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Wohnungseigentümer haften nicht automatisch für insolvente Miteigentümer

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Wenn ein Eigentümer in einer Wohnungseigentümergemeinschaft insolvent wird, müssen die anderen Eigentümer nicht automatisch für dessen Ausfälle aufkommen. Das entschied das Amtsgericht Hannover in einem aktuellen Fall.
modernes Mehrfamilienhaus mit Gewerbe im Erdgeschoss
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Was war passiert?

Eine komplexe Situation entwickelte sich im bekannten Ihme-Zentrum in Hannover, einem großen Gebäudekomplex mit Wohnungen und Gewerbeeinheiten. Die Wohnungseigentümergemeinschaft hatte durch einen gerichtlichen Vergleich eine besondere Regelung getroffen: Nur die Gewerbeeigentümer sollten für bestimmte Sonderumlagen zur Instandhaltung aufkommen, während die Wohnungseigentümer davon befreit waren.

Diese Regelung schien zunächst für alle Beteiligten fair und praktikabel. Doch dann trat ein Problem auf, das in Wohnungseigentümergemeinschaften immer wieder vorkommt: Ein Eigentümer geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Die P. GmbH, ein Gewerbeeigentümer mit einem sehr hohen Anteil von 78,46 Prozent der Gewerbeimmobilien, wurde insolvent und konnte ihren Anteil an einer Sonderumlage in Höhe von fast vier Millionen Euro nicht mehr zahlen.

Der Versuch, andere in die Pflicht zu nehmen

Die Wohnungseigentümergemeinschaft suchte nach einem Weg, das entstandene Finanzloch zu stopfen. Ihr Blick fiel auf die Landeshauptstadt Hannover, die ebenfalls Eigentümerin einer Gewerbeeinheit in dem Komplex war. Die WEG argumentierte: Wenn mehrere Eigentümer gemeinsam zu einer Zahlung verpflichtet sind, müssten sie als Gesamtschuldner füreinander einstehen. Das würde bedeuten, dass die Stadt Hannover für den kompletten Ausfall der insolventen P. GmbH hätte aufkommen müssen.

Die WEG forderte zunächst einen Teilbetrag von 100.000 Euro von der Stadt. Sie berief sich darauf, dass in der Gemeinschaftsordnung von der "Gesamtheit der Raumeigentümer" die Rede war, die für die Kosten aufkommen sollte. Diese Formulierung sollte nach Ansicht der WEG eine gesamtschuldnerische Haftung begründen.

Die Rechtslage bei Gesamtschulden

Um die Entscheidung des Gerichts zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, was eine Gesamtschuld rechtlich bedeutet. Bei einer Gesamtschuld können mehrere Personen für dieselbe Verbindlichkeit in Anspruch genommen werden. Der Gläubiger kann sich aussuchen, von wem er die gesamte Summe fordert. Zahlt einer der Schuldner alles, kann er sich das Geld später von den anderen zurückholen.

Diese Form der Haftung ist jedoch nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Sie muss entweder ausdrücklich im Gesetz vorgesehen sein oder klar vereinbart werden. Ohne eine eindeutige Regelung gilt grundsätzlich, dass jeder nur für seinen eigenen Anteil haftet.

Die Argumente der Stadt Hannover

Die beklagte Stadt Hannover sah das völlig anders. Sie argumentierte, dass sich die Geschäftsgrundlage durch die Insolvenz grundlegend geändert habe. Mit einem Eigentumsanteil von nur wenigen Prozent sollte sie nicht für die Ausfälle eines Eigentümers aufkommen, der fast 80 Prozent der Gewerbeimmobilien besessen hatte.

Die Stadt hatte ihre eigenen Beiträge seit dem Vergleichsschluss immer pünktlich gezahlt und sah es als unbillig an, als "öffentliche Hand" für private Unternehmen einspringen zu müssen. Sie forderte eine Anpassung der Regelungen an die neue Situation.

Das Urteil des Gerichts

Das Amtsgericht Hannover gab der Stadt Hannover vollumfänglich recht und wies die Klage ab. Die Begründung des Gerichts ist für alle Wohnungseigentümer von großer Bedeutung, da sie grundsätzliche Fragen der Haftung in Wohnungseigentümergemeinschaften klärt.

Das Gericht stellte zunächst klar, dass eine gesamtschuldnerische Haftung nur vorliegt, wenn dies ausdrücklich vereinbart oder gesetzlich vorgeschrieben ist. Die bloße Tatsache, dass mehrere Eigentümer gemeinsam zu einer Zahlung verpflichtet sind, reicht dafür nicht aus.

