Optische Mängel können Bezugsfertigkeit verhindern


Der Fall aus Berlin
Eine Wohnungskäuferin hatte von einer Bauträgerin eine Wohnung in Berlin erworben. Die Übergabe sollte ursprünglich zum 31. Januar 2016 erfolgen. Doch die Wohnung wies zwei gravierende Mängel auf: Die Treppe vom Wohnzimmer zur Dachterrasse war entgegen der vertraglichen Vereinbarung nicht aus Sichtbeton gefertigt, sondern aus Stahl mit Verkleidung. Zudem war sie deutlich steiler als in der Verkaufsvisualisierung dargestellt - statt der geplanten 16 Stufen hatte sie nur 13 Stufen.
Die Bauträgerin forderte dennoch die sechste Kaufpreisrate in Höhe von über 90.000 Euro und bot die Wohnungsübergabe an. Die Käuferin verweigerte jedoch die Abnahme und verlangte zunächst die Beseitigung der Mängel.
Streit um die Bezugsfertigkeit
Kann eine Wohnung trotz optischer Mängel bezugsfertig sein?
Die Bauträgerin argumentierte, die Wohnung sei bezugsfertig gewesen, da sie bewohnbar war und die Mängel rein optischer Natur seien. Die Treppe funktioniere einwandfrei, nur das Material und die Steigung entsprächen nicht den ursprünglichen Plänen.
Die Käuferin hingegen bestand darauf, dass wesentliche Abweichungen von der vertraglichen Vereinbarung die Bezugsfertigkeit verhindern - unabhängig davon, ob die Wohnung theoretisch bewohnbar ist.
Klare Rechtsprechung des Kammergerichts
Das Kammergericht Berlin entschied eindeutig zugunsten der Käuferin und stellte drei wichtige Grundsätze auf:
Eine Wohnung ist nur dann bezugsfertig, wenn sie dauerhaft bezogen werden kann. Es reicht nicht aus, dass sie vorübergehend bewohnbar ist. Entscheidend ist vielmehr, ob der Käufer die Wohnung langfristig nutzen kann, ohne dass weitere Baumaßnahmen erforderlich sind.
Auch optische Mängel können die Bezugsfertigkeit verhindern, wenn sie wesentlich sind. Die Richter stellten klar, dass nicht nur funktionale Mängel relevant sind. Weicht die Ausführung erheblich von der vertraglichen Vereinbarung ab, kann dies die Bezugsfertigkeit ausschließen - selbst wenn die Wohnung grundsätzlich bewohnbar wäre.
Die Unverhältnismäßigkeit der Mängelbeseitigung muss konkret dargelegt werden. Nur wenn die Bauträgerin detailliert darlegt, dass die Kosten für die Mängelbeseitigung unverhältnismäßig hoch wären, kann sie sich auf diese Einwendung berufen.
Gescheiterter Rücktritt verschärft die Lage
Die Situation verschärfte sich zusätzlich, als die Bauträgerin im Juli 2016 vom Vertrag zurücktrat. Dieser Rücktritt erwies sich später als unwirksam. Das Kammergericht machte deutlich, dass sich eine Bauträgerin nicht gleichzeitig auf einen Rücktritt berufen und dann erwarten kann, dass der Käufer trotzdem zahlt.
Die Richter betonten, dass wer den Rücktritt erklärt, damit zu verstehen gibt, am Vertrag nicht mehr festhalten zu wollen. In einem solchen Fall kann sich die Bauträgerin nicht mehr auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen, selbst wenn der Käufer seinerseits noch ausstehende Zahlungen nicht leistet.
Hoher Schadensersatz nach langjährigem Verzug
Das Gericht verurteilte die Bauträgerin zur Zahlung von über 208.000 Euro Schadensersatz. Dieser Betrag setzte sich hauptsächlich aus entgangenen Mieteinnahmen zusammen, die den Käufern dadurch entstanden, dass sie ihre bisherigen Wohnungen in einer anderen Stadt nicht wie geplant vermieten konnten.
Die Käufer mussten 67 Monate lang - von Mai 2016 bis November 2021 - auf die ordnungsgemäße Übergabe warten. In dieser Zeit entstanden ihnen monatlich Kosten von über 3.000 Euro durch entgangene Mieteinnahmen. Hinzu kamen Stornierungskosten für bereits bestellte Möbel und Lagerkosten.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Wohnungskäufer ist das Urteil ein wichtiges Signal: Sie müssen sich nicht mit wesentlichen Abweichungen von der vertraglichen Vereinbarung abfinden, auch wenn diese "nur" optischer Natur sind. Entspricht die gelieferte Wohnung nicht dem vereinbarten Standard, können sie die Abnahme verweigern und Schadensersatz fordern.
Für Bauträger verschärft die Entscheidung die Anforderungen an die vertragsgemäße Fertigstellung. Optische Mängel können nicht mehr als nebensächlich abgetan werden. Will sich ein Bauträger auf unverhältnismäßige Kosten der Mängelbeseitigung berufen, muss er dies konkret und detailliert darlegen.
Praktischer Tipp: Dokumentieren Sie als Käufer alle Abweichungen von der ursprünglichen Planung sorgfältig. Auch scheinbar geringfügige optische Mängel können bei wesentlichen Bauteilen wie Treppen rechtlich relevant sein.
Das Urteil zeigt, dass die Gerichte hohe Standards an die Vertragserfüllung bei Bauträgerprojekten anlegen. Käufer haben starke Rechte, wenn die gelieferte Wohnung nicht dem entspricht, was vertraglich vereinbart wurde.
Quelle: Kammergericht Berlin, Urteil vom 24.06.2025, Az. 21 U 156/24
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