverfahren initiiert. Erst mit dem Erhalt der Abstimmungsunterlagen und anschließend der Mitteilung des Beschlussergebnisses wird der Informationsmangel behoben.
Das Argument mit der digitalen Cloud
Die Verwaltung hatte in ihrem Schreiben an die Eigentümer darauf hingewiesen, dass weitere Informationen zur Abstimmung in der digitalen Cloud der Eigentümergemeinschaft hinterlegt seien. Um diese einsehen zu können, sei eine Registrierung erforderlich. Die Klägerin meinte, der Eigentümer hätte sich dort informieren können oder müssen.
Auch dieses Argument überzeugte das Gericht nicht. Es sei weder dargelegt noch ersichtlich, dass der Eigentümer automatisch von der Hinterlegung in der Cloud benachrichtigt worden sei. Ein anlassunabhängiger und ständiger Zugriff auf eine digitale Cloud mit dem Zweck, dort nach neuen Beschlüssen zu suchen, gehört nicht zu den Pflichten eines Wohnungseigentümers.
Die Entscheidung: Mahnung ist Voraussetzung
Das Amtsgericht Hamburg-St. Georg wies die Klage ab. Die Begründung: Zum Zeitpunkt der Einschaltung des Anwalts befand sich der Eigentümer nicht in Verzug. Er hatte keine Kenntnis vom neuen Wirtschaftsplan und den erhöhten Hausgeldern. Diese Unkenntnis hatte er auch nicht zu vertreten.
Das Gericht stellte klar: Die Kosten einer sogenannten Erstmahnung sind grundsätzlich nicht erstattungsfähig. Auch im Fall eines Umlaufbeschlusses mit abgesenkter Mehrheit muss die Verwaltung den säumigen Eigentümer zunächst mahnen, bevor sie einen Anwalt einschaltet. Erst dann können die Anwaltskosten als Verzugsschaden geltend gemacht werden.
Das Risiko, dass ein Schuldner den Zugang einer Mahnung bestreitet, ist ein allgemeines Risiko im Massenverkehr, das jeder Gläubiger trägt. Dies rechtfertigt es aber nicht, direkt ohne vorherige Mahnung einen Anwalt einzuschalten und die Kosten vom Schuldner zu verlangen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Wohnungseigentümergemeinschaften bedeutet dieses Urteil, dass sie bei der Durchsetzung von Hausgeldansprüchen sorgfältig vorgehen müssen. Auch wenn ein Eigentümer objektiv mit seinen Zahlungen im Rückstand ist, rechtfertigt dies nicht automatisch die sofortige Einschaltung eines Anwalts. Vielmehr muss zunächst eine Mahnung erfolgen. Diese sollte den Eigentümer deutlich auf die offenen Forderungen hinweisen und eine angemessene Frist zur Zahlung setzen.
Erst wenn diese Mahnung erfolglos bleibt, kann ein Anwalt eingeschaltet werden, dessen Kosten dann auch vom säumigen Eigentümer zu tragen sind. Wer diesen Zwischenschritt überspringt, riskiert, auf den Anwaltskosten sitzen zu bleiben.
Für Wohnungseigentümer bedeutet das Urteil eine gewisse Entlastung. Sie müssen nicht ständig befürchten, mit Anwaltskosten belastet zu werden, wenn sie aufgrund einer fehlerhaften Informationskette von Beschlüssen nichts wissen. Gleichzeitig sollten Eigentümer aber auch ihre eigenen Pflichten ernst nehmen. Wer über längere Zeit keine Informationen von der Verwaltung erhält, insbesondere zum Jahreswechsel keinen neuen Wirtschaftsplan bekommt, sollte durchaus nachfragen. Auch wenn keine rechtliche Pflicht dazu besteht, kann dies helfen, spätere Probleme zu vermeiden.
Besonders wichtig ist die Klarstellung zur digitalen Cloud: Eine Wohnungseigentümergemeinschaft kann nicht erwarten, dass Eigentümer regelmäßig und von sich aus in digitalen Plattformen nach neuen Beschlüssen oder Informationen suchen. Die aktive Information der Eigentümer bleibt Aufgabe der Verwaltung.
Quelle: AG Hamburg-St. Georg, Urteil vom 18.08.2025, Az. 980b C 18/25 WEG, IMRRS 2025, 1233
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