Bei der Auslegung der Gemeinschaftsordnung kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Formulierung "Gesamtheit der Raumeigentümer" keine gesamtschuldnerische Außenhaftung beschreibt. Vielmehr handele es sich nur um eine interne Regelung, die festlegt, welche Gruppe von Eigentümern für bestimmte Kosten aufkommen soll - die Gewerbe- oder die Wohnungseigentümer.

Warum der Verteilungsschlüssel entscheidend war

Ein wichtiger Punkt in der Begründung war der in der Gemeinschaftsordnung festgelegte Verteilungsschlüssel. Wenn genau geregelt ist, wer welchen Anteil zu tragen hat, spricht dies gegen eine Gesamtschuld. Der Bundesgerichtshof hat bereits in früheren Entscheidungen klargestellt, dass bei einer individuell bezifferten Kostenverteilung grundsätzlich nur eine anteilige Verpflichtung vorliegt.

Das Gericht betonte, dass eine gesamtschuldnerische Haftung klar und eindeutig formuliert werden müsste, wenn sie gewollt wäre. Der Begriff "Gesamtheit" allein reicht dafür nicht aus, da er lediglich die Gruppe der Verpflichteten beschreibt.

Auch der Vergleich änderte nichts

Die WEG hatte gehofft, ihre Forderung auf den geschlossenen gerichtlichen Vergleich stützen zu können. Doch auch hier sah das Gericht keine gesamtschuldnerische Haftung begründet. Der Vergleich verwies auf denselben differenzierenden Verteilungsschlüssel wie die ursprüngliche Gemeinschaftsordnung.

Das Gericht machte deutlich, dass allein die gemeinsame Verpflichtung mehrerer Eigentümer in einem Vergleich noch nicht automatisch zu einer Gesamtschuld führt. Entscheidend ist, ob eine solche Haftung ausdrücklich vereinbart wurde.

Keine Hilfe durch Geschäftsgrundlagenänderung

Die WEG hatte auch argumentiert, die Insolvenz der P. GmbH stelle eine so grundlegende Änderung der Verhältnisse dar, dass die Verträge angepasst werden müssten. Das Gericht wies auch dieses Argument zurück. Die Insolvenz eines Miteigentümers sei kein Umstand, der eine Anpassung der Geschäftsgrundlage rechtfertige, sondern ein allgemeines Lebensrisiko.

Die WEG wurde darauf verwiesen, ihre Forderungen bei der Insolvenzmasse der P. GmbH anzumelden - dem normalen Weg bei Ausfällen durch Insolvenz.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil bringt wichtige Klarstellungen für alle Wohnungseigentümer und Verwalter von Wohnungseigentümergemeinschaften. Sie müssen nicht befürchten, automatisch für insolvente Miteigentümer haften zu müssen. Eine solche weitreichende Haftung muss ausdrücklich und eindeutig vereinbart werden.

Wenn Sie Eigentümer in einer Wohnungseigentümergemeinschaft sind, sollten Sie bei Beschlüssen über Sonderumlagen genau auf die Formulierungen achten. Begriffe wie "gemeinsam" oder "Gesamtheit" bedeuten nicht automatisch eine Gesamtschuld. Entscheidend ist, ob eine individuelle Verteilung nach Anteilen oder eine echte Gesamtverantwortung gewollt ist.

Für Verwalter bedeutet das Urteil, dass sie bei Ausfällen einzelner Eigentümer nicht einfach die anderen Eigentümer in die Pflicht nehmen können. Sie müssen den normalen Weg über die Zwangsvollstreckung oder bei Insolvenz über die Anmeldung zur Insolvenztabelle gehen.

Das Urteil stärkt auch die Position von Eigentümern mit kleineren Anteilen gegenüber Großeigentümern. Sie können nicht durch deren Insolvenz unverhältnismäßig belastet werden, solange keine ausdrückliche Vereinbarung über eine Ausfallhaftung getroffen wurde.

Praktisch bedeutet dies: Wenn in Ihrer Wohnungseigentümergemeinschaft ein Miteigentümer seine Beiträge nicht zahlen kann, entstehen für Sie als anderen Eigentümer dadurch keine zusätzlichen Zahlungspflichten - es sei denn, Sie haben ausdrücklich eine entsprechende Haftung übernommen.

Quelle: Amtsgericht Hannover, Urteil vom 18.06.2025, Az.: 480 C 7761/24

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