Vorkaufsrecht: Wann liegt Treuwidrigkeit vor?


Der Ausgangssachverhalt im Überblick
Eine Betreiberin von Bowlingbahnen verfügte über ein dingliches Vorkaufsrecht an einem Gewerbegrundstück. Als die Eigentümer das Grundstück für einen Kaufpreis von über drei Millionen Euro verkauften, machte die Bowling-Betreiberin von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch. Der ursprüngliche Kaufvertrag sah eine Anzahlung vor, die bereits vor der notariellen Beurkundung geleistet worden war.
Die Vorkaufsberechtigte wurde ordnungsgemäß über den geplanten Verkauf informiert und erhielt eine zweimonatige Frist zur Entscheidung. Kurz vor Ablauf dieser Frist teilte sie sowohl dem Notar als auch den Verkäufern schriftlich mit, dass sie von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen werde.
Nach der Ausübung des Vorkaufsrechts setzte die Käuferseite der Bowling-Betreiberin eine kurze Frist zur Zahlung der Anzahlung. Diese Frist ließ sie verstreichen, ohne die geforderte Summe zu überweisen. Daraufhin kündigte der Notar an, den ursprünglichen Kaufvertrag zu vollziehen.
Zentrale Streitpunkte vor Gericht
Wirksamkeit der Vorkaufsrechtsausübung
Der erste Streitpunkt betraf die Frage, ob das Vorkaufsrecht überhaupt wirksam ausgeübt worden war. Die Gegenseite argumentierte, dass die Schreiben lediglich eine Ankündigung einer zukünftigen Ausübung darstellten, nicht aber eine bereits verbindliche Erklärung.
Das Gericht stellte jedoch fest, dass bei verständiger Auslegung der Schreiben eindeutig eine sofortige Ausübung des Vorkaufsrechts erklärt worden war. Entscheidend war der Wortlaut "vom Vorkaufsrecht Gebrauch machen", der im Präsens formuliert war und nicht auf zukünftiges Handeln verwies.
Treuwidrigkeit wegen fehlender Anzahlung
Der Hauptstreitpunkt lag in der Frage der Treuwidrigkeit. Die Käuferseite behauptete, die Bowling-Betreiberin sei finanziell nicht in der Lage gewesen, die erforderliche Anzahlung zu leisten. Dies mache die Ausübung des Vorkaufsrechts treuwidrig.
Bedeutung nachträglicher Fristsetzungen
Ein weiterer zentraler Punkt war die Relevanz der nach der Vorkaufsrechtsausübung gesetzten Frist für die Anzahlung. Die Gegenseite sah in deren Nichteinhaltung einen Beleg für die Treuwidrigkeit der ursprünglichen Ausübung.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts
Maßgeblicher Zeitpunkt für Treuwidrigkeitsprüfung
Das Gericht stellte eine wichtige Grundregel auf: Für die Prüfung der Treuwidrigkeit ist ausschließlich der Zeitpunkt der Vorkaufsrechtsausübung maßgeblich. Spätere Ereignisse oder nachträglich gesetzte Fristen können die Ausübung nicht rückwirkend treuwidrig werden lassen.
Diese Klarstellung ist von erheblicher praktischer Bedeutung. Vorkaufsverpflichtete können nicht durch das Setzen unrealistisch kurzer Fristen nach der Ausübung die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Erklärung in Frage stellen.
Anforderungen an die finanzielle Leistungsfähigkeit
Besonders bemerkenswert ist die gerichtliche Aussage zu den Anforderungen an die finanzielle Leistungsfähigkeit. Treuwidrigkeit wegen mangelnder Zahlungsfähigkeit liegt nur vor, wenn es bereits bei der Ausübung "auf der Hand lag", dass der Vorkaufsberechtigte seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllen kann.
Das Gericht bezog sich dabei auf eine alte Rechtsprechung des Reichsgerichts, wonach die Vermögensverhältnisse so unzulänglich sein müssen, dass an die Erfüllung des Vertrags "von vornherein überhaupt nicht" gedacht werden kann.
Berücksichtigung von Fremdfinanzierung
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Entscheidung betrifft die Finanzierung. Das Gericht stellte klar, dass bei der Prüfung der Leistungsfähigkeit nicht nur Eigenmittel, sondern auch eine mögliche Fremdfinanzierung zu berücksichtigen sind.
