Baurechtswidrige Wohnung: Mieter müssen ausziehen


Der Fall: Haus im Grenzabstand errichtet
In einer niedersächsischen Stadt errichtete ein Eigentümer ein Doppelhaus, das den vorgeschriebenen Mindestabstand zur Grundstücksgrenze nicht einhielt. Statt der vorgeschriebenen 3 Meter betrug der Abstand stellenweise nur 2,55 Meter - eine Unterschreitung um bis zu 45 Zentimeter. Obwohl für das Gebäude eine Baugenehmigung vorlag, wich der tatsächliche Bau von dieser ab.
Nach einer Beschwerde des Nachbarn stellte die Bauaufsichtsbehörde Ende 2022 diesen Verstoß fest. Nachdem Einigungsversuche zwischen den Nachbarn gescheitert waren, untersagte die Behörde im Oktober 2024 den Mietern die Nutzung ihrer Wohnungen und setzte eine Frist von drei Monaten für den Auszug.
Die betroffenen Mieter legten Widerspruch ein und beantragten beim Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche wiederherzustellen, damit sie nicht ausziehen müssten, während das Hauptverfahren noch lief. Nachdem das Verwaltungsgericht diesen Antrag ablehnte, legten die Mieter Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht ein.
Die rechtliche Beurteilung
Das Oberverwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und wies die Beschwerde der Mieter zurück. In seinem Beschluss vom 20. Januar 2025 stellte das Gericht klar:
Wird gegenüber dem Mieter einer formell und materiell baurechtswidrigen Wohnung eine Nutzungsuntersagung ausgesprochen, so ist eine Befolgungsfrist, die der gesetzlichen Kündigungsfrist des Mieters entspricht, regelmäßig angemessen.
Das Gericht führte aus, dass das Gebäude in doppelter Hinsicht baurechtswidrig sei:
- Formell baurechtswidrig, da das errichtete Gebäude von der erteilten Baugenehmigung abweicht. Die Baugenehmigung deckte nicht das tatsächlich errichtete Gebäude ab.
- Materiell baurechtswidrig, da der Bau den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestgrenzabstand unterschreitet.
Die Richter bewerteten die Unterschreitung des Grenzabstands um bis zu 45 Zentimeter als "durchaus gravierenden Verstoß gegen materielles Baurecht" - nicht als geringfügige Abweichung, wie die Mieter argumentiert hatten.
Keine teilweise Nutzungsuntersagung möglich
Das Gericht lehnte auch den Vorschlag der Mieter ab, nur Teile der Wohnungen für unzulässig zu erklären. Die Baurechtswidrigkeit betreffe das gesamte Gebäude als bauliche Einheit. Eine teilweise Nutzungsuntersagung sei weder rechtlich notwendig noch praktisch umsetzbar.
Auch ein nachträglicher Antrag auf Ausnahmegenehmigung (Abweichung vom Baurecht) des Eigentümers wurde von der Behörde abgelehnt. Diese Entscheidung hielt das Gericht für rechtmäßig, da das Abstandsrecht auch Freiflächen auf dem Nachbargrundstück schützt.
Keine längere Auszugsfrist für Mieter
Besonders interessant für Mieter: Das Gericht sah eine dreimonatige Frist zur Räumung als angemessen an. Diese Frist entspricht der gesetzlichen Kündigungsfrist nach § 573c BGB für Mietverhältnisse, die weniger als fünf Jahre bestehen.
Die von den Mietern vorgetragenen Gründe für eine längere Frist - getätigte Investitionen in Mobiliar, kurze Arbeitswege, schwierige Wohnungssuche, Barrierefreiheit und erlaubte Tierhaltung - reichten dem Gericht nicht aus. Es handele sich lediglich um "übliche Schwierigkeiten, die mit dem ungewünschten Ende eines Mietverhältnisses verbunden sind."
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Diese Entscheidung hat wichtige praktische Auswirkungen für Mieter:
- Mieter tragen ein Risiko, selbst wenn sie nichts vom baurechtswidrigen Zustand ihrer Wohnung wissen. Im Falle einer Nutzungsuntersagung müssen sie die Wohnung verlassen, unabhängig davon, ob sie ein gültiges Mietverhältnis haben.
- Die Auszugsfrist orientiert sich an der Kündigungsfrist des Mietvertrags. Bei Mietverhältnissen unter fünf Jahren beträgt diese in der Regel drei Monate. Bei längeren Mietverhältnissen könnte entsprechend auch eine längere Räumungsfrist angemessen sein.
- Übliche Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche begründen keine Ausnahme. Die Gerichte erwarten, dass Mieter innerhalb der gesetzlichen Kündigungsfrist eine neue Wohnung finden.
- Mögliche Ansprüche gegen den Vermieter sollten geprüft werden. Mieter könnten Schadensersatzansprüche gegen ihren Vermieter haben, wenn dieser von der Baurechtswidrigkeit wusste oder hätte wissen müssen.
- Bei Wohnungsbesichtigung auf Baugenehmigung achten: Mieter sollten im Zweifel vor Vertragsabschluss prüfen, ob das Gebäude tatsächlich der Baugenehmigung entspricht, besonders bei Neubauten.
Diese Entscheidung zeigt, dass bauordnungsrechtliche Vorschriften Vorrang vor mietrechtlichen Belangen haben können. Die Bauaufsichtsbehörden sind verpflichtet, gegen rechtswidrige Zustände vorzugehen, auch wenn dadurch Mietverhältnisse beendet werden müssen.
Quelle: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20.01.2025, Az.: 1 ME 158/24
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