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Vorkaufsrechte an Wohnungen: Familienangehöriger oder Mieter?

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Nach einer Trennung oder Scheidung muss häufig gemeinsames Eigentum aufgeteilt werden - besonders bei Immobilien kann dies kompliziert werden. Welche Rechte haben die Beteiligten, wenn sowohl ein Familienmitglied als auch ein Mieter ein Vorkaufsrecht an derselben Wohnung beanspruchen? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer wegweisenden Entscheidung diese Frage nun klar beantwortet.
Richterhammer
Bild von iPicture auf Pixabay

Der Sachverhalt: Vorkaufsrechte in Konkurrenz

In dem vom BGH entschiedenen Fall hatten sich geschiedene Eheleute bei der Trennung darauf geeinigt, ihr gemeinsames Haus in Meißen in drei Wohnungen aufzuteilen. Der Ehemann erhielt zwei Wohnungen, die Ehefrau eine. Wichtig für den späteren Rechtsstreit: Die Ex-Partner räumten sich gegenseitig dingliche Vorkaufsrechte ein. Für die Frau wurde im Dezember 2016 ein solches Vorkaufsrecht an einer der Wohnungen des Mannes im Grundbuch eingetragen.

Als der Ex-Ehemann 2019 seine beiden Wohnungen an Dritte verkaufen wollte, wurde es kompliziert. Für eine der Wohnungen wurde ein Kaufpreis von 27.000 Euro vereinbart. Die Ex-Ehefrau übte daraufhin ihr Vorkaufsrecht aus. Doch diese Wohnung war bereits vor der Aufteilung an einen Mieter vermietet worden, der nun seinerseits das gesetzliche Mietervorkaufsrecht nach § 577 BGB geltend machte.

Der Mieter wurde schließlich als Eigentümer im Grundbuch eingetragen, das Vorkaufsrecht der Ex-Ehefrau später gelöscht. Dies führte zu mehreren Rechtsstreitigkeiten.

Der zentrale Streitpunkt: Welches Vorkaufsrecht hat Vorrang?

Die entscheidende Rechtsfrage lautete: Welches Vorkaufsrecht geht vor – das im Grundbuch eingetragene dingliche Vorkaufsrecht der Ex-Ehefrau oder das gesetzliche Vorkaufsrecht des Mieters?

Das Oberlandesgericht Dresden hatte zunächst dem Mietervorkaufsrecht den Vorrang eingeräumt. Es argumentierte, dass das dingliche Vorkaufsrecht der Ex-Ehefrau hinter dem Mietervorkaufsrecht zurücktreten müsse, da es erst nach der Vermietung der Wohnung bestellt worden war.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hob diese Entscheidung auf und stellte klar: Das dingliche Vorkaufsrecht eines Familienangehörigen genießt Vorrang vor dem gesetzlichen Vorkaufsrecht des Mieters – und zwar auch dann, wenn das dingliche Vorkaufsrecht erst nach Überlassung der Wohnung an den Mieter bestellt wurde.

Für diese Entscheidung stützte sich der BGH auf folgende Überlegungen:

"Wenn der Vermieter das Wohnungseigentum auch nach Überlassung der Wohnung an den Mieter direkt an den Familienangehörigen verkaufen könnte, ohne dass der Mieter zum Vorkauf berechtigt wäre, ist nicht ersichtlich, warum das Mietervorkaufsrecht Vorrang gegenüber einem nach Überlassung der Wohnung an den Mieter für einen Familienangehörigen bestellten dinglichen Vorkaufsrecht haben sollte."

Besonders wichtig: Der BGH betonte, dass auch geschiedene Eheleute weiterhin als Familienangehörige im Sinne des § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB anzusehen sind.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Diese BGH-Entscheidung hat weitreichende praktische Auswirkungen:

  1. Für Familienangehörige mit Vorkaufsrecht: Ihr im Grundbuch eingetragenes Vorkaufsrecht behält seinen Wert und seine Durchsetzbarkeit – auch gegenüber Mietern mit gesetzlichem Vorkaufsrecht. Dies gilt selbst dann, wenn das Vorkaufsrecht erst nach Vermietung der Wohnung eingeräumt wurde.
  2. Für Mieter: Ihr gesetzliches Vorkaufsrecht nach § 577 BGB kann durch ein dingliches Vorkaufsrecht eines Familienangehörigen des Vermieters verdrängt werden. Dies schränkt den Mieterschutz in bestimmten Konstellationen ein.
  3. Für Vermieter: Sie können auch nach Vermietung einer Wohnung Familienangehörigen ein wirksames dingliches Vorkaufsrecht einräumen, das Vorrang vor dem Mietervorkaufsrecht genießt. Dies erweitert Ihre Gestaltungsmöglichkeiten bei der Nachlassplanung oder Vermögensaufteilung.
  4. Für Immobilienkäufer: Beim Erwerb von vermieteten Wohnungen sollten Sie stets prüfen, ob im Grundbuch Vorkaufsrechte zugunsten von Familienangehörigen des Verkäufers eingetragen sind. Diese können auch nach einer scheinbar erfolgreichen Ausübung des Mietervorkaufsrechts noch relevant werden.

Das Urteil verdeutlicht, wie wichtig eine sorgfältige Prüfung aller Rechte und Belastungen beim Immobilienerwerb ist. Die scheinbar klare Regelung des Mietervorkaufsrechts kann durch familienrechtliche Konstellationen und dingliche Rechte überlagert werden.

Fazit

Mit dieser Entscheidung stärkt der BGH die Position von Familienangehörigen bei der Ausübung von Vorkaufsrechten. Die familienrechtliche Komponente erhält damit Vorrang vor dem Mieterschutz. Betroffene sollten sich bei ähnlichen Konstellationen frühzeitig rechtlich beraten lassen, um ihre Rechte optimal wahren zu können.

Quelle: BGH, Urteil vom 27. September 2024 – V ZR 48/23

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