Im konkreten Fall hatte die Bowling-Betreiberin wenige Wochen nach der Vorkaufsrechtsausübung einen Darlehensvertrag abgeschlossen, der sowohl die Anzahlung als auch den restlichen Kaufpreis abdeckte. Dies sprach gegen eine offensichtliche Zahlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Ausübung.
Praktische Bedeutung für Vertragsgestaltung
Verwahranweisungen bei Anzahlungen
Das Urteil wirft auch ein Licht auf die Problematik von Verwahranweisungen. Die Bowling-Betreiberin hatte nach der Vorkaufsrechtsausübung beim Notar um den Abschluss einer eigenständigen Verwahranweisung für die Anzahlung gebeten.
Das Gericht stellte fest, dass ein solcher Wunsch die Ausübung nicht treuwidrig macht. Grundsätzlich darf ein Notar Gelder nur gegen entsprechende Verwahrverträge entgegennehmen. Der Wunsch nach klaren vertraglichen Regelungen ist daher legitim und rechtlich sinnvoll.
Unterscheidung zwischen Erst- und Folgeverpflichtungen
Eine wichtige Unterscheidung traf das Gericht zwischen den Verpflichtungen aus dem ursprünglichen Kaufvertrag und nachträglich aufgestellten Forderungen. Nur die Verpflichtungen, die der Vorkaufsberechtigte dem Erstvertrag entnehmen konnte, sind für die Treuwidrigkeitsprüfung relevant.
Nachträgliche Forderungen oder Fristen, die nicht im ursprünglichen Vertrag enthalten waren, können die Ausübung nicht treuwidrig erscheinen lassen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Vorkaufsberechtigte
Das Urteil stärkt die Position von Vorkaufsberechtigten erheblich. Sie müssen bei der Ausübung ihres Rechts nicht befürchten, dass nachträgliche Entwicklungen oder kurze Fristen ihre ursprünglich rechtmäßige Erklärung treuwidrig werden lassen.
Wichtig ist jedoch, dass zum Zeitpunkt der Ausübung zumindest eine realistische Aussicht auf die Finanzierung besteht. Eine völlig aussichtslose finanzielle Situation würde weiterhin zur Treuwidrigkeit führen.
Für Verkäufer und Käufer
Verkäufer und potenzielle Käufer sollten sich bewusst sein, dass sie durch das Setzen sehr kurzer Fristen nach einer Vorkaufsrechtsausübung deren Wirksamkeit nicht rückwirkend beseitigen können.
Sollen hohe Anforderungen an die Bonität gestellt werden, müssen diese bereits im ursprünglichen Kaufvertrag verankert werden. Nachträgliche Verschärfungen sind rechtlich problematisch.
Empfehlungen für die Praxis
Bei der Gestaltung von Kaufverträgen mit bestehenden Vorkaufsrechten sollten alle Beteiligten bedenken, dass der Vorkaufsberechtigte in die gleichen Rechte und Pflichten eintritt wie der ursprüngliche Käufer.
Sollen besondere Anforderungen an Anzahlungen oder Finanzierungsnachweise gestellt werden, müssen diese klar und eindeutig im Vertrag geregelt werden. Vage Formulierungen führen zu Rechtsunsicherheit.
Vorkaufsberechtigte sollten ihrerseits vor der Ausübung ihre Finanzierungsmöglichkeiten realistisch einschätzen und gegebenenfalls entsprechende Vorbereitungen treffen.
Fazit für die Rechtsanwendung
Das Urteil des OLG Frankfurt am Main schafft wichtige Rechtssicherheit in einem komplexen Bereich des Immobilienrechts. Es stärkt die Rechte der Vorkaufsberechtigten und verhindert, dass deren berechtigte Interessen durch nachträgliche Manöver ausgehebelt werden können.
Gleichzeitig bleibt der Grundsatz bestehen, dass Vorkaufsrechte nicht missbräuchlich ausgeübt werden dürfen. Die Hürden für die Annahme einer Treuwidrigkeit sind jedoch hoch und erfordern eine offensichtliche Unmöglichkeit der Vertragserfüllung bereits zum Zeitpunkt der Ausübung.
Quelle: OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 12.12.2023 – 11 U 160/21, BWNotZ 2024, 20
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