Sittenwidriger Grundstückskauf: Verkäufer kann Rückgabe fordern
Der Fall: Grundstücksverkauf nach Ehekrise
Eine Frau besaß gemeinsam mit ihrem Ehemann ein Grundstück. Nach der Trennung verkaufte sie im Rahmen eines notariellen Vertrags Miteigentumsanteile an zwei Käufer. Anstelle eines Kaufpreises in Geld übernahmen die Käufer lediglich die Verpflichtung, sie von einem Teil der Darlehensschulden zu befreien. Die Käufer wurden anschließend als neue Miteigentümer in das Grundbuch eingetragen.
Später kam es zum Streit. Die Verkäuferin war der Überzeugung, dass der tatsächliche Wert ihrer Anteile den vereinbarten Gegenwert deutlich überstieg. Sie forderte deshalb die Rückübertragung der Miteigentumsanteile und berief sich darauf, dass der Kaufvertrag wegen eines groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung sittenwidrig und damit nichtig sei.
Das zentrale Problem: Wann ist ein Vertrag sittenwidrig?
Nach deutschem Recht ist ein Vertrag sittenwidrig und damit nichtig, wenn zwischen der Leistung des Verkäufers und der Gegenleistung des Käufers ein auffälliges Missverhältnis besteht. Zusätzlich muss mindestens ein weiterer Umstand hinzukommen, etwa eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten. Bei Grundstücksgeschäften gilt als Faustregel: Ein besonders grobes Missverhältnis liegt vor, wenn der Wert der einen Leistung mindestens 90 Prozent über dem Wert der anderen liegt. In diesem Fall vermutet das Gericht automatisch eine verwerfliche Gesinnung des begünstigten Käufers.
Die Verkäuferin trug vor, dass der Verkehrswert des gesamten Grundstücks zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erheblich höher gewesen sei als die übernommene Schuldenbefreiung. Das Landgericht und das Kammergericht wiesen die Klage jedoch ab. Ihre Begründung: Die Verkäuferin habe nicht ausreichend dargelegt, wie viel die Miteigentumsanteile konkret wert seien. Außerdem sei die Auflassung als abstraktes Verfügungsgeschäft wirksam geblieben.
Die BGH-Entscheidung: Zwei wichtige Klarstellungen
Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung des Kammergerichts auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung zurück. Das Urteil enthält zwei grundlegende Aussagen, die für alle Grundstücksverkäufer relevant sind.
Erstens stellte der BGH klar, dass der Kaufvertrag der rechtliche Grund für den Eigentumserwerb ist und nicht die Auflassung. Das Berufungsgericht hatte fehlerhaft angenommen, dass die Auflassung als „wertneutrales" Rechtsgeschäft von der Sittenwidrigkeit nicht betroffen sei. Der BGH widersprach: Auch wenn die Eigentumsübertragung selbst wirksam bleibt, entfällt durch die Nichtigkeit des Kaufvertrags der rechtliche Grund für den Eigentumserwerb. Der Verkäufer kann daher vom Käufer die Rückübertragung des Eigentums verlangen.
Der Anspruch auf Rückübertragung des Grundeigentums setzt gerade voraus, dass der Käufer wirksam Eigentum erworben hat. Der rechtliche Grund für diesen Erwerb liegt aber im Kaufvertrag, nicht in der Auflassung.
Zweitens erleichterte der BGH die Beweisführung bei Miteigentumsanteilen erheblich. Das Landgericht hatte von der Verkäuferin verlangt, den konkreten Wert ihrer Miteigentumsanteile darzulegen. Es argumentierte, der Wert von Miteigentum könne nicht einfach anteilig vom Gesamtwert des Grundstücks abgeleitet werden.
Der BGH sah das anders: Grundsätzlich entspricht der Verkehrswert eines Miteigentumsanteils seinem rechnerischen Anteil am Verkehrswert des gesamten Grundstücks. Der Grund liegt in den Rechten des Miteigentümers: Er kann entweder eine Realteilung des Grundstücks verlangen oder über eine Teilungsversteigerung seinen Anteil am Erlös erhalten. Wer sich auf ein sittenwidriges Geschäft beruft, muss daher nur den Wert des Gesamtgrundstücks darlegen. Eine separate Bewertung des Miteigentumsanteils ist nicht erforderlich.
Praktische Konsequenzen für das weitere Verfahren
Der BGH verwies den Fall an einen anderen Senat des Kammergerichts zurück. Dieses muss nun prüfen, ob tatsächlich ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorlag. Sollte dies der Fall sein, wird eine verwerfliche Gesinnung der Käufer vermutet. Die Käufer müssten dann diese Vermutung widerlegen.
Im konkreten Fall war das Grundstück zwischenzeitlich im Rahmen einer Teilungsversteigerung an einen Dritten zugeschlagen worden. Dadurch können die Käufer das Eigentum nicht mehr ohne Weiteres zurückübertragen. Die Verkäuferin hat jedoch die Möglichkeit, ihren Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Käufer weiterzuverfolgen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie ein Grundstück oder Miteigentumsanteile verkauft haben und vermuten, dass Sie dabei erheblich benachteiligt wurden, gibt Ihnen dieses Urteil wichtige Argumente an die Hand. Sie müssen bei Miteigentumsanteilen nicht den konkreten Wert Ihres Anteils nachweisen. Es genügt, den Verkehrswert des gesamten Grundstücks darzulegen und daraus den rechnerischen Anteil abzuleiten.
Liegt der Wert Ihrer Leistung mindestens 90 Prozent über dem Wert der Gegenleistung, spricht eine Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung des Käufers. Der Kaufvertrag ist dann sittenwidrig und nichtig. Sie können vom Käufer die Rückübertragung des Eigentums verlangen. Ist dies nicht mehr möglich, etwa weil das Grundstück weiterverkauft wurde, kommen Schadensersatzansprüche in Betracht.
Für Käufer bedeutet das Urteil umgekehrt ein erhöhtes Risiko: Wer Grundstücke oder Anteile deutlich unter Wert erwirbt, muss damit rechnen, dass der Vertrag später angefochten wird. Das Gericht wird eine verwerfliche Gesinnung vermuten, die der Käufer nur schwer widerlegen kann.
Grundsätze des Urteils
- Bei Nichtigkeit nur des Kaufvertrags nach § 138 Abs. 1 BGB kann der Verkäufer Rückübertragung des Eigentums verlangen; bei Nichtigkeit auch der Auflassung nach § 138 Abs. 2 BGB ist Grundbuchberichtigung der richtige Anspruch
- Der Verkehrswert eines Miteigentumsanteils entspricht grundsätzlich dessen rechnerischem Anteil am Gesamtgrundstückswert
- Für die Darlegung eines sittenwidrigen Geschäfts genügen Angaben zum Verkehrswert des Grundstücks; eine separate Bewertung des Miteigentumsanteils ist nicht erforderlich
- Ein besonders grobes Missverhältnis liegt vor, wenn der Wert einer Leistung mindestens 90 Prozent über dem Wert der anderen liegt
- Aus einem solchen Missverhältnis wird eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten vermutet
Quelle: BGH, Urteil vom 07.11.2025 – V ZR 155/24
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