Vorkaufsrecht gilt auch bei Teileigentum


Neue Rechtslage schützt Mieter vor kreativen Umgehungen
In einem wegweisenden Urteil vom 21. Mai 2025 hat der Bundesgerichtshof die Rechte von Mietern erheblich gestärkt. Die Richter des VIII. Zivilsenats entschieden, dass das gesetzliche Vorkaufsrecht des Mieters nach § 577 BGB nicht nur bei der Umwandlung in Wohnungseigentum greift, sondern in analoger Anwendung auch bei der Begründung von Teileigentum an vermieteten Wohnräumen.
Diese Entscheidung schließt eine wichtige Rechtslücke und verhindert, dass Vermieter durch geschickte rechtliche Gestaltungen das Vorkaufsrecht ihrer Mieter umgehen können. Für Mieter bedeutet dies einen deutlich besseren Schutz vor Verdrängung durch neue Eigentümer.
Der Fall aus Stuttgart: Wenn Teileigentum statt Wohnungseigentum entsteht
Der konkrete Fall verdeutlicht die Problematik: Ein Mieter bewohnte seit September 2006 eine Wohnung in einem Mehrparteienhaus mit zwölf Einheiten in Stuttgart. Als die Grundstückseigentümerin verstarb, begründete der Testamentsvollstrecker im Dezember 2017 an den vermieteten Räumen überraschend Teileigentum statt des üblichen Wohnungseigentums.
Ende Dezember 2017 verkaufte er dann mehrere Einheiten des Gebäudes für insgesamt knapp drei Millionen Euro an eine Gesellschaft. Auf die Wohnung des Mieters entfielen dabei über eine halbe Million Euro. Die Käuferin informierte den Mieter im Januar 2018 über den Verkauf und teilte ihm mit, dass ihm ein Vorkaufsrecht zustehe, das er innerhalb von zwei Monaten ausüben müsse.
Im März 2018 erhielt der Mieter zusätzlich die Teilungserklärung und den Aufteilungsplan. Erst im August 2019 - also mehr als ein Jahr später - erklärte er die Ausübung seines Vorkaufsrechts. Zu diesem Zeitpunkt war die Wohnung bereits im Juli 2018 auf die neue Eigentümerin übertragen worden, die sie später für über eine halbe Million Euro weiterverkaufte.
Was unterscheidet Teileigentum von Wohnungseigentum?
Wohnungseigentum entsteht, wenn eine Wohnung in einem Gebäude als eigenständige Einheit verkauft wird. Der Eigentümer besitzt dann sowohl die Wohnung selbst als auch einen Anteil am Gemeinschaftseigentum des Gebäudes.
Teileigentum hingegen bezieht sich auf Räume, die nicht zu Wohnzwecken dienen - etwa Gewerberäume, Praxen oder Büros. Diese Unterscheidung ist im Wohnungseigentumsgesetz festgelegt und hat rechtlich verschiedene Konsequenzen.
In dem Stuttgarter Fall war die Situation besonders, da die Räume faktisch als Wohnung genutzt wurden, rechtlich aber als Teileigentum begründet wurden. Dies geschah möglicherweise in der Annahme, dass dann kein Vorkaufsrecht des Mieters entstehe.
BGH schließt Schutzlücke durch analoge Anwendung
Der Bundesgerichtshof sah in dieser Gestaltung eine planwidrige Regelungslücke. Die Richter argumentierten, dass der Gesetzgeber bei der Einführung des Vorkaufsrechts für Mieter nicht bedacht habe, dass vermietete Wohnräume auch als Teileigentum begründet werden könnten.
Die Kernbegründung des BGH: Das Schutzbedürfnis des Mieters ist bei der Begründung von Teileigentum genauso hoch wie bei Wohnungseigentum. In beiden Fällen droht dem Mieter nach einem Verkauf ein neuer Vermieter, der sich auf Eigenbedarf berufen und eine Kündigung aussprechen könnte.
Die analoge Anwendung des § 577 BGB auf Teileigentum entspricht daher dem Schutzzweck der Norm und der Intention des Gesetzgebers. Mieter sollen vor spekulativen Umwandlungen und der damit verbundenen Verdrängung geschützt werden.
