Einmal Mieter, immer Mieter? Wann man aus einem Mietvertrag ausscheiden kann


Der Fall: Ist er noch Mieter oder nicht?
In dem Rechtsstreit ging es um eine grundlegende Frage: Ist ein Mieter, der seit Jahrzehnten nicht mehr in der Wohnung wohnt und sich auch nicht um Mietangelegenheiten kümmert, immer noch Teil des Mietverhältnisses?
Der Kläger hatte 1984 zusammen mit seiner Lebensgefährtin einen Mietvertrag für eine Dreizimmerwohnung in Berlin abgeschlossen. Nach Darstellung der Vermieterin war er jedoch seit etwa 1988 ausgezogen und lebte in einer anderen Wohnung. In den darauffolgenden 30 Jahren fand der gesamte Schriftverkehr – einschließlich mehrerer Mieterhöhungen – ausschließlich zwischen der Lebensgefährtin und der Vermieterseite statt.
Als die Vermieterin 2023 erklärte, das Mietverhältnis bestehe nur noch mit der Lebensgefährtin, klagte der Mann auf Feststellung, dass er weiterhin Mieter der Wohnung sei.
Die zentrale Streitfrage: Kann man konkludent ausscheiden?
Die Vermieterin argumentierte, der Kläger sei durch sein Verhalten stillschweigend (konkludent) aus dem Mietverhältnis ausgeschieden. Immerhin habe er:
- Die Wohnung seit über 30 Jahren nicht mehr bewohnt
- Keine Miete gezahlt
- Sich nie an der Kommunikation mit der Vermieterseite beteiligt
- Nie gegen die Annahme widersprochen, dass nur seine Lebensgefährtin Mieterin sei
Das Amtsgericht Schöneberg folgte zunächst dieser Argumentation und wies die Klage ab.
Die Entscheidung des Landgerichts: Ein eindeutiges Urteil
Das Landgericht Berlin hat das erstinstanzliche Urteil jedoch aufgehoben und entschieden: Der Kläger ist nach wie vor Mieter der Wohnung.
Das Gericht stellte in seinem Urteil wichtige rechtliche Grundsätze klar:
"Ein von mehreren Personen begründetes Mietverhältnis kann nur von allen Beteiligten wieder aufgehoben oder umgestaltet werden."
Für die Entlassung eines Mieters aus dem Vertrag müssen demnach alle Beteiligten mitwirken – sowohl alle Mieter als auch der Vermieter. Dies folgt aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Mietverhältnisses.
Wichtige Grundsätze für alle Mieter und Vermieter
Das Landgericht stellte in seinem Urteil einige zentrale Punkte klar, die für viele Mietverhältnisse relevant sind:
- Personale Teilkündigungen sind unwirksam - Ein Mietverhältnis mit mehreren Mietern kann nicht nur für einen Teil der Mieter beendet werden.
- Keine Wohnpflicht - Ein Mieter ist nicht verpflichtet, die angemietete Wohnung tatsächlich zu bewohnen oder dort seinen Lebensmittelpunkt zu haben.
- Formloser Aufhebungsvertrag möglich - Ein Mietaufhebungsvertrag kann formlos wirksam sein, selbst wenn der ursprüngliche Mietvertrag schriftlich geschlossen wurde.
- Konkludentes Handeln reicht nicht immer - Selbst wenn ein Mieter über 30 Jahre nicht mehr in der Wohnung wohnt, folgt daraus nicht automatisch eine konkludente Erklärung, aus dem Mietverhältnis entlassen werden zu wollen.
- Keine Kenntnis, keine Erklärung - Wenn einem Mieter die Korrespondenz zwischen dem anderen Mieter und dem Vermieter nicht bekannt ist, kann sein Schweigen nicht als Zustimmung zur Entlassung aus dem Mietverhältnis gewertet werden.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Die Entscheidung hat wichtige praktische Auswirkungen für Mieter und Vermieter:
Für Mieter in einer Wohngemeinschaft oder Partnerschaft:
- Wenn Sie offiziell aus einem Mietvertrag ausscheiden möchten, müssen Sie eine ausdrückliche Vereinbarung mit allen Mietparteien und dem Vermieter treffen.
- Ausziehen allein reicht nicht aus, um Ihre mietvertraglichen Pflichten zu beenden.
- Sie können auch nach Jahrzehnten noch für Mietrückstände oder Schäden haftbar gemacht werden, wenn Sie formell Mieter geblieben sind.
Für Vermieter:
- Mieterhöhungen und andere wichtige Mitteilungen müssen immer an alle Mieter gerichtet werden, die im Mietvertrag stehen.
- Ein Ausscheiden eines Mieters kann nicht einfach unterstellt werden – es bedarf einer klaren Vereinbarung.
- Die bloße Tatsache, dass ein Mieter nicht in der Wohnung wohnt oder sich nicht meldet, ändert nichts an seinem rechtlichen Status.
Für Paare und Familien:
- Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Eltern für ihre Kinder oder Partner füreinander als Mieter mit unterschreiben – die Haftung bleibt bestehen, auch wenn man später auszieht oder die Beziehung endet.
- Vor allem bei Trennung oder Scheidung sollte das Mietverhältnis klar geregelt werden.
Fazit: Klarheit schaffen ist wichtig
Das Urteil zeigt, wie wichtig klare Vereinbarungen im Mietrecht sind. Wer aus einem gemeinsamen Mietvertrag ausscheiden möchte, sollte dies schriftlich mit allen Beteiligten vereinbaren. Andernfalls kann man auch nach Jahrzehnten noch als Mieter gelten – mit allen Rechten und Pflichten.
Für die Praxis empfiehlt es sich, solche Änderungen immer schriftlich festzuhalten, auch wenn dies gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben ist. So lassen sich spätere Streitigkeiten vermeiden.
Quelle: LG Berlin II, Urteil vom 19.11.2024 - 63 S 156/24
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