Strenge Fristregeln dulden keine Nachlässigkeit
Trotz der grundsätzlich mietfreundlichen Entscheidung ging der Mieter aus Stuttgart leer aus. Der Grund: Er hatte die Ausübungsfrist für das Vorkaufsrecht verpasst. Das Gericht betonte nachdrücklich, dass es sich bei der zweimonatigen Frist um eine strenge Ausschlussfrist handelt.
Wichtige Fristregeln im Überblick:
- Die Frist beginnt mit dem Zugang der vollständigen Mitteilung über den Verkauf
- Sie beträgt grundsätzlich zwei Monate
- Nach Ablauf erlischt das Vorkaufsrecht unwiderruflich
- Selbst eine nachträgliche Zustimmung des Verkäufers kann die Frist nicht erneuern
Im konkreten Fall hatte der Mieter spätestens im März 2018 alle notwendigen Informationen erhalten. Die Frist war daher bereits im Mai 2018 abgelaufen - mehr als ein Jahr vor seiner tatsächlichen Ausübungserklärung.
Vergebliche Hoffnung auf Fristverlängerung
Besonders bitter für den Mieter: Im Dezember 2018 hatte der Verkäufer ihm noch einmal schriftlich mitgeteilt, er könne sich überlegen, ob er die Wohnung erwerben wolle. Der Mieter hoffte, damit sei eine neue Frist in Gang gesetzt worden.
Der BGH wies diese Hoffnung jedoch zurück. Die Ausschlussfrist sei nach ihrem Ablauf nicht mehr der Disposition der Parteien zugänglich. Auch eine nachträgliche Genehmigung oder ein neues Angebot könne das bereits erloschene Vorkaufsrecht nicht wieder zum Leben erwecken.
Diese strikte Rechtsprechung dient der Rechtssicherheit. Verkäufer und Käufer sollen sich darauf verlassen können, dass nach Ablauf der Frist keine nachträglichen Ansprüche mehr entstehen.
Schutz vor überhöhten Kaufpreisen bleibt begrenzt
Der Mieter hatte auch argumentiert, der Verkäufer habe durch einen überhöhten Kaufpreis für seine Wohnung die Ausübung des Vorkaufsrechts erschwert. Auch diesem Argument folgte das Gericht nicht.
Die im Kaufvertrag festgesetzten Preise zeigten nach Ansicht der Richter kein auffälliges Missverhältnis. Grundsätzlich ist der Vorkaufsberechtigte an den im ursprünglichen Kaufvertrag vereinbarten Preis gebunden - auch wenn dieser ihm zu hoch erscheint.
Schutz vor rechtsmissbräuchlichen Gestaltungen bieten lediglich die allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über Sittenwidrigkeit und Treu und Glauben.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Mieter bedeutet diese Entscheidung:
- Erweiterten Schutz vor Umgehungsversuchen durch Vermieter
- Vorkaufsrecht besteht auch bei ungewöhnlichen Eigentumsformen
- Höchste Aufmerksamkeit bei Fristwahrung ist erforderlich
- Bei Verkaufsmitteilungen sollte sofort juristischer Rat eingeholt werden
Für Vermieter und Immobilieneigentümer gilt:
- Die Begründung von Teileigentum umgeht das Vorkaufsrecht nicht mehr
- Ordnungsgemäße und vollständige Information der Mieter ist unerlässlich
- Die Gestaltungsfreiheit bei Umwandlungen wird eingeschränkt
Das Urteil stärkt die Position der Mieter erheblich und schließt eine wichtige Rechtslücke. Gleichzeitig zeigt es aber auch, wie wichtig die strikte Einhaltung der gesetzlichen Fristen ist. Mieter, die eine Verkaufsmitteilung erhalten, sollten daher umgehend fachkundigen Rat einholen, um ihre Rechte nicht durch Fristversäumnis zu verlieren.
Die Entscheidung des BGH macht deutlich: Der Schutz vor Verdrängung durch neue Eigentümer hat für den Gesetzgeber hohe Priorität. Kreative rechtliche Gestaltungen, die diesen Schutz umgehen sollen, werden von den Gerichten kritisch geprüft und gegebenenfalls durchkreuzt.
Quelle: BGH, Urteil vom 21. Mai 2025 - VIII ZR 201/